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Premiere im Burgtheater WienSie sehen nicht, sie zappen

Schriftsteller Peter Handke dichtet, Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann steuert Blitz und Donner bei und Regisseur Claus Peymann wird gefeiert.

Christopher Neel, der den Dichter-Tramp gibt. Foto: Monika Rittershaus

Fortschritt ist keine Einbahnstraße, geschweige denn ein gerader Pfad. Im Reich der Poesie Peter Handkes herrscht sogar Zweifel daran, ob er überhaupt irgendwohin führt. Karl-Ernst Herrmann hat für die Uraufführungsmeditation über „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“, Handkes neuestem Stück, die Haarnadelkurve einer alten Passstraße aus dem Voralpenland ins Burgtheater gebaut.

Am Wochenende kommen hier vielleicht ein paar beleibte Wohlstandsbiker auf schweren Maschinen vorbei oder eine Marienwallfahrt am hohen Feiertag. Sonst sind es erstaunlicherweise Fußgänger. Die Landstraße, sie ist Sehnsuchts- und Verbannungsort für das Alter Ego des Dichters. Genau genommen sind es zwei Verkörperungen: gemessenen Schritts der Epische, von bisweilen hektischer Aktivität der Dramatische.

Mit Weste, Rucksack und vormodernen Chaplinhosen (Kostüme Margit Koppendorfer) schlägt sich Christopher Nell tapfer durch Blitz, Donner, Wind, Erscheinungen und Vogelstimmen des Handke-Universums. Dabei wird er solide getragen von seinem Regisseur Claus Peymann, der an den Ort früherer Taten (1986 bis 1999 leitete er das Haus) zurückkehrt.

Für einen Abend wendet die Burg den entsetzten Blick von der ungewissen Zukunft des Hauses ab und macht eine Rolle rückwärts in die 90er Jahre, als die Regiezampanos der 80er Jahre sich an der Wiener Ringstraße die Türklinken in die Hand gaben, BurgschauspielerInnen eine Art von republikanischem Adel bildeten, Literatur noch polarisierte, jede Uraufführung zum Staatsakt wurde, die Budgets noch solide waren und die Theatermaschine in die Vollen gehen konnte.

Nicht verabredet und doch vorhersehbar wurde am Premierenabend gefeiert: ein Fest für Peymann in frenetischem Jubel. Nur altgediente Ohren erinnern sich an das Buhen, Pfeifen und die permanente Denunziation, mit der kulturnationalistische Philister seine Ära in Wien unaufhörlich begleiteten.Davor liegen drei Stunden Handke. Man muss sie sich als verschlüsselte Offenbarung eines (poetischen) Pantheismus vorstellen.

Aber vielleicht hat ihr Theater mittlerweile erstaunlich wenig zu sagen

Jedes Blatt und jedes Blümlein enthält eine Botschaft über die ganze Welt bereit für den, der in der Lage ist zum inständigen Hören, zum geduldigen Schauen, zum „Auf-sich-Übergehen-Lassen“. Das Problem: Der Dichter kann es, die anderen nicht. Aber war Dichtung nicht einmal das, was von tiefer gehender Erfahrung zumindest berichten konnte? Die Abspaltung des Dichter-Ichs von allem, was Gesellschaft ist, färbt sich um zur Bukolik des Tramps, der in den schiefen Resten einer aufgelassenen Postbushaltestelle haust – Get Your Kicks on Mariazeller Bundesstraße.

Dem Sehnen und Suchen treten jetzt die anderen entgegen. Die „Unschuldigen“ nennt Handke sie, ein anachronistischer Umzug, der immer wieder auftaucht, mal handyschnatternd im Sportdress, mal im zombiehaften Schwarz hinter einer Monstranz herziehend. Sie verstehen nicht, sie kommunizieren. Sie sehen nicht, sie zappen. Sie hören nicht, sie telefonieren. Ihre Unschuldsvermutung ist natürlich blanker Hohn. Der Erbsünde der Konsumgesellschaft rettungslos verfallen, sind sie das anonyme Geschwätz der Masse, das Heideggersche „man“.

Handkes metaphysisches Mann-Frau-Yin-Yang-Motiv

Zwei von ihnen haben keine Namen, aber eigenständigen Text. Auch sie scheitern an tiefer gehenden Verstehensprozessen, der „Wortführer“ (Martin Schwab) tragikomisch, die „Wortführerin“ (Maria Happel) urkomisch. Aus den „Schönen Tagen von Aranjuez“ (2012) entfleucht, weht Handkes metaphysisches Mann-Frau-Yin-Yang-Motiv herein in der Gestalt der „Unbekannten“ (Regina Fritsch), die der Held im entscheidenden Moment strafwürdig nicht erkennt.

Von den gesellschaftlichen Stereotypen aus „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ (1992) bis zum Herbstlaubrascheln von „Immer noch Sturm“ (2011) ist die Rezeptur für ein Handke-Potpourri reich vorhanden. Peymanns souveränes Handwerk hält vieles zusammen, kann aber zuletzt doch nicht den Gedanken zerstreuen, dass diese antimoderne Philippika der Wut eines Dichters entspringt, der die Form verloren hat.

Aber auch der Abend selbst verblasst nach der ersten Feierlaune. Die Theatermaschine ist trefflich in Schwung, aber ihr Welterfindungszauber, der einst das Sehen neu lehrte, ist eitel blass geworden. Und wieder einmal werden die alten Heroen kulturkritisch klagen, das Theater haben an „Stellenwert verloren“. Aber vielleicht hat ihr Theater, das über mehr als eine Generation das Theater war, mittlerweile erstaunlich wenig zu sagen.

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