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Prenzlberger Currywurst

■  Die Journalistin Jutta Voigt und der Fotograf Rolf Zöllner haben ein gemeinsames Buch über Berlin und die Berliner herausgebracht. Es soll um die neue Mitte gehen, handelt aber von fernen, wilden und fast vergessenen Zeiten

Jutta Voigt und Rolf Zöllner, das schient irgendwie zusammenzugehören, haben beide doch denselben Gegenstand: Berlin und seine Bewohner. Der Fotograf und die Journalistin, beide „altgedient“ und bekannt für sensible Beobachtungen. Nun ein neues Fotobuch: „Der Spleen von Berlin“.

Aber eigentlich soll es im Buch um die neue Mitte gehen, wie der Klappentext verspricht. Noch so ein Hype-Dings, noch ein Verlag, der zeigen muß, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat?

Nein, die Feuilletonistin Jutta Voigt versteht sich erwiesenermaßen auf Berlin, wie sie es schon mit der Kolumne „Der Spleen von Berlin“ in der verblichenen Wochenpost gezeigt hat. Einige Texte dieser Reihe sind, neben Reportagen, auch in dem Buch zu finden. Andere Beiträge sind aber ausschließlich für das Buch entstanden. Keine reine Best-of-Voigt-Kolumnen-Sammlung also.

Ein Text steht neben einem Foto, keine Bildbeschreibung, beide passen thematisch irgendwie zusammen. Dabei ist nicht klar, ob das Ganze nur ausgedacht oder „wirklich“ recherchiert ist. Das ist aber Nebensache.

Jutta Voigt hat die Veränderung im Bezirk vom Prenzlauer Berg zu Prenzlberg am eigenen Leibe erfahren, Rolf Zöllner ebenso. Es wird erzählt, dass eine Wurst an die Touristen unter dem Namen Prenzlberger Currywurst verhökert wird und wie die Eroberung und Verniedlichung stattgefunden hat, mit den Augen der Bewohnerin gesehen.

Auf dem Foto daneben steht ein junger Mann, der frierend seine Arme um den Oberkörper geschlungen hält, in einem Berliner Zimmer. Über dem abblätternden Ölsockel hängen kleine, gerahmte Bilder. Rechts unten in der Ecke ein großer Koffer. Keine Ahnung, ob das symbolisch gemeint sein könnte, aber der Gedanke „So sah das mal überall aus im Prenzlauer Berg, dem Außenklo-Boheme-Bezirk“ schleicht sich ein und die Erinnerung an die erste eigene kalte Wohnung, dafür aber mit Innenklo.

Die Schwarzweiß-Melancholie der Fotografien scheint von Vergangenheit und Verlust zu sprechen. Von der untergegangenen schönen Aufbruchzeit, in der noch alles möglich war. Davon, dass man sich nicht gerne mit dem neuen Prenzlberg der zig Kneipen abfinden mag und der verschicksten Spandauer Vorstadt mit ihren zig Galerien, dass das wahre Leben in den Häusern, auf den Höfen oder Plätzen stattfindet, nicht in den Mojitobars mit hippen Mobilfunkmenschen. Die kommen auch kaum vor und wenn, dann nicht gut weg. Das Feindbild stimmt, macht aber auch nichts. Da sind sich alle ganz einig. Wer alle? Die, die dem „Café Westphal“ am Kollwitzplatz nachtrauern vielleicht. Oder die, denen immer scheinbar etwas fehlen wird, wenn ein noch so hässliches Gebäude abgerissen wird, um von einem nicht unbedingt schöneren, aber passenderen ersetzt zu werden.

Wer den „ganz normalen Menschen“ in der „Mitte“ begegnen will oder wissen will, wie es mal war, oder wer die schöne neue Berliner Welt anders sehen möchte, etwa durch die Linse des Beobachters Rolf Zöllner, für den ist dieses Buch. Die Bilder sind alle nach 1990 entstanden, suggerieren aber, dass ihr Gegenstand schon längst versunken ist. Altertümlichkeit und/oder Wärme in der Boom-Town, das ist hier zu bestaunen. Unter einem gammeligen Torbogen stehen als Frauen und Mädchen verkleidete Jungs und eine Maus und ein echter Hund. Über ihnen eine Landkarte, auf die jemand „Hoffest“ gemalt hat. Es ist die „Kule“ in der Auguststraße.

Man erinnert sich ganz einfach an die gar nicht so fernen, wilden Zeiten. Also doch kein Neue-Mitte-Buch. Recht so. Ingrid Beerbaum

Jutta Voigt, Rolf Zöllner: „Der Spleen von Berlin“. Verlag Das Neue Berlin.

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