Pride Wochenende in Berlin: Queere Seifenblasen auf der A100
Zum Ausklang des Pride Wochenendes gibt es im Club Ost eine ausgelassene Party. Der ist jedoch durch die geplante Verlängerung der A100 bedroht.
Pinke Miniröcke, hochhackige Absatzstiefel besetzt mit bunten Pailletten und natürlich ganz viel Glitzer. Mit ihren Outfits scheinen sich die Menschen auf dem Hoe_Mies, ein queeres DJ Event im Club Ost, auch Ausgelassenheit übergestreift zu haben. Unter dem grauen, wolkenbedeckten Himmel tanzen sie voller Energie und Freude. Die Stimmung zum Abschluss des Pride Wochenendes in Berlin könnte kaum besser sein. Es wird getrunken, gelacht und gefeiert. Den Nieselregen am Sonntagnachmittag scheinen sie kaum zu bemerken. Dafür ist die Party viel zu gut.
Berechtigterweise gab es vor und während des Pride Wochenendes viel Kritik an Partys, die keine sein sollten. Der große CSD steht nicht nur für seine Kommerzialisierung, sondern auch für seinen Partycharakter zurecht in der Kritik. In der Tradition der Stonewall Riots, die ganz sicher keine Party waren, kämpfen queere Menschen weiterhin für ihre Rechte. Queerfeindliche Ausschreitungen am Wochenende machten der Community erneut schmerzlich klar, dass ihre Kämpfe noch nicht vorbei sind. Und trotzdem – oder eher genau deshalb war es nie so wichtig wie jetzt, queere Freude zu leben. Kraft zu sammeln, um weiter kämpfen zu können. Sich gegenseitig zu sehen und zu feiern.
Für viele queere Menschen sind die Berliner Clubs ein wichtiger Raum, um sich ausdrücken und austauschen zu können. Die Hoe_Mies, hinter dem die Künstlerin Gizem steht, versucht, diese Räume zu erschaffen. Safe(r) Spaces, in denen die Musik von Frauen, trans* und nichtbinären Personen im Mittelpunkt steht. Außerdem gibt es auf den Events ein Awareness-Team, das für einen diskriminierungsfreien Raum sorgen soll. Aufmerksam laufen die Menschen in den gelben Westen umher.
Erleichterte Gesichter
Das Event am Sonntag heißt Daydreamers, denn es beginnt schon tagsüber. Als hätte man ein Nachtsichtgerät im Club vor den Augen, ist es plötzlich möglich, alle beim Feiern genau zu betrachten. Freudige, erleichterte Gesichtsausdrücke und Körper, die sich beim Tanzen entspannen. Zwei Tänzer*innen schauen sich kurz an und sagen sich gegenseitig wie sicher und frei sie sich gerade fühlen. Fast surreal wirkt die friedliche, fröhliche Atmosphäre. In der ewig langen Toilettenschlange unterhalten sich Besucher*innen darüber, dass die gefühlte Sicherheit hier drinnen nicht auf die Situation „da draußen“ übertragbar ist. „Und trotzdem tut es so gut.“ Eine queere Seifenblase, die zwar jederzeit zerplatzen kann. Aber gerade ist es trotzdem schön in ihr zu sein.
Zweites Gesprächsthema in der weiter anwachsenden Toilettenschlange sind zwei Influencer*innen, die auch auf dem Event sind. Gialu und Gazelle sind in der queeren Community bekannt für ihren trans* Aktivismus. Zuerst sprechen nur zwei, kurze Bald spricht die ganze Schlange darüber, ob sie die beiden Aktivist*innen auch schon gesehen oder vielleicht sogar direkt neben ihnen getanzt haben. Menschen tauschen sich darüber aus, wie ihnen die beiden damals geholfen haben, zu verstehen, wer sie sind. „Repräsentation und so, haha“, sagt eine Besucher*in lachend. „Rettet vielleicht nicht die Welt, aber ist manchmal auch einfach schön, sich nicht alleine zu fühlen.“
Events wie dieses könnten bald vor dem Aus stehen. Oder zumindest nicht mehr im weitläufigen Garten des Club Ost stattfinden. Dieser ist wie vier weitere Clubs vom Abriss bedroht. Die geplante Verlängerung der Stadtautobahn A 100 von Neukölln nach Friedrichshain verläuft genau dort, wo sich gerade zwei junge Besucher*innen gegenseitig dabei helfen, glitzernden Lidschatten aufzutragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers