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Pressefreiheit In Tunesien übernahm das Medienkollektiv Inkyfada die Enthüllung der Panama Papers. Mitbegründer und Investigativjournalist Kais Zriba spricht über Morddrohungen und den Übergang von der Diktatur zur Demokratie„Wir sind die Kinder der Revolution“

Interview Jakob Weingartner

Die E-Mail bestellt mich zu einem öffentlichen Platz im Zentrum von Tunis. Dann dirigiert die Stimme von Kais Zriba meine Schritte durch einen kühlen, strahlenden Sonntagnachmittag bis vor ein brutales Art-déco-Gebäude von abgehalfterter Eleganz. Immer wieder geht der Blick verstohlen über die Schulter. Das tunesische Innenministerium beschäftigt 80.000 MitarbeiterInnen, die meisten JournalistInnen nehmen Überwachung als Erbe der Diktatur von Ben Ali ironisch zur Kenntnis.

Kais Zriba sieht müde aus, als er die Tür öffnet. Für einen revolutionären Investigativjournalisten im Zentrum eines medienpolitischen Sturms wirkt er dennoch sehr entspannt: Surfhosen, Bandshirt, Havaianas. Der 24-jährige Journalist ist ein typischer Revolutionär der ersten Stunde. Während der Arabellion von 2011 verschaffte er in einem Bloggerkollektiv namens Nawaat den spontanen Aufständen in der Peripherie des Landes eine weltweite Öffentlichkeit – der Arabische Frühling nahm seinen Lauf.

Auch heute hat Zriba anstrengende Wochen hinter sich. Er gründete vor zwei Jahren mit FreundInnen das Medienkollektiv Inkyfada, welches seit dem 4. April in Tunesien die Panama Papers veröffentlicht. Die ersten Enthüllungen zielten auf die Offshore-Konten des Fernsehsenders Tunisia News Network und seine Verflechtungen mit der mächtigen islamischen Regierungspartei Ennahda ab. Als Nächstes folgten brisante Informationen zu den Offshore-Aktivitäten der säkularen Regierungspartei Nidaa Tounes. Seit den Veröffentlichungen wird das Medienkollektiv bedroht.

Um ihre Distanz zu parteipolitischen Konflikten zu wahren, gibt die Redaktion so gut wie nie Interviews. Für die taz macht Zriba eine Ausnahme.

taz.am wochenende: Sie scheinen nicht genug Schlaf zu bekommen. Fühlen Sie sich erdrückt von der Verantwortung dieser Enthüllungen?

Kais Zriba: Als wir die Daten erhielten, empfanden wir dies zunächst als große Ehre. Plötzlich hast du das größte Leak in der Geschichte des Journalismus vor dir, putain! Dann brach der Wahnsinn los. Die Angriffe begannen an dem Tag, als wir gleichzeitig mit Medien auf der ganzen Welt den ersten Artikel veröffentlichten. Ein Dauerbombardement verleumderischer Anschuldigungen in der Presse setzte ein, wir erhielten Morddrohungen, eine Serie von Hackerangriffen legte unsere Internetseite lahm. Vor Kurzem filmte ein Fernsehteam, also unsere eigenen Kollegen, mit versteckter Kamera in unseren Redaktionsräumen. Sie veröffentlichten sogar unsere Adresse, wir waren fassungslos. Damit bringen sie uns direkt in Gefahr und machen es uns schwer, in Ruhe unsere Arbeit zu erledigen. Es ist also weniger die Arbeit selbst, die Substanz kostet, es sind eher die Umstände, unter denen wir sie leisten.

Wie kommt es zu diesen Attacken?

Kais Zriba

Wer? Der 24-jährige Journalist und Aktivist studiert Bauinge­nieurswesen und lebt in Tunis.

Was? Zriba ist Mitbegründer und Teil des Medienkollektivs ­Inkyfada, davor schrieb er für Nawaat, das wichtigste Blogger-Kollektiv der tunesischen Revolution.

Es handelt sich um Gegenangriffe von Geschäftsmännern, welche einige Medien kontrollieren und mit mächtigen Politikern zusammenarbeiten. Das ist nicht anders als im Rest der Welt, doch hier in Tunesien besteht eine Kontinuität zur Diktatur von Ben Ali. Die Struktur des Staates hat sich seitdem nicht geändert. Sogar als Ennahda [die größte islamische Regierungspartei, Anm. d. Red.] an die Macht kam, also der „ennemi numéro un“ der Diktatur, erkannten diese die Effizienz des Systems und wechselten lediglich die Köpfe aus. Der einzige Unterschied ist also, dass wir heute analysieren können, wie dieses Netzwerk funktioniert, ohne dafür ins Gefängnis zu gehen oder getötet zu werden. Unser Ziel in diesem Konflikt sollte sein, dass wir uns aus dem alten Mediensystem von Ben Ali herausarbeiten und ein neues aufbauen, das unabhängig und gemäß einer journalistischen Ethik als vierte Kraft im Staat agieren kann.

Geht es hier auch um Glaubwürdigkeit?

Ja. Sie schicken ihre Journalisten los, um unsere Glaubwürdigkeit zu untergraben und von ihrer eigenen Verstrickung in die Panama Papers abzulenken. Plötzlich sprechen alle über Inkyfada statt über die Papers, dabei sollte es längst um das wichtige Thema der tunesischen Wirtschaft und ihre notwendige Transition gehen. Ich kann das durchaus nachvollziehen, sie haben 50 Jahre Diktatur ohne Pressefreiheit und journalistische Ethik durchlebt. Je mehr man zahlte, desto mehr konnte man sich erlauben, von investigativem Journalismus konnte keine Rede sein. Heute sehen sich die Repräsentanten dieses Systems mit unabhängigen Medien konfrontiert, die sagen: „Wir lassen uns nicht auf eure politischen Verteilungskämpfe ein, sondern machen einfach unsere Arbeit.“ Das übersteigt deren Horizont, also entwerfen sie alle möglichen Verschwörungstheorien: „Ihr werdet vom Ausland gelenkt, das eine politische Strategie verfolgt.“

Bald wird sich Inkyfada auch vor Gericht verteidigen müssen …

Einige der Leute, die wir in unseren Artikeln erwähnen, haben uns bereits angeklagt – darunter sind Mohsen Marzouk, Wahlkampfmanager von Präsident Essebsi, und Rached Ghannouchi, Anführer der islamistischen Ennahda-Partei. Sie nutzen dafür Anwälte und Gesetze aus der Diktatur, und das fünf Jahre nach deren Ende. Da schießt einem schon das Adrenalin ins Blut. Kürzlich haben wir eine ­Erklärung veröffentlicht, dass wir bereit sind, unsere Arbeit auch vor Gericht zu verteidigen. Wir wissen sehr ­genau, was wir tun.

Panama Papers

Was? 2,6 Terabyte an Daten mit 11,5 Millionen Dokumenten wurden der Süddeutschen Zeitung von einem anonymen Mitarbeiter der Kanzlei Mossack Fonseca zugespielt. Das größte Datenleak der Geschichte dreht sich um 214.000 Briefkastenfirmen und liefert detaillierte Informationen über das weltweit agierende Netzwerk der Steuerbetrügerei.

Wo? Über ein Jahr lang arbeitete das „International Consortium for Investigative Journalists“ in Kooperation mit Medienpartnern in den relevanten Ländern die Daten auf. In Tunesien übernimmt das junge, investigative Onlinemagazin ­Inkyfada die Enthüllung und lokale Kontextualisierung der brisanten Informationen.

80 Prozent der jungen Menschen gehen nicht zu den Wahlen, der IS rekrutiert in Tu­nesien die meisten seiner Legio­näre, viele wünschen sich sogar die Stabilität der Diktatur zurück. Spielen die Enthüllungen durch Inkyfada dieser Frustration nicht in die Hände?

Viele haben ihr Vertrauen in dieses System verloren, wollen nach Europa gehen oder sogar zum Daesch [abwertendes Akronym für den „Islamischen Staat“, Anm d. Red.]. Ich kenne dieses Gefühl, denn unabhängigen Journalismus in einem Land zu etablieren, das gerade eine Transition zur Demokratie durchläuft, ist oft hart. Manchmal denkst du dir, nur du selbst und deine engen Freunde wissen, dass du wirklich unabhängig bist. Doch wir befinden uns mitten in einer Schlacht um das Überleben der Zivilgesellschaft. Hohe Politiker halten Lobesreden auf die Demokratie, während sie hinter den Kulissen versuchen, die kritische Zivilgesellschaft zu zerschlagen. Sie verstricken uns in Verschwörungstheorien und überziehen uns mit Klagen. Weil angeblich die gesamte Zivilgesellschaft aus dem Ausland finanziert wird und auch die Terroristen von dort ihr Geld bekommen, rücken sie uns in die Nähe des Terrorismus. In meinen Augen wird die Revolution allerdings seit dem 14. Januar 2011 von der Zivilgesellschaft verteidigt, die politische Klasse hat versagt. Nicht ohne Grund hat ein Quartett für den nationalen Dialog den Nobelpreis erhalten und nicht der Präsident. Unsere Rolle kann da nur sein, uns aus der Tagespolitik herauszuhalten und gute Hintergrundinformation zu liefern.

Sie haben sich bereits während der Diktatur bemüht, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sehen Sie eine Kontinuität zu Ihrer jetzigen Aufgabe?

In Tunesien wirst du heutzutage konstant mit denselben sensationalistischen Agenturmeldungen bombardiert, keiner hört mehr hin. Seit zwei Jahren versuchen wir, dem unser eigenes Format entgegenzusetzen. Wir machen „slow journalism“, nehmen uns Zeit, um in die Tiefe zu gehen, mit Bürgern und Entscheidungsträgern zu sprechen. Eine Redaktion, eine Abteilung für audiovisuelle Produktion und ein Entwicklungslabor sollen aus jedem Artikel ein erzählerisches Erlebnis machen. Und klar, wir sind die Kinder der Revolution, sie hat uns frische Luft zum Atmen gebracht. Dank ihr sind wir immer noch zusammen und machen entgegen allen Widerständen bei Inkyfada unsere Arbeit.

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