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Presse beim NSU-ProzessTürkeis Außenminister interveniert

Im Streit um die Presseplätze beim NSU-Prozess hat sich der türkische Außenminister gemeldet: Seine Regierung habe die Erwartung, dass türkische Medien beobachten dürften.

Die „Hürriyet“ macht Druck. Der Außenminister jetzt auch. Bild: dpa

BERLIN afp | Die umstrittene Platzvergabe für Beobachter des bevorstehenden NSU-Prozesses ist jetzt auch Gegenstand von Beratungen auf Regierungsebene. Wie das Auswärtige Amt in Berlin am Sonntag bestätigte, intervenierte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu deswegen telefonisch bei seinem deutschen Kollegen Guido Westerwelle (FDP). Dabei habe Davutoglu „die Erwartung der türkischen Regierung“ deutlich gemacht, dass Vertreter türkischer Medien sowie auch des türkischen Staates als Beobachter an dem Prozess vor dem Oberlandesgericht München teilnehmen können.

„Außenminister Westerwelle äußerte Verständnis für das türkische Anliegen, verwies jedoch auf die richterliche Unabhängigkeit“, erklärte dazu das Auswärtige Amt. Beide Seiten hätten übereinstimmend die Erwartung auf ein transparentes, rechtsstaatliches Verfahren geäußert. Dies sei „ein wichtiger Beitrag, um in der Türkei und bei den Menschen türkischer Abstammung in Deutschland verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“.

Das OLG München hatte die 50 Presseplätze im Verfahren gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe und Unterstützer der rechtsextremen Terrorgruppe an die Medien vergeben, die sich nach Bekanntgabe der Sitzungstermine als erste gemeldet hatten. Dabei gingen die meisten internationalen und alle türkischen Medien leer aus. Auch der türkische Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, erhielt keinen reservierten Platz im Saal.

Westerwelle hält das Vorgehen des Gerichts offensichtlich für problematisch. Es wäre „mehr als schade“, wenn diese Gelegenheit, wieder Vertrauen zu schaffen, „vertan würde“, hieß es aus dem Umfeld des Ministers. Angesichts der traurigen Vorgeschichte seien größtmögliche Klarheit und Offenheit bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der schrecklichen Taten der NSU ganz wichtige Anliegen.

Der Prozess gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer beginnt am 17. April. Der im November 2011 aufgeflogene Nationalsozialistische Untergrund (NSU) wird für eine bundesweite Mordserie an neun Migranten und einer deutschen Polizistin verantwortlich gemacht.

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9 Kommentare

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  • F
    Falmine

    @ Ra Stuettgen

    Kleine Ergänzung: Die Mordopfer waren neun Deutsche und ein Grieche. Also auch dort wird Beistand durch die türkische Botschaft nicht benötigt.

     

    Nur damit das klar ist: Ich widerspreche hier der Argumentation eines vorgeblich rechtskundigen Lesers. Keinesfalls will ich damit die meiner Meinung nach rassistisch motivierte Mordserie durch rechte Terroristen relativieren!

  • F
    Falmine

    @ Ra Stuettgen

    Ich bezweifle stark, dass Sie Rechtsanwalt sind. Denn der Beistand durch Botschaftsangehörige gilt für Angeklagte fremder Nationalität. In München sind die Angeklagten jedoch alle Deutsche! Die brauchen keinen türkischen Botschafter!

    Die Angehörigen der Opfer treten als Nebenkläger auf. Für sie gibt es Sitzplätze.

     

    Der eigentliche Skandal, der in der Debatte um die Presseplatz-Vergabe offenbar wurde, ist die Abwesenheit jeglicher Kenntnis des demokratischen Rechtstaatsprinzips! Nicht nur in der willig manipulierbaren breiten Masse von BILD, BamS und Glotze, sondern auch in der nach eitlem Selbstverständnis gern als 'Elite' gesehenen Minderheit der Journalisten und einiger Politiker, wie Özdemir, Roth oder Gabriel.

     

    Sich dermaßen von türkischen Medien und Politikern instrumentalisieren zu lassen, finde ich demokratiegefährdend. Besonders bei denjenigen Journalisten, die als Prozessbeobachter für ihre Medien in München anwesend sein wollen. Wie sollen sie sachkundig diejenigen unterrichten können, die abwesend dennoch am Prozess Interesse haben, wenn sie selbst von der Gewaltenteilung, von der Strafprozessordnung und den Strafgesetzen im demokratischen Rechtstaat offenbar keine Ahnung haben?

     

    Oder, was noch schlimmer ist, evtl. Kenntnisse ignorieren und versuchen, ein eigenes Recht durchzudrücken? Mit Hilfe einer geifernden Masse? Ich will nie wieder Schauprozesse wie an Freislers Volksgerichtshof! Ein Kriterium dafür ist aber das ausgewählte Publikum! Haltet ein und wehret den Anfängen!

  • N
    noevil

    Eine gänzlich unbedarfte Frage an den Aussenminister: Was hat die Platzvergabe mit der richterlichen Unabhängigkeit zu tun? Wie gesagt - ich bin Laie. Es geht hier doch um die passive Beobachtung eines Prozesses durch verschiedene Medien zum Zwecke der Berichterstattung und nicht um Einflussnahme auf die richterliche Tätigkeit.

     

    Nach einem solchen sturen Festklammern an irgendwelche Platzvergaberegeln müsste jeder Richter erkennen, wie sehr er damit der Sache selbst - und auch dem Vertrauen in seine Integrität - schadet.

     

    Und dann braucht sich niemand mehr über Zweifel und Misstrauen der internationalen - insbesondere der türkischen und griechischen Presse zu wundern, finde ich.

     

    Haben wir - davon abgesehen - EU-weit nicht zurzeit ohnehin schon ein ziemlich ramponiertes Image?

  • R
    ra-stuettgen@mainzkom.de

    An anderer Stelle hatte ich bereits gelesen, dass der türkische Botschafter bereits vor Wochen um die Reservierung eines Platzes bat. Ein sehr verständlicher Wunsch. Das macht gerade einen der besondere Zwecke des Austausches von Botschaftern aus: Eigene Staatsbürger_innen zu schützen und auch bei schwierigen Situationen mit den Behörden und Gerichten des anderen Landes anwesend sein zu können.

     

    Ich finde es nicht nur völlig falsch, dass diesem Wunsch nicht entsprochen wurde. Das ist sogar ein empörender Vorgang. Byern besitzt doch angeblich die schlauesten Juristen des Landes. Und keineswegs dürfte denen entgangen sein, dass es ohne jede Beanstandung durchging, wenn bestimmte Plätze von Anfang aus besonderem Anlass reserviert werden.

     

    Das Rumgeeiere von einigen Politiker_innen - wie unter anderem der bayerischen Justizministerin - mag ich da auch nicht mehr hören. Wenn unser Außenminister jetzt die Entscheidungen des Gerichtes für nicht gut befindet, kann ich dem nur zustimmen.

  • A
    Anna

    Was soll das? Die können genau wie alle anderen Schlange stehen.

     

    Wo bleiben die griechischen Medien?

  • JG
    Jürgen Gojny

    Im Streit um die Besetzung der Zuschauerbänke in einem Gerichtssaal können aus dem unberufenen Munde der hiesigen und türkischen politischen Klasse häufig der Begriff Sensibilität. Auch der türkische Ministerpräsident Erdogan schwadronierte vor wenigen Jahren bei einem Besuch in Köln davon, daß die türkischen Migranten die "anatolische Sensibilität bis nach Deutschland [...] getragen" hätten. Nun diese "anatoische Sensibilität" mußten Johnny K. auf einem Berliner U-Bahnhof sowie ein Streitschlichter auf dem Bahnhof Kirchweye bei Bremen mit für sie finalen Folgen erfahren, um nur zwei Beispiele für diese Sensibilität anzusprechen. Eine Spielart dieser Sensibilität bekommen auch die an der türkischen Grenze zu Syrien stationierten BundeswehrsoldInnen zu spüren. Am entgegengesetzten Ende der Türkei kann ein Blick in Istambuler Buchhandlungen hilfreich sein, um eine besondere Form der "anatolischen Sensibilität" kennen zu lernen. Neben religiösen Erbauungsschriften und dem Koran liegt dort Hitlers 'Mein Kampf' aus. Fragt man die Buchhändler, wer denn Hitlers Pamphlet kaufe, so antworten sie: "Ja, das wird gern von Almancis (in Deutschland lebende Türken)gekauft. Dort ist es verboten, hier gibt es das Buch als Raubdruck." Man sollte den 'Buchkäufern' unter den Almancis raten, von ihrer Reisefreiheit Gebrauch zu machen, denn Neofaschisten haben wir in diesem unserem Lande schon mehr als genug!

  • B
    Bob

    Das Akreditierungsverfahren war skandalös.

    Darauf dürfen auch Politiker aufmerksam machen,

    egal ob deutscher oder türkischer Herkunft.

     

     

    Das sollte OLG München darüber nachdenken, die exakten Zeiten der Akkreditierungsgesuche zu veröffentlichen. Es kursieren zwei verschiedene Versionen zur Bewerbung von Hürriyet und warum der Journalist Fuchs, der sein Gesuch um 08:59 versandte auf Platz 27 landete und das Nederlands Dagblad, dessen Bewerbung um 09:39 einging es auf Platz 22 schaffte, bedarf einer Erklärung.

     

    OLG München Sprecherin Nötzel erklärt die Brisanz des Akkreditierungsverfahrens für türkische Medienverteter im Stern Interview:

     

    " Die sind zur selben Zeit verständigt worden, natürlich, die sich bis dahin bei uns gemeldet hatten, wie alle anderen auch und da waren auch die Vertreter der türkischen Medien dabei, ham aber vielleicht nicht gleich, äh, reagiert oder vielleicht nicht gleich die Brisanz erkannt und deshalb sind sie relativ weit nach hinten gerutscht."

     

    Auch der Münchner Strafrechtsprofessor Klaus Volk bezweifelt die Chancengleichheit beim Akkreditierungsverfahren:

     

    "Strafrechtsprofessor Volk kritisierte das "Wer-zuerst-kommt-Prinzip" bei der Zuteilung als ungerecht. Es sei unrealistisch zu glauben, dass ausländische Medien die gleichen Chancen hatten wie lokale Reporter mit vermutlich deutlich besseren Kontakten zum Gericht, sagte er dem SPIEGEL."

  • D
    D.J.

    Bei aller Problematik des Anrufs und ähnlicher Forderungen (hier geht es um nationale Machtpolitik, sprich Sicherung nachhaltigen Einflusses in D/Europa, auch wenn dies naive Zeitgenossen nicht verstehen werden, freilich nach Steilvorlage aufgrund der Idiotie des Verfassungsschutzes und des möglicherweise unklugen Verhaltens des Gerichts): Vergessen wir nicht die Arroganz der Deutschen bei einem weniger spektakulären Fall (Marco Weiss) - Steinmeier hattte beim damaligen Außenminister Gül telefonisch interveniert. Meines Erachtens mindestens ebenso skandalös.

  • KV
    Karl-Heinz Voelker

    Ein beispielloser Imageverlust des Herrn Davutoğlu.

     

    Ich warte voller Spannung auf einen Kommentar der taz.

    Danke im voraus!