Pressefreiheit im Libanon: Reporterin an ihren Grenzen
Eine libanesische Journalistin steht vor Gericht, weil sie Geheiminformationen aus dem Hariri-Mordprozess öffentlich gemacht hat.
Die libanesische Journalistin Karma al-Khayat (32) hört man meist, bevor man sie sieht. Ihr Markenzeichen, die markant tiefe Stimme, hallt in den Fluren des Fernsehsenders Al-Dschadid. Schnell gibt sie noch ein paar letzte Anweisungen für die nächste Sendung, dann lässt sie sich in den Chefsessel in ihrem Büro fallen, glücklich, wieder bei ihrer Arbeit in Beirut zu sein. Erst am Vortag ist sie aus Den Haag zurückgekehrt, wo sie sich vor dem Sondertribunal für den Libanon (kurz: STL) verteidigen musste.
Das spezielle Strafgericht der Vereinten Nationen tagt seit nunmehr einem Jahr, um den Mord an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri aufzuklären. Im März 2005 starben er und 21 weitere Menschen bei einem Bombenanschlag auf seinen Konvoi in Beirut. Die fünf Hauptverdächtigen, allesamt Anhänger der libanesischen Hisbollah-Miliz, sind bisher nicht vor dem STL erschienen und werden „in absentia“, in Abwesenheit, angeklagt.
„Ich bin die erste Angeklagte, die seit Beginn des Prozesses vor die Jury getreten ist“, sagt Khayat. Die Anklage gegen sie und Al-Dschadid ist ein umstrittenes Intermezzo in dem Mammutprozess, der bisher über 300 Millionen US-Dollar verschlungen hat. Sie lautet auf „Missachtung und willentliche Behinderung der Justiz“. Stein des Anstoßes war eine Reihe von Fernsehberichten, die Al-Dschadid unter der Leitung der Journalistin 2012 produziert und ausgestrahlt hatte. Darin interviewte ihr Reporterteam vermeintliche Zeugen des Hariri-Prozesses, noch vor Beginn der offiziellen Verhandlungen.
„Al-Dschadid erhielt eine Namensliste von einer anonymen Quelle. Das waren durchgesickerte Informationen des STL. Nach eingehender Recherche waren wir uns sicher, dass es sich dabei um Namen von zukünftigen Zeugen im Hariri-Prozess handeln musste“, sagt Karma al-Khayat. In den Berichten wurden die Gesichter der Interviewpartner unkenntlich gemacht und ihre Namen zurückgehalten. Dennoch kam es zur Anklage durch das STL, das nach libanesischem Recht urteilt. Im Falle einer Verurteilung drohen Khayat bis zu sieben Jahre Haft oder eine Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro für sie und den Sender.
Der einzige unabhängige Sender
Al-Dschadid behauptet, der einzige unabhängige Nachrichtensender im Libanon zu sein, der gerne auch mal ein bisschen über die Stränge schlägt. International bekannt wurde der Sender vor wenigen Monaten, als eine Fernsehmoderatorinnen ihrem Interviewpartner, einem islamistischen Scheich, das Mikrofon abstellte – nachdem dieser sie forsch aufgefordert hatte, „still zu sein“.
„Im Libanon gibt es eine freie, aber keine unabhängige Presse. Die Medienunternehmen sind je nach Inhaber oder Geldgeber stark politisiert. Das führt zu einer starken Selbstzensur unter den Journalisten, die keine Investigativrecherchen gegen jene anstreben, die sie finanzieren. Al-Dschadid bildet dahin gehend schon eine Ausnahme“, sagt Ayman Mhanna, Direktor des libanesischen Instituts für Pressefreiheit der Samir-Kassir-Stiftung.
Die Entscheidung des STL, ein weitgehend unabhängiges Presseorgan im Libanon anzuklagen, hat daher viele internationale Kritiker. Unter ihnen ist die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen, die den Prozess gegen Khayat vehement verurteilt. „Die Anschuldigungen sind unhaltbar. Sie werden gegen uns vorgebracht, um die Presse mundtot zu machen und Investigativjournalismus im Zusammenhang mit dem STL zu unterbinden“, sagt Khayat.
Mhanna mahnt unterdessen vor einem emotionalisierten Prinzipiendiskurs: „Tribunale haben das Recht, Journalisten wegen Missachtung des Gerichts anzuklagen. Das passiert nicht zum ersten Mal. Das Problem ist, dass es sich nun einmal um Journalisten handelt, die journalistisch arbeiten. Daher wird Al-Dschadid während der gesamten Verhandlung als unschuldig eingestuft. Wenn die Anklageseite nun nachweisen kann, dass der Sender die Justiz behindern wollte, dann ist eine Gerichtsverhandlung, um das Medium zur Verantwortung zu ziehen, keine Verletzung der Pressefreiheit.“
An diesem Wochenende treffen sich die wichtigsten Staats- und Regierungschefs zum G-7-Gipfel in Elmau. Alles wie immer? Nein, denn viele eingefleischte Protestler und Globalisierungskritiker werden zu Hause bleiben. Warum das so ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Juni 2015. Außerdem: Ingeborg Rapoport wollte ihren Doktor in Medizin machen. Aber die Nazis ließen sie nicht, weil ihre Mutter Jüdin war. Jetzt hat sie die Prüfung doch noch gemacht – mit 102 Jahren. Und: Die kurdischen Kämpfer haben den Islamischen Staat aus Kobani vertrieben. Jetzt kehren die Bewohner zurück. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die undichte Stelle
Dennoch, mit der Vorladung Khayats setzt sich das STL doppelter Kritik aus. Neben dem Vorwurf, die Pressefreiheit zu beschneiden, wird die Frage laut, warum das Tribunal sich nicht endlich darauf konzentriert, die undichte Stelle in den eigenen Reihen zu schließen. Dass Al-Dschadid durchgesickerte Informationen erhielt und verwertete, sieht Khayat als Fehler des Gerichts, auf den sie durch ihre Berichte hinweisen wollte: „Unser Job als Journalisten ist es, zu kritisieren, wenn es etwas zu kritisieren gibt. Durch unsere Berichterstattung wollten wir das STL warnen und sagen: Passt auf, bei euch gibt es immer noch eine undichte Stelle.“
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal seit dem Untersuchungsbeginn, dass vertrauliche Informationen bei der Presse landen. 2009 veröffentlichte Der Spiegel einen Bericht, in dem der Journalist Erich Follath behauptete, die Hisbollah und ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah seien in den Anschlag auf Hariri verwickelt. Seiner Aussage nach habe Follath die Informationen aus internen Papieren des STL.
Sein Artikel führte zu einer großen Kontroverse im Libanon, in dem die Hisbollah starken Einfluss in der Regierung besitzt. Gegen den Spiegel wurde damals keine Anklage erhoben. Auch andere internationale Medien wie die New York Times, die französische Zeitung Le Figaro sowie der kanadische Nachrichtensender CBS berichteten über die Geheimhaltungspannen und mussten sich bis heute nicht dafür verantworten.
12 Journalisten starben
Dass nun eine libanesische Journalistin auf der Anklagebank sitzt, mag nach Justiz in eigener Sache aussehen, ist es aber nicht, meint Mhanna: „Nur weil Der Spiegel damals nicht vor Gericht kam, heißt das nicht, dass deshalb Al-Dschadid auch nicht angeklagt werden darf. Jedes Gericht hat das Recht, einen solchen Prozess zu führen, wenn die Staatsanwaltschaft Klage erhebt. Um aber Verschwörungstheorien entgegenzuwirken, muss das STL erklären, warum es gerade diesen Fall verfolgt.“
Neben Khayat ist auch Ibrahim al-Amin, Chefredakteur der libanesische Tageszeitung Al-Akhbar, angeklagt. In der Hisbollah-nahen Zeitung wurden die vermeintlichen Zeugen jedoch mit Bild und vollem Namen abgedruckt. „Das sind zwei total unterschiedliche Fälle. Al-Dschadid hat Vorsichtsmaßnahmen unternommen, um die Identität der Interviewpartner zu schützen. Was Al-Akhbar getan hat, hat nichts mit ethischem Journalismus zu tuen“, urteilt Mhanna. Bisher schweigt Amin zu den Vorwürfen.
Khayat sagt: „Was das Tribunal heute mit uns macht, wirft die unabhängige Presse im Libanon hundert Schritte zurück.“ Dabei spricht sie nicht von den Punkten der Anklage gegen sie, sondern davon, dass libanesische Journalisten selbst keinen juristischen Schutz genießen: „Journalisten in der Region sitzen auf einem brodelnden Vulkan. Viele Reporter wurden während der Arbeit schon verprügelt, entführt oder sogar ermordet. Niemals konnte Anklage erhoben werden.“ Seit dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 kamen 12 Journalisten im Libanon ums Leben. Bis heute schaffte es keiner dieser Fälle vor Gericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin