Press-Schlag Ultras werden zum Feindbild hochgejazzt, dabei stehen sie für das Erhaltenswerte des Fußballs: Die Irren aus der Kurve
Es gibt keine Fußballfans mehr. Wen die Firmen, die man aus alter Gewohnheit sogar dann noch Vereine nennt, wenn sie längst Aktien- oder Kapitalgesellschaften sind, in ihre Arenen locken, das sind Kunden.
Die Leute, die man früher Fans nannte, heißen heute Ultras. Das klingt martialisch, als seien sie zum Äußersten entschlossen, und entsprechend ist ihre mediale Wahrnehmung: Chaoten, Schläger, Gewalttäter, Irre.
Das ist lustig, denn „Fans“, das Kurzwort für „Fanatiker“, hat ja einen ähnlichen Ursprung. Ultras, Fans, Tifosi, die vom Fußballtyphus Infizierten – alle gelten der besseren Gesellschaft als unberechenbare Outsider, mit denen man nicht umzugehen weiß und die man daher pathologisiert. Als Irre halt. Die Ultras von heute haben viel von den „Halbstarken“ der 50er und den „Rockern“ der 60er Jahre. Eine Jugendkultur, die sich, um gehört zu werden, immer mehr radikalisiert.
Es gibt Gewalt, sehr real sogar, die von Leuten, die sich als Ultras bezeichnen, ausgeübt wird. Zuletzt beim Pokalspiel in Rostock; gegen Ende der vorherigen Saison gab es schlimme Attacken von Dortmunder Fans gegen Anhänger von RB Leipzig, die eine ganz andere Fankultur verkörperten: Mit Kindern waren sie zum Familienkurzurlaub angereist, um sich einen schönen Nachmittag in etwas zu gönnen, von dem sie glaubten, es sei der Signal-Iduna-Park, das aber von martialischen Schlägern als Festung namens Westfalenstadion verteidigt wurde.
In dieser Konstellation ist der Konflikt erkennbar, den wir derzeit nicht nur in den Stadien erleben: Die gesellschaftliche Entwicklung, man kann sie auch als Durchkapitalisierung aller möglichen Bereiche charakterisieren, hat vieles besser werden lassen, aber viele nicht an der Verbesserung partizipieren lassen.
Es ist gut, dass der Kampf gegen Rassismus und vieles mehr endlich geführt wird. Dass Frauen als selbstverständliche Stadionbesucher gelten, dass das Gewaltniveau sinkt und der Komfort sich verbessert hat, will man auch nicht kritisieren.
Aber Ultras – in ihrer Mehrheit zumindest – halten ja gar nicht die überwundenen hässlichen Seiten hoch, wenn sie Stehplätze verteidigen, für Pyrotechnik streiten, günstigere Tickets fordern und in ihren Gesängen und Choreos etwas hochleben lassen, was man in einem gar nicht mal weiten Sinne als proletarische Kultur verstehen kann.
Sie streiten für einen Fußball, der noch nicht ganz vom Markt erschlossen wurde, den sie noch bezahlen können und der noch etwas enthält von der alten Erzählung: dem Sport der Arbeiter, der die Stärke des Kollektivs zeigt, der Solidarität verkörpert.Das ist nämlich auch die Schönheit des Fußballs, und genau sie wird derzeit mehr als nur bedroht.
Der DFB steht hier, ob man es einem wie Herrn Grindel abnimmt oder nicht, in der Mitte, also zwischen Staat und Markt. Der DFB mag in seiner Historie immer deutschnational gewesen sein, weswegen gute Fans ihn noch nie leiden konnten, aber: Er kann als Verband, der vor allem aus Amateuren besteht, die Kapitalisierung des Sports nicht auf die Spitze treiben. Das dürfte das jüngste Gesprächsangebot an Ultras und den – überfälligen! – Verzicht auf Kollektivstrafen erklären.
Es gibt nämlich sehr wohl noch Fans und nicht nur Kunden. Sogar der DFB hat es bemerkt. Martin Krauss
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