Pressefreiheit: "WK" bekämpft Betriebsräte
Weil der Betriebsrat auf seine Rechte bestand und nicht 'kooperativ' war, nimmt der "Weser Kurier" seiner Vermarktungs-Tochter für Anzeigen die Aufträge weg.
„Wenn die damit hier durchkommen“, sagt Anwalt Jürgen Maly zu der Arbeitsrichterin, „dann können Sie einpacken.“ Maly vertritt in diversen Verfahren Betriebsräte der Weser Kurier-Gruppe, gestern stand er wegen der „MVB“ vor dem Arbeitsgericht. „MVB“ ist die Abkürzung für „Medien Vermarktung Bremen GmbH“, einer Tochter-Firma des Weser Kuriers. Die MVB war 2007 gegründet worden zur „Ausgründung“ der Anzeigenabteilung. Das Ziel der Ausgründung steht in einer Vorlage für die Sitzung des Vorstands der Bremer Tageszeitungen-AG (BTAG) des Weser Kurier-Verlages vom 5. 4. 2010: Die „Aufhebung der starren Tarifstrukturen“, die „Auflösung der Blockade-Haltung des BTAG-Betriebsrates“ und die „Verbesserung der Zusammenarbeit mit einem neuen Betriebsrat“.
Diese Ziele, so heißt es in dem Vorstands-Papier von 2010, sind nicht erreicht worden: Es passierte die „Konstituierung eines MVB-Betriebsrates mit fünf Mitgliedern, davon drei Außendienstler!“ Das Ausrufezeichen im Original deutet an, wie empörend das der Vorstand findet. Denn Außendienstler haben, wenn sie als Betriebsräte gewählt sind, Anspruch auf Provisionsausgleich. 73.000 Euro würden gefordert, heißt es da. Die MVB hatte diese Ausgleichzahlung trotz eindeutiger Rechtslage verweigert, auch Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle übrigens. Die Folge: „Blockade-Haltung verstärkt sich mit dem neuen BR: in diesem Jahr sind mit dem BR 13 arbeitsgerichtliche Verfahren anhängig“, notiert die Vorstands-Vorlage. Fazit: „Die Hoffnungen mit der Ausgründung der Anzeigenabteilung einen ’kooperativen‘ Betriebsrat zu erhalten, haben sich leider nicht erfüllt. Das Gegenteil ist der Fall.“
Im Dezember 2011, der Prozess wegen der verweigerten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsgeld stand vor dem Ende, ging es dann Schlag auf Schlag: Am 7. 12. 2011 wurde eine neue Vermarktungsfirma gegründet mit dem Namen „SKC“. Am 19. 12. unterschrieb MVB-Geschäftsführer Michael Sulenski eine Änderung des Vertrages mit dem Weser Kurier, die eine kurzfristige Kündigung einzelner Bestandteile des Auftrages ermöglichte. Am 28. 12. erscheint Sulenski als „Geschäftsführer SKC“ in einer Broschüre der Weser Kurier-Gruppe. Am 1. 1. 2012 wechselt er zu SKC, mit Sekretärin. Sein Arbeitsplatz bleibt zunächst im Pressehaus des Weser Kurier. Am 7. 1. 2012 schaltet die SKC eine Stellenanzeige, in der Sulenski für 17 Arbeitsbereiche MitarbeiterInnen sucht. Erst Wochen später bekam Sulenski vom Weser Kurier den entsprechenden Dienstleistungsvertrag dafür.
Den MitarbeiterInnen der MVB ist klar: Sie können kündigen und sich bei der neuen Firma bewerben oder auf dem alten Schiff untergehen. Alle lukrativen Akquise-Bereiche sind der MVB weggenommen worden. Die neue SKC arbeitet weitgehend in derselben Organisationsstruktur, mit demselben Geschäftsführer – aber ohne den lästigen Betriebsrat und die erstrittenen tariflichen Positionen.
Mit einer „Einstweiligen Verfügung“ wollte der Betriebsrat der MVB diesen „kalten“ Betriebsübergang verhindern. Das lehnte das Arbeitsgericht gestern ab. Termin für die Verhandlung in der Hauptsache ist nun am 22. August. So lange darf der Weser Kurier Fakten schaffen. Bis dahin wird vielleicht auch ein anderes Arbeitsgerichtsverfahren stattfinden: Der Verlag wehrt sich gegen den Versuch, einen „Gesamtbetriebsrat“ für die Weser Kurier-Gruppe zu wählen.
Gegen führende Vertreter von BTAG und MVB ermittelt übrigens die Kripo: Eine Geld- oder Freiheitsstrafe „bis zu einem Jahr“ wird dort jedem angedroht, der die Tätigkeit des Betriebsrats „behindert“, heißt es in § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes. Dabei wird es auch eine Rolle spielen, was für eine Firma die „SKC“ ist. Laut Handelsregister sind die 25.000 Euro Stammkapital in fünf Teile aufgeteilt, die alle Holger Albert Stark gehören. Dass eine Zeitung ihre Anzeigengeschäft derart aus der Hand gibt, ist eigentlich unvorstellbar. Der Betriebsrat geht von einer Strohmann-Konstruktion aus, die es über Jahre auch für den Bremer Anzeiger gab.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott