Pralinen so bunt wie Ostereier: Buntes in den Körper!

Der italienische Konditor Rinaldini hat mit „Chococolor“ optisch auffällige Pralinen erfunden. Die Geschichte einer Obsession.

kleine Schokohügel in knallbunten Farben

Haben Suchtfaktor: die Chococolor Foto: Rinaldini

Während der Pandemie, vor allem in der Zeit der Lockdowns, ließ sich eine so überraschende wie stimmige Verschiebung von Gewohnheiten be­obachten. Manche Leute, auch solche, die sonst zu dezenter ­Kleidung neigten, begannen, sich bewusst in kräftigeren Farben zu gewanden. Das Bedürfnis nach optisch optimistischen Signalen, und sei es lediglich als gezielt gesetzter Akzent, scheint größer geworden zu sein. Buntsehen statt Schwarz­sehen. Ganz in diesem Sinn hat der italienische Konditor Roberto Rinaldini für alle an süßen Besonderheiten ­Interessierten indirekt seinen farbigen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet.

„Chococolor“ heißt seine Erfindung. Äußerlich lassen sie an Mini-Schokoküsse mit sehr festem Überzug denken. Bloß dass es sie neben den üblichen Kakao-Tönungen in so knalligen Farben wie Blau (Heidelbeere), Gelb (Zitrone) oder Grün (Pistazie) gibt. Zum Inneren später mehr. Seit einigen Jahren gehören sie für den Verfasser dieser Zeilen zu den Dingen, die für Vorfreude sorgen, wenn es nach Italien geht. Und die einiges an Sendungsbewusstsein mobilisiert haben: Kaum mehr vorzustellen, dass andere noch keine Gelegenheit hatten, sich von ihren Vorzügen zu überzeugen.

Persönliche Erfahrung zeigt, dass Worte meist nicht genügen, um das, was diese süßen Farbtropfen so toll macht, seinem Gegenüber zu vermitteln. Man muss sie sehen. Was zu amüsanten Reaktionen führen kann, etwa dass Leute, denen man von Chococolor erzählt, erst einmal skeptisch die Stirn runzeln, so im Sinne von: „Na, wird da jemand etwa infantil?“ Sobald man ihnen aber ein Foto zeigt, kippt die Distanz in spontane Begeisterung.

Die eigene Geschichte mit diesen kleinen Nougat-Pralinen, die sie streng genommen sind, war ganz ähnlich. Bei einem Besuch in einem Kaufhaus in Rom, das im Erdgeschoss sehr teure Handtaschen anbietet, führte der Weg zur Dachterrasse, von der aus man einen guten Blick über die Dächer im historischen Zentrum der Stadt hat, als letzte Station durch die Lebensmittelabteilung. Teure Produkte auch hier, der Wunsch zum Gelddalassen bestand eher nicht. In einer Vitrine leuchtete es plötzlich Rosa, Orange und Rot. Von der Frage: „Was ist das?“ bis zum Kauf war die Zeitspanne dann recht kurz.

Seitdem besteht bei jedem Italienaufenthalt der Wunsch, wenigstens ein paar der bunten halbkugelartigen Gebilde mit nach Hause zu bringen. Freunde, die sich anstecken ließen, bestellten mitunter gleich für sich mit. Und selbstverständlich sehen die Pralinen nicht nur entwaffnend fröhlich aus, sie schmecken auch besonders. Es sind eben keine Luxus-Smarties, deren farbige Zuckerschicht ähnlich aussehen mag, die jedoch völlig anders zusammengesetzt sind – was man spätestens im Mund zu spüren bekommt.

Gelb – ein Hauch von Zitrone

Die Nougat-Mischung, die ihre Grundlage bildet, wird je nach Geschmacksrichtung variiert. Für die Farben sorgen getrocknete Früchte und andere natürliche Zutaten, die das Aroma des Schokoladenüberzugs und zum Teil auch der Füllung selbst mitbestimmen. Rosa schmeckt so ein wenig nach Himbeere, Gelb hat einen Hauch von Zitrone. Allein bei Rot sollte man nicht den Fehler begehen, sich auf Erdbeergeschmack einzustellen. Stattdessen hat der Nougat in dem Fall nämlich eine deutliche Chili-Note als Beigabe.

Rinaldini kommen aus Rimini, der Stadt an der Adria, mit der man als Erstes das Wort „Teutonen-Grill“ assoziieren würde. Und bei der man eventuell noch daran denken mag, dass der Regisseur Federico Fellini dort geboren ist. Vor den Toren Riminis steht seit 2018 zudem das Fabrikgebäude von Rinaldini, in dem alles, was den Namen des Hauses trägt, gefertigt wird. Bei einer Reise im vergangenen Herbst, die durch die Emilia-Romagna führte, stand schnell fest, dass Rimini eine Zwischenstation sein würde. Ein Ausflug, der nicht allein zur Rinaldini-Filiale in Strandnähe führte, sondern ebenso zur außen in Rosa gehaltenen Fabrik.

Normalerweise gibt es bei Rinaldinis Werk keinen Publikumsverkehr, doch ein Mitarbeiter, der zufällig gerade draußen telefonierte, fragte, ob wir mit dem „maestro“ verabredet seien. Das war nicht der Fall; gleichwohl bot er an, einmal anzufragen, ob dieser Zeit habe. Der maestro ist Roberto Rinaldini, der Gründer von Rinaldini Pastry und ein schon in den neunziger Jahren mit Preisen ausgezeichneter Konditor. Obwohl eigentlich in einer Besprechung, nahm er sich einen Moment für ein kurzes Gespräch.

Auch die Fabrik ist bunt

Beim Betreten stellte sich heraus, dass die Wände und Böden des Werks innen ähnlich bunt gehalten sind wie die Fassade außen. Damals wurden gerade die Panettoni für das Weihnachtsgeschäft gebacken, aktuell sind die „Colombe“, das Sauerteig-Äquivalent zur Osterzeit, im Angebot. Einige davon gefüllt mit der hauseigenen Pistaziencreme, die zwar, genau wie Chococolor, ziemlich teuer, aber auch ziemlich köstlich ist. Weitere Kreationen wie die Pralinenkugeln „Roby“ zeugen nebenbei von der Selbstironie ihres Schöpfers: Auf dem Papier, in das sie eingewickelt sind, prangt das Konterfei Rinaldinis höchstpersönlich. Und das, obwohl dieser nicht unbedingt so ikonische Züge hat wie zum Beispiel der gleichfalls im Lebensmittelgeschäft als Marke etablierte Schauspieler Paul Newman, der nicht allein von seinen Filmen, sondern auch von seiner Marke „Newman’s Own“ überlebt wird.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Dass Rinaldini kein weltweiter Begriff ist, liegt daran, dass es sich nicht um einen industriellen Großkonzern wie Ferrero handelt. Sie nennen sich vielmehr stolz den mit 3.500 Quadratmetern größten Konditor-Handwerksbetrieb Europas. Mit der damit einhergehenden begrenzten Reichweite. Daher sind Herrlichkeiten wie Chococolor auch nicht in jedem Supermarkt in Deutschland zu finden, sondern hierzulande lediglich über das Internet zu bestellen. Oder man bittet einen Besessenen wie den Autor dieses Textes, sie beim nächsten Mal mitzubringen. Ohne Garantie.

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