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Pressefreiheit in DeutschlandBehörden haben versagt

Erica Zingher
Kommentar von Erica Zingher

Im neuen Presseindex von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland abgerutscht. Medienvertreter: innen werden immer häufiger attackiert.

Polizeiaufklärungsversuche nach einem Angriff auf ein ZDF-Team am Rande einer Demo in Berlin 2020 Foto: Peter Meißner/Pemax/imago

F ür den Journalismus ist die Coronapandemie eine Belastungsprobe. Kritische Berichterstattung ist wichtiger denn je. Und leider, das zeigt der neue Presseindex von Reporter ohne Grenzen (RSF), auch gefährlicher. Selbsternannte Querdenker gehen seit über einem Jahr regelmäßig auf die Straße: Hippies, Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme, Familien und Hooligans demonstrieren gemeinsam gegen die Coronapolitik der Bundesregierung. Ihr Hass richtet sich gegen „die da oben“ und immer häufiger auch gegen Journalist:innen. Es sind genau diese Querdenker-Demos, auf denen es zu massiven Übergriffen kommt. Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen werden nicht mehr nur als „Lügenpresse“ beschimpft, sondern körperlich bedrängt und bedroht, gelegentlich geschehen solche Übergriffe auch am Rande linker Demos. Und auch die Polizei versagt allem Anschein nach immer öfter dabei, Presse zu schützen, und behindert diese teilweise bei ihrer Arbeit.

Die Gewalt gegen Medienschaffende habe in Deutschland „eine noch nie da gewesene Dimension erreicht“, heißt es von Reporter ohne Grenzen. Aus diesem Grund stuft die Organisation die Lage der Pressefreiheit in Deutschland nun von „gut“ auf nur noch „zufriedenstellend“ herab.

Medienverbände mahnen regelmäßig, die Bedrohungslage ist auch in der Politik seit Längerem bekannt, und dennoch wird nicht genug unternommen. Stattdessen passieren wöchentlich neue Angriffe am Rande von Demos. Wie ist das politisch zu verantworten?

Im November 2020 übergab der Presserat der Innenministerkonferenz einen überarbeiteten Vorschlag des Verhaltenskodex zwischen Medien und Polizei. Die Bitte lautete: Wir brauchen neue Regeln.

Seitdem ist kaum etwas passiert. Es gab keine Überarbeitung, die Innenminister halten sich zurück. Was für ein Armutszeugnis! In einer Demokratie muss die Freiheit der Presse geschützt werden. Wenn die Behörden das nicht leisten können, dann haben sie versagt.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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14 Kommentare

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  • Hippies, Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme, Familien und Hooligans...

    Vergessen bei der Aufzähung: Militante Ökos und Hypochonder. Alle ein ein Ding: Sie haben Angst wie verrückt um ihr bisschen Leben und da auch das gesunde Leben nichts mehr nützt, muss diese Angst umgewandelt werden in Wut. Auf Politiker, notfalls auch auf die Presse, wenn die gerade herumsteht. Ein Trauerspiel, wie man die geballten Neurosen dieses Wohlstandslandes sehen kann.

  • taz: "Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen werden nicht mehr nur als „Lügenpresse“ beschimpft, sondern körperlich bedrängt und bedroht, gelegentlich geschehen solche Übergriffe auch am Rande linker Demos. Und auch die Polizei versagt allem Anschein nach immer öfter dabei, Presse zu schützen, und behindert diese teilweise bei ihrer Arbeit."

    Die Polizei hat ja schon vor Jahren "klargestellt", wen sie wirklich beschützt. ***Kalkofes Mattscheibe - Der Hutbürger vom LKA Sachsen***



    www.youtube.com/watch?v=UHmEL6Akb98

  • Währenddessen im Paralleluniversum der AFD und ihren zahlreichen alternativen "Blogs": hier ist von "angeblichen" Journalisten die Rede und auch sonst werden die Angriffe heruntergespielt:

    www.journalistenwa...-angriffen-corona/



    www.journalistenwa...utschland-platz11/

  • An zweiter Stelle werden Übergriffe auf Demos gegen das Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org und auf Demos zum 1. Mai genannt

    "Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe ereigneten sich auf oder am Rande von Demonstrationen, darunter neben den Corona-Protesten zum Beispiel auch auf Demos gegen das Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org und auf Demos zum 1. Mai." www.reporter-ohne-...ste/rangliste-2021

  • Tja wie im Dannenröder Forst oder anderswo. Weil die Innenminister und ihre Ausschüsse Angst haben noch mehr Kontrolle über die Polizei zu verlieren, decken sie die vermutlichen Übergriffe der Polizei und besonders der Sondereinheiten. Eine Anfrage in Bayern,dass der dringende Verdacht besteht, dass bayerische USK-Beamte einen Journalisten und friedliche Demonstranten einfach überrannt haben, wird schlichtweg nicht bentwortet.Dass dort Polizisten ohne Scham auch vor Kameras Gegenstände zerstörten, Schlafsäcke, wertvolle Seile zerschneiden - ohne nach den Eigentümern zu fragen - und Journalisten bedrängten, war schockierend. Wer nicht hinschaut, sieht auch nichts. Und so wollen auch die mitverantwortlichen hessischen Grünen davon nichts gesehen haben und es ist zu befürchten, dass auch unter Baerbock die deutsche Polizei nicht redemokratisiert werden würde. Unter Laschet bekommen wir sowieso die rücksichtslose Weiterentwicklung wie er sie jetzt schon im Hambacher Forst und in Garzweiler zuläßt. Eigentlich geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und die Polizei schützt das Volk im Rahen des Grundgesetzes - GG 20. Wenn die Politik die Polizei aber für ihre kurzfristigen Ziele funktionalisieren kann, dann haben die Politiker etwas nicht verstanden. So einfach dürfen es sich die nicht machen, dass sie denken, solange sie an der Macht sind, können sie tun und lassen was sie wollen. Das führt dazu, dass Polizisten im Danneröder Forst sagen: Tja - wir haben das Gewaltmonopol. Das stimmt aber so nicht, denn das führt dazu, dass illegal Elektroschocker durch Polizisten im Baumhaus verwendet werden. Die Störung und immer weitere Verdrängung der Presse und Behinderung der Pressefreiheit ist dann konsequente Folge, da sie unbequem ist., solange sie frei arbeiten kann.

  • Nur ist die Pressefreiheit ein Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen.

    Das Recht auf körperliche Unversehrtheit – und damit auch vor körperlichen Angriffen - haben Journalistinnen hingegen genauso wie jeder andere Mensch in diesem Staat.

    Die Polizei kann auf Demos nicht mal sich selbst vor Steinewerfern effektiv schützen.

    Mit Steine beschmissen oder körperlich attackiert zu werden, gehört für Polizist_innen und seit einiger Zeit auch für Feuerwehrleute und Rettungssanitäter_innen zum Berufsalltag.

    Für Journalistinnen ist es jetzt auch etwas Neues, als „die da oben“ wahrgenommen.

    War es für Feuerwehrleute allerdings auch mal.

    Vielleicht sollten Medienschaffende sich fragen, inwieweit sie selbst zu dieser Situation beigetragen haben.

    Gerade in der Taz gibt es seit Jahrzehnten Artikel, wo man den Eindruck erhält, Leute mit Steinen zu beschmeißen, sei eine Art liebenswerter Folklore. Zumindest wenn es aus journalistischer Sicht die "Richtigen" trifft.

    Es ist niemals in Ordnung, jemanden zu anzugreifen, egal welchem Berufsstand, welcher Ethnie, Religion etc. jemand angehört.

    Womöglich sollte das Schönreden von Gewalt bei Demos und außerhalb von Demos auch mal im Verhaltenskodex zwischen Medien und Polizei als verwerflich benannt werden.

    • @rero:

      Ich finde eigentlich nicht, dass man das alles so ohne weiteres in einen Topf werfen kann.



      Dass Polizist*innen als diejenigen die ganz konkret und unmittelbar das Gewaltmonopol ausüben sich ggf. mit (Gegen-)Gewalt konfrontiert sehen müssen ist schlicht naheliegend. Könnten sie mit absoluter Sicherheit darauf rechnen, dass dem nicht so ist könnte man die Polizei abschaffen weil damit die Gesellschaft ohne Verbrechen erreicht wäre.



      Was die Angriffe auf Journalist*innen aus primär rechten und Querdenker*innen-Kreisen angeht, lässt sich immerhin noch konstatieren, dass sie aus der - natürlich völlig irren und grundfalschen - Perspektive derjenigen die sie begehen kohärent sind. Das ist selbstverständlich keine Rechtfertigung, aber immerhin eine Erklärung.



      Für die angeblich massierten Angriffe auf Rettungssanitäter*innen und Feuerwehrleute habe ich aber bis heute keine einzige Erklärung gehört die auch nur im Mindesten irgendeiner und sei es noch so verqueren Ratio folgen würde. Deshalb wäre meine Vermutung, dass diese Attacken, soweit sie stattfinden, auf das Konto von Personen gehen dürfte die unter dem Einfluss von Substanzen, Psychosen oder anderweitigen Beeinträchtigungen des Denkens stehen und dass diese Fälle dann dankbar von jenen aufgegriffen werden die ohnehin für erweiterte Befugnisse und rechtliche Sonderstatus der BOS-Kräfte eintreten.

      • @Ingo Bernable:

        In Bezug auf die Polizei gebe ich Ihnen im Hinblick auf Verbrecher_innen völlig recht. Bei denen muss die Polizei mit Gegenwehr rechnen.

        Hier geht es aber um Demonstrationen. Da hat man die Polizei eigentlich nicht als Gegner.

        Ich kann dabei nachvollziehen, dass man, wenn man gegen einen übermächtigen, aber abstrakten Staat demonstriert, sich für "Gegenwehr" gegenüner real greifbaren Vertreter_innen des staatl. Gewaltmonopols entscheidet.

        Auch Erklärung, keine Rechtfertigung.

        Die Hemmschwelle sinkt dabei, wenn dieses Verhalten in Medien als irgendwie gerechtfertigt dargestellt wird.

        Und da sind wird dann irgendwann bei den Rettungssanitäter_innen und Feuerwehrleuten.

        Mein Eindruck ist, dass es diese Gruppe nur in besonders prekären Vierteln trifft.

        Dort ist dann fast alles irgendwie der Weiße, übermächtige Staat.

        Psychotiker_innen sind nicht so die Teamspieler_innen. Psychosen würde ich eher ausschließen.

    • 8G
      87203 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Dem kann ich nur zustimmen.



      Darueber hinaus verstehe ich nicht, was Feuerwehrleute und Sanitaeter zum Ziel macht.



      Ich kann den Angriff auf Polizisten noch nachvollziehen (nicht gut heissen!).



      Bei Feuerwehrleuten und Sanitaetern versagt meine Logik

  • Die Polizei ging in der BR Deutschland schon immer rabiat gegen kritisch berichtende Medienschaffende vor, nur spielte das seltsamerweise im RSF-Index keine Rolle. Schon in den 1970er-Jahren bei Anti-Atomkraft-Protesten wie z.B. in Brokdorf, Wackersdorf etc. gab es schwere Körperverletzungen, beschlagnahmte Film- und Tonaufnahmen und zerstörtes Kameraequipment. Das selbe Anfang der 1980er-Jahre bei Versuchen, über Proteste gegen Bundeswehr-Vereidigungen oder Blockaden von Militärbasen zu berichten. Die Brutalität der Polizei erreichte ab dann neue Höhepunkte bei der Verhinderung der Berichterstattung über Räumungen besetzter Häuser und über die Proteste dagegen.

    Das zieht sich bis heute, siehe zahlreiche Verletzte Journalist*innen beim G20 in Hamburg, wobei inzwischen Brutalität einzelner Beamten gegen Medienschaffende teilweise durch nahezu perfekt organisiserte Abschottung gegen Berichterstattung wie z.B. beim G8 in Heiligendamm oder aktuell bei Protesten gegen Landschafts- und Kulturraumzerstörung für klimaschädliche Braunkohle.

    Aber wenn ein paar dämliche Coronaleugner Personal von ARD oder ZDF anpöbeln, schreit RSF sofort auf…

    • @Khaled Chaabouté:

      Den RSF-Index gibt es meines Wissens erst seit 2002.



      Im Übrigen erinnert mich Ihr Umgang mit der Realität und mit diesem weiteren Armutszeugnis für die deutschen Sicherheitsbehörden stark an die vielen illusorischen Parolen, die man auch auf den Querdenker-Veranstaltungen vertritt.