Pressefreiheit in Italien bedroht: Gefährliche Tendenzen
Jüngste Fälle von Verleumdungsklagen gegen italienische Medien stehen in einer langen Tradition. Bei der RAI ist eher Unterwürfigkeit das Problem.
Einigermaßen perplex sei er gewesen, erzählt Stefano Feltri, Chefredakteur der Tageszeitung Domani, als am 3. März zwei Carabinieri in der Redaktion auftauchten, ihrerseits „genauso perplex wie ich“. Die beiden waren mit einem Beschlagnahmebeschluss angerückt, ausgestellt, um einen auf der Domani-Website online publizierten Artikel herauszufordern, durch den sich Claudio Durigon, Staatssekretär im Arbeitsministerium unter der radikal rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, verleumdet sah.
Lächerlich war die Polizeiaktion in jeder Hinsicht, nicht nur, weil der Kläger Durigon es nicht für nötig befunden hatte, seiner Klage den beanstandeten Artikel beizulegen. Nicht nur, weil auch die Carabinieri es offenkundig nicht schafften, den Text aus dem Internet herunterzuladen. Nicht nur, weil in dem Artikel die unbestreitbare Tatsache dargelegt wurde, dass Durigon in seiner Zeit als Funktionär des stramm rechten Gewerkschaftsbundes UGL einen Mann bei der Gewerkschaft eingestellt hatte, der kurz darauf wegen Erpressung verurteilt wurde, in einem Prozess, in dem seine Mitangeklagten bekannte Mafiosi waren.
Chefredakteur Feltri ist allerdings nicht zum Lachen zumute. Denn Verleumdungsklagen von Politiker*innen gehören mittlerweile zum Alltag des Redaktionsgeschäfts. Im November 2022 war es Ministerpräsidentin Meloni selbst, die Schadensersatz in Höhe von 25.000 Euro einklagte, weil sie sich durch einen Domani-Artikel verleumdet sah, in dem ihr vorgeworfen wurde, sie habe in der Frühphase der Coronapandemie einem Unternehmer und Parteifreund bei dessen Maskengeschäften per Anbahnung nützlicher Kontakte unter die Arme gegriffen. Die Verhandlung steht noch an.
Allerdings wäre es verfehlt, in diesen letzten Fällen den Beweis dafür zu sehen, dass unter der seit Oktober 2022 in Italien regierenden Rechten die Pressefreiheit unter Druck gerät. Es ist schlimmer: Die Unsitte der auf Einschüchterung zielenden Klagen hat eine lange Tradition und wird einfach fortgesetzt.
Wieder mal verloren
Einer, der sich auf dieses Geschäft spezialisiert hat, ist zum Beispiel Matteo Renzi, in den Jahren 2013 bis 2018 Vorsitzender der gemäßigt linken Partito Democratico, außerdem 2014 bis 2016 Italiens Ministerpräsident und heute Chef der von ihm gegründeten Kleinpartei Italia Viva.
Vor einer Woche machte die Nachricht die Runde, dass Renzi – wieder einmal – einen Rechtsstreit verloren hatte. Gleich 200.000 Euro hatte er von Italiens führender Tageszeitung Corriere della Sera als Schadensersatz verlangt, weil das Mailänder Blatt über die Ermittlungen gegen seine Stiftung Open und über den Verdacht, über diese Stiftung sei illegale Parteienfinanzierung gelaufen, berichtet hatte.
Nicht nur wurde Renzis Klage abgewiesen, die Richterin schrieb dem Politiker auch noch ins Stammbuch, mit der Höhe seiner Forderung habe er „eine abschreckende Wirkung“ gegen die Berichterstattung erreichen wollen. Außerdem fand die Richterin es ungehörig, dass der Politiker „ein Zivilgericht wie eine Art Geldautomat behandelt“ habe.
Noch stärker wollte Renzi bei Marco Travaglio hinlangen, dem Chefredakteur der der Fünf- Sterne-Bewegung nahestehenden Tageszeitung Il Fatto Quotidiano. 500.000 Euro Entschädigung sollte Travaglio berappen, weil er sich bei einem TV-Interview an seinem Schreibtisch hatte abfilmen lassen, während im Regal hinter ihm eine Klopapierrolle zu sehen war, deren Blätter gut erkennbar mit Renzis Konterfei bedruckt waren. Doch nicht nur wurde Renzis Klage abgewiesen – er wurde zudem noch seinerseits wegen Einreichung einer willkürlichen Klage zur Zahlung von 42.000 Euro Schmerzensgeld an Travaglio verdonnert. So geht es oft in den Verleumdungsverfahren gegen Journalist*innen. Ihr Verband schätzt, dass zwei von drei Verfahren schon im Vorermittlungsstadium niedergeschlagen werden, dass insgesamt 90 Prozent mit Einstellung oder Freispruch enden.
Zunehmende Selbstzensur
Doch im World Press Freedom Index der Reporters sans Frontières rutschte Italien im Jahr 2022 vom 41. auf den 58. Platz ab, unter Hinweis auch auf die zunehmende Selbstzensur, die dort die Journalist*innen angesichts der Angst vor Verleumdungsklagen üben.
Klagen müssen dagegen die Journalist*innen des staatlichen TV-Senders RAI nicht befürchten – weil bei ihnen die Selbstzensur System hat. Vor allem die Nachrichtensendungen auf den Kanälen RAI1 und RAI2 sind zum Meloni-Verlautbarungsfernsehen heruntergekommen, seit Italiens Rechte im Oktober 2022 die Regierung übernommen hat.
So war es zum Beispiel, als sechs junge Männer im Februar vor einem Gymnasium in Florenz zwei Aktivisten eines linken Schülerkollektivs verprügelten. Die Schläger gehörten zur Azione studentesca, der Schülerorganisation der postfaschistischen Meloni-Partei Fratelli d’Italia – doch davon erfuhren die TV-Zuschauer*innen nichts. Verdruckst hieß es dort bloß, „rechtsextreme“ junge Männer seien handgreiflich geworden, ihre politische Provenienz blieb jedoch das Geheimnis der berichtenden Journalist*innen (die – immerhin auch dies ein Eingeständnis – Melonis Jungvolk dabei als rechtsextrem einstufen).
Und auch bei der vorerst letzten Flüchtlingstragödie verbogen die RAI-Nachrichten die Realität bis hin zur Verfälschung. „In libyschen Gewässern“ seien wahrscheinlich 30 Menschen ertrunken, meldete die RAI am Sonntagabend, deshalb hätte die italienische Küstenwache gar nicht eingreifen können. Beides stimmt nicht. Das Unglück ereignete sich weitab von den libyschen Hoheitsgewässern, niemand hätte die italienische Küstenwache an einem Einsatz gehindert.
Über solche Tendenzberichterstattung darf sich Meloni freuen, doch auch hier – ebenso wie bei den Verleumdungsklagen – gilt, dass die Servilität der RAI eine Tradition hat, die der italienischen Rechten zwar zugutekommt, die sie aber keineswegs erfunden hat. Bis zum September 2022 wurde der damalige Ministerpräsident Mario Draghi von denselben Nachrichtenmacher*innen zum Halbgott stilisiert, die jetzt in Meloni ihr neues Idol gefunden haben.
Für ihre treuen Dienste haben sie gute Gründe, denn schließlich ist ihre Anstalt weniger Staats- als gleich Regierungsfernsehen: Laut Statut wird die Senderspitze von der Regierung bestimmt. Da bleibt „Nähe“ nicht aus, erst recht nicht gegenüber einer Regierung, in der der heutige Kulturminister Gennaro Sangiuliano noch vor kurzem selbst Chefredakteur der Nachrichten auf RAI2 war.
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