Präsidentschaftswahl in Polen: Schuss vor den Bug
Polens Rechte hat in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen über 50 Prozent der Stimmen geholt. Der Sieg des Liberalen Trzaskowski ist knapp.

Überraschend haben es mit Sławomir Mentzen und Grzegorz Braun zwei rechtsradikal-antisemitische Kandidaten auf den dritten (14,8) und vierten (6,3 Prozent) Platz der Wählergunst geschafft. Damit kommt das rechte Lager auf über die Hälfte aller Wählerstimmen, was die Siegeschancen Trzaskowskis in der zweiten Wahlrunde am 1. Juni fast schon aussichtslos erscheinen lassen.
Fatal für die Regierungskoalition unter Premier Donald Tusk (PO) ist, dass die Kandidaten der Koalitionsparteien Dritter Weg, Szymon Holownia (4,9 Prozent), und der Linken, Magdalena Biejat (4,1 Prozent) dramatisch schlechte Ergebnisse eingefahren haben. Sicher können die Verlierer der ersten Runde ihre Wähler und Wählerinnen auffordern, in der Stichwahl dann für den demokratischen Kandidaten Trzaskowski zu stimmen, doch rein rechnerisch haben die Rechten die Nase vorn.
Viele in der PO hatten diese Situation vorausgesehen. Um die eigenen Wähler und die noch Unentschlossenen zu mobilisieren, kündigten sie schon vor Monaten einen großen „Marsch der Patrioten“ für Sonntag, den 25. Mai an, also für das Wochenende zwischen den beiden Präsidentschaftswahlrunden. Bei den Parlamentswahlen Ende 2023 hatte das geklappt. Der PO-Marsch war damals ein großer Erfolg, und die PiS wurde nach acht zerstörerischen Regierungsjahren abgewählt.
Nawrocki ruft zu Gegendemo auf
Doch in der Wahlnacht kündigte Karol Nawrocki überraschend an, dass er an eben diesem Sonntag in Warschau am großen „Marsch für Polen“ teilnehmen werde, einer Gegendemonstration der PiS. Er lud alle ein, „denen Polen wichtig ist – unabhängig von ihrer politischen Überzeugung“, sich diesem Marsch anzuschließen. So wird es also in einer Woche zwei Großdemonstrationen in Warschau geben. Offen ist, ob Donald Tusk und Jarosław Kaczyński, die Parteivorsitzenden von PO und PiS, daran teilnehmen werden.
Trzaskowski ließ sich auf seiner Wahlparty im südostpolnischen Sandomierz nicht anmerken, dass die undemokratischen Kandidaten ihm gefährlich nahe gekommen waren. Er feierte ausgelassen seinen Sieg über Nawrocki und schöpfte möglicherweise auch Hoffnung aus den Präsidentenwahlen in Rumänien. Dort hatte am selben Tag der parteilose Mathematikprofessor Nicușor Dan allen Unkenrufen zum Trotz seinen nationalistischen Gegner in der Stichwahl besiegt. Bisherige Nichtwähler hatten einen rechtsextremen Präsidenten Rumäniens verhindern wollen und gingen zu Zehntausenden an die Wahlurnen.
Trzaskowski will als Präsident die Reformen beschleunigen, die aufgrund der Veto-Politik des bisherigen Präsidenten Andrzej Duda festgefahren sind. Duda, der sich als Nachlassverwalter der PiS empfindet, torpediert jeden Versuch der Koalition, das Land wieder zu einem demokratischen Rechtsstaat umzubauen. Nawrocki würde diese Veto-Politik im Sinne der PiS fortführen, die – so fürchten Analysten – zum Zerfall der Tusk-Regierung und zu einer neuen PiS-Regierung führen könnte.
Euphorie auf der Wahlparty
Auf Nawrockis Wahlparty herrscht euphorische Stimmung. Alle gehen davon aus, dass die rechtsradikalen Wähler in der zweiten Wahlrunde für den PiS-Kandidaten stimmen werden. Nawrocki wetterte: „Sie haben schon den Sejm, den Senat, den Premier. Jetzt wollen sie den Präsidenten haben, um in Polen den Euro einzuführen, den Migrationspakt zu beschleunigen, den Hass gegen die Opposition zu schüren.“ Anders als Trzaskowski habe er keinen Parteichef. Er sei weder durch Parteidisziplin noch Anweisungen noch Verpflichtungen gegenüber seinem Chef gebunden, erklärte der PiS-Kandidat.
Sławomir Mentzen vom rechtsextremen Parteienbündnis Konfederacja freute ich über „das historisch beste Ergebnis unserer Gruppierung“. Der dritte Platz oder rund 15 Prozent im Präsidentenwahlkampf – das seien zwei bis drei Millionen Menschen. Den Nachwahlbefragungen zufolge waren dies vor allem junge Wähler, mehr Männer als Frauen, eher bildungsfern und oft in Ostpolen lebend.
Auch der Linke Adrian Zandberg zog vor allem junge Wähler an, doch die Zersplitterung – es traten zwei Frauen und ein Mann von der Linken an – ließ die Partei völlig bedeutungslos wirken. In der zweiten Runde will Zandberg keine Wahlempfehlung abgeben, auch nicht für den Demokraten Trzaskowski.
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