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Preisrutsch schockt LandwirteMilchpreis kippt, Bauern sauer

Niedersächsische Molkerei droht mit Abnahmepreis unter 20 Cent pro Kilo. Agrarminister zahlte gern für Produktionsdrosselung, doch der Bund will nicht.

Billig wie Gülle: Milchbauern versprühen in Schleswig-Holstein aus Protest Milch Foto: Maurizio Gambarini/dpa

REHBURG-LOCCUM taz | Einen weiteren dramatischen Preisrutsch hat eine erste niedersächsische Molkerei ihren Vertragslandwirten in Aussicht gestellt. Man erwarte „in den kommenden Monaten einen Absturz auf etwa 20 Cent/kg“, warnt die inhabergeführte Frischli Milchwerke GmbH aus Rehburg-Loccum, die sich mit einer Verarbeitungsmenge von 823 Millionen Kilo selbst „zu den großen Molkereien in Deutschland“ zählt. „Ein weiterer Verfall auf 19 Cent und tiefer ist nicht auszuschließen.“

Die Vollkosten für ein Kilo Milch hatte die niedersächsische Landwirtschaftskammer 2015 mit gut 44 Cent beziffert. Bauern erwarten jährliche Verluste von rund 1.000 Euro pro Kuh, macht 70.000 bis 100.000 Euro für einen durchschnittlichen Betrieb. Auch das Frischli-Management spricht von einer „dramatischen Marktlage“.

Aus mehreren Gründen ist ein solches Schreiben ungewöhnlich: Einerseits halten sich Molkereien meist zurück mit einer verbindlichen Ankündigung geplanter Preise, um nicht in den Ruch illegaler Absprachen zu geraten und um ihre Zulieferer nicht zu verschrecken. Andererseits fällt auf, dass die Molkerei zur Mengendrosselung rät. Damit hat sie in einer ideologisch aufgeladenen Debatte um Ursachen für den Preisverfall und Mittel, ihn zu stoppen, die Position der Underdogs vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter und der alternativen Bauernvereinigung AbL übernommen – gegen die Positionen von Milchindustrie-Verband und dem Braunschweiger Thünen-Institut, das für den Bund agrarökonomische Zusammenhänge erforscht.

Tatsächlich sprechen auch die Maßnahmen der EU, die seit Mitte 2015 durch Interventionskäufe versucht, den Preisverfall aufzuhalten, nicht für eine Wirksamkeit der Mengenreduktion: Schon Anfang April war die Obergrenze von 109.000 Tonnen Magermilchpulver erreicht. Seither ist der Ankauf gestoppt – die Preise stürzen weiter.

Exportschlager Milch

650 Millionen Tonnen betrug die Welt-Kuhmilch-Produktion 2014. 160 Millionen davon kamen aus Europa, 33 Millionen aus Deutschland.

3.643.000 Tonnen Molkereierzeugnisse wurden 2014 aus der EU ausgeführt, davon waren 721.000 Tonnen Käse, 646.000 Tonnen Magermilchpulver, 586.000 Tonnen Molke/Molkepulver, 389.000 Tonnen Vollmilchpulver

Zum Vergleich: 2.397.000 Tonnen Molkereierzeugnisse wurden 2005 aus der EU ausgeführt, davon waren 545.000 Tonnen Käse, 188.000 Tonnen Magermilchpulver, 364.000 Tonnen Molke/Molkepulver, 490.000 Tonnen Vollmilchpulver

Dessen ungeachtet hat sich die Agrarministerkonferenz vergangene Woche für einen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein konzipierten „Drosselbonus“ ausgesprochen: Anfang des Jahres hatte die niederländische Friesland-Campina-Molkerei ihren Landwirten weniger gelieferte Mengen vergütet. Auf der Agrarministerkonferenz im mecklenburgischen Göhren-Lebbin diente das als Modell für einen anteilig von Molkereien und Staat getragenen Zuschuss für Milchbauern, die freiwillig ihre Produktionsmenge senken: „Das würde dazu beitragen, wirksam Milch vom Markt zu bekommen“, vermutet Niedersachsens Ressortchef Christian Meyer (Grüne). Ihm zufolge wäre das „ein echter Paradigmenwechsel hin zu einem politischen Markteingriff zugunsten der Milchbauern“. Umso unverständlicher sei, dass „Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt einen solchen Schritt nach wie vor vehement ablehnt“.

Wohl auch, weil das Thünen-Institut skeptisch bleibt: „Wir sehen dieses Instrument nach wie vor sehr kritisch“, so der Leiter des Instituts für Marktanalyse, Martin Banse, „wenigstens sobald es nicht rein privatwirtschaftlich angewandt wird.“

Zugleich bewertet er das Andauern der Krise als problematisch: „Das klingt zwar hart“, so Banse, „aber jetzt geht es nur noch darum, wer den längeren Atem hat.“ Oft treffe es gerade diejenigen Unternehmen, die investiert haben. Möglicherweise auch, weil das Thünen-Institut noch 2012 „steigende Milchpreise nach dem Auslaufen der Quote“ prognostiziert hatte, haben in Niedersachsen und Schleswig-Holstein etliche Landwirte Kredite aufgenommen, sei es, um die Herden zu vergrößern, die Höfe zu modernisieren oder um auf Bio umzusatteln: Um zertifiziert zu werden, muss ein Betrieb bereits zwei Jahre lang die Öko-Standards erfüllt haben, erst danach kann er seine Produkte zum höheren Bio-Preis verkaufen. Jetzt droht gerade ihnen das Aus. Dabei ist die Agrarwende laut den norddeutschen Koalitionsverträgen ein politisches Ziel.

Immerhin hat Niedersachsen angekündigt, die Bio-Umstellungsprämie auf 402 Euro pro Hektar zu erhöhen. Doch abhängig ist das von der Zustimmung der EU – und auch diese Prämie darf nur nach erfolgter Umstellung ausgezahlt werden. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass viele vorher aufgeben müssen.

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6 Kommentare

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  • Mal ganz ruhig! Ist Markt!

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    Wenn Preise abstürzen weil Übermengen schafft die "unsichtbare Hand" doch den Áusgleich.

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    "Minderleister sterben, die fitten setzen sich durch!" Eigenverantwortung!!! DAS Credo der Partei, die Landwirte so gerne wählen. Alles andere ist doch Kommunismus.

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    Mal ernsthaft, mit Importfutter und Turbo-Milchreaktoren incl. Gülle-Austrag ganze Landstriche zur umweltgefährdeten Zone zu machen ist auch nicht gerade sozial.

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    Auch sind 3-5% der nationalen Wertschöpfung, die man der Landwirtschaft wohlwollend zubilligt, wohl nicht der Rede wert (ja bekannt= die Stammwähler)

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    Bei aller liebe "Wasserer, Kutscher Hufschmiede..." haben sich auch umorientieren müssen.

    Stahlarbeiter, Kumpel, usw. gingen auch "in die Anpassung"

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    Land gegen Rente bis zum Kirchhof, wer möchte! (Muss ja niemand ins "Bergfrei" fallen :-))

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    Das wäre wohl eine Lösung, mal mit eurer Lieblingspartei aushandeln.

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    Nur nehmen wenn es brennt, aber abstauben wenn passt, geht auf Dauer nicht.

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    Gruss Sikasuu

    • @Sikasuu:

      Nachtrag:

      Bauern legen. Ein beliebter Sport der "Kapitals" Vielleicht begreift das mal jemand auf dem Land/ in der Landwirtschaft!

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      Gibt andere "Verbündete" die ehrlicher sind!

  • Ist die ganze Diskussion nicht das Ende eines Vorganges, den die Landwirte aus Unwissenheit vor Jahren selbst angeschoben haben?! Schließlich waren es die Landwirte selber, die in den letzten Jahrzehnten Ihre Molkereien durch Fusionen verkauft haben. Das Resultat nennt sich mittlerweile DMK. Dieser Konzern hat hunderte Arbeitsplätze vernichtet, massiv den Preisverfall unterstützt und wenn dieses Monstrum könnte, würde die Milch nur noch aus Osteuropa importiert werden, da diese noch günstiger ist.

    Das Milchgeschäft war einmal regional, mit vielen regionalen Marken, die jeder aus seiner Kindheit kennt. Und viele dieser Marken waren wirklich gut und werden sicherlich von vielen vermisst.

    Der Handel tut sein übriges...

    Warum müssen die Frischeabteilungen im ganzen Land zu 98% gleich bestückt sein. Es kann ja nicht Sinn und Zweck sein, dass ich im hohen Norden Joghurt, Milch und Butter aus Bayern verzehre. Nur damit sich das ändert, müssen die Kunden endlich ein Einsehen haben, und wieder mehr regional einkaufen. Und in diesem Zuge einfach mal die Finger von der Billig-Milch lassen. so lange Milch unter 1,25€ verkauft wird und das meiste Geld in aufgeblähten Industrieunternehmen versickert, wird sich nichts ändern.

    Wir beziehen unsere Milch und unseren Joghurt von einer Hofmolkerei aus unserer Stadt. Die Milch schmeckt besser und das Geld geht dahin, wo es hingehört. Zum Erzeuger...

  • Die Vollkosten für ein Kilo Milch hatte die niedersächsische Landwirtschaftskammer 2015 mit gut 44 Cent beziffert. Die Molkerei zahlt 20 cents. Da muessten alle Bankrott gehen. Und wieso gehen sie nicht?????????? Da muss man doch die Tiere verkaufen.

    Hier sind zb die Vollkosten Milch mit 39ct;

    Futter 18ct

    Besamung, Tierarzt, Strom, Wasser, Tierversicherung, Tierzukauf 9ct

    Arbeit, Abschreibung, Steuer 7ct

    Pacht, Miete 5ct

  • So traurig es auch ist, die Milchbauern sind das ideale Beispiel dafür, was in vielen anderen Bereichen - wenn auch nicht ganz so krass - ebenfalls stattfindet.

    Zuerst kam die Gier nach satten Gewinnen, parallel dazu die heuchlerische Verführung, für viel Geld immer größere Stallungen und immer mehr Gerätschaften anzuschaffen, oftmals auch auf Kredit. Erst danach wurde es offensichtlich, daß sich die Bauern auf diese Weise total abhängig gemacht haben und so nur noch dem Schein nach selbständige Unternehmer sind, tatsächlich aber nur Arbeitssklaven innerhalb pervertierter Strukturen.

    • @wxyz:

      Und wie erklären Sie sich die Agrarstruktur in der ex-DDR? Eine Rückkehr der bäuerlichen Betriebe, wie vom westdeutschen Bauernverband erhofft damals, fand nicht statt. Sind diese Betriebe also schrecklich, denn die Stallungen, wie sie schreiben, sind ziemlich groß.