Präsidentschaftswahl in Polen: Demokratie oder Diktatur
Bei der polnischen Präsidentschaftswahl geht es um eine Grundsatzentscheidung, auch für Europa: liberale Demokratie oder autoritäres Regime?
A us politikwissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei der polnischen Präsidentschaftswahl um keinen gewöhnlichen politischen Entscheid zwischen zwei Kandidaten. In der Stichwahl am 12. Juli konkurrieren nicht einfach nur ein konservativer und ein liberaler Bewerber mit ihren jeweiligen politischen Programmen gegeneinander. Auf der Basis von Gewaltenteilung und garantierten politischen Rechten wäre das ein normaler Vorgang. So funktioniert Demokratie. Im vorliegenden Fall geht es aber um mehr, nämlich um eine systemische Grundsatzentscheidung: liberale Demokratie oder autoritäre Diktatur?
Wenn sich mit Andrzej Duda der Kandidat der PiS-Partei durchsetzt, wäre neben Ungarn auch das polnische Staatswesen weiterhin jenem diktatorischen Umbau ausgeliefert, der die Wertegemeinschaft der Europäischen Union schon seit Langem unterminiert. Ausgestattet mit den Vetomöglichkeiten des polnischen Präsidenten könnte die Opposition die Abschaffung der Demokratie zwar nicht gänzlich zurückschrauben, aber immerhin behindern. Auf die EU sollte man indes nicht allzu sehr hoffen, zu groß war der ostmitteleuropäische Jubel für die wirtschaftsliberale Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen.
In den letzten Monaten hat vor allem die Hetze der PiS gegen Minderheiten für Aufsehen gesorgt. Zahlreiche polnische Gemeinden hatten sich zu „LGBT-freien Zonen“ erklärt, was der polnische Botschafter in Deutschland als symbolischen „Widerspruch gegen eine Ideologie, die manchmal brutal durchgesetzt wird“, rechtfertigte. Das dürfte die Rechtsauffassung der regierenden PiS und ihrer grauen Eminenz Jarosław Kaczyński treffend wiedergeben, immerhin steht die Frau von Botschafter Andrzej Przyłębski dem Verfassungsgerichtshof vor und auch Präsident Duda bekräftigte im Wahlkampf, LGBT seien keine Menschen, es handle sich um eine Ideologie. Ob das noch niederträchtiger ist als Kaczyńskis 2015 getätigte Aussage, Muslime brächten „alle Arten von Parasiten und Bakterien“, die „in den Organismen dieser Menschen harmlos“ sind, aber „hier gefährlich werden“ könnten, ist Geschmackssache.
In jedem Fall wird deutlich, wie sehr der Rechtspopulismus, auch wenn er an der Macht ist, angebliche Feinde des reinen Volkes beschwört. Es geht mit Carl Schmitt, dem ideengeschichtlichen Urvater des völkisch-diktatorischen Antipluralismus, um die „Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen“. Kritiker bezeichnete Kaczyński 2015 als „Polen der schlechteren Sorte“. Darunter fallen heute neben der Opposition auch aufmüpfige RichterInnen oder HistorikerInnen, die sich mit polnischem Antisemitismus beschäftigen. Eine Pariser Tagung zum Thema wurde 2019 im Staatsfernsehen als „Festival der antipolnischen Lügen“ bezeichnet.
Markus Linden ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Analyse rechtspopulistischer Parteien und neurechter Ideologie.
Die von der PiS ernannte Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz stimmte am 1. Juni auf Twitter explizit Donald Trumps Aussage zu, die etablierte Medienlandschaft sei „Fake News“ von „wirklich bösen Menschen“ mit einer „kranken Agenda“. Leicht ausrechenbar, auf welcher Seite sie bei möglichen Unregelmäßigkeiten, etwa bei der kommenden Wahl, stehen würde. Für diese Wahl verspricht die Regierung Kleinstädten mit hoher Wahlbeteiligung neue Feuerwehrautos, damit in den Hochburgen nichts anbrennt.
Eingebürgert haben sich im Falle Polens und Ungarns die Bezeichnungen „defekte“ oder – Orbán hat das mittlerweile positiv umgedeutet, – „illiberale Demokratie“. Ähnliches wurde zuvor schon von Russland behauptet. Auch in Polen handelt es sich aber nicht nur um bloße Defizite in Form minderheitenfeindlicher Politiken. Die Maßnahmen sind viel grundsätzlicherer Natur. Der staatliche Rundfunk sendet vornehmlich Parteiwerbung, und die Justiz steht bis auf kleine gallische Bastionen unter Kontrolle der Exekutive. Als Zaubertrankersatz setzt man in Europa auf den EuGH, obwohl politisches Handeln gefordert und möglich ist. Ein demokratisches Gemeinwesen, das autoritär-diktatorische Strukturen finanziell unterstützt, führt sich schließlich ad absurdum.
In welcher ideologischen Tradition die PiS steht, zeigt eine zentrale Veröffentlichung ihres Vordenkers Ryszard Legutko. Der Philosophieprofessor und heutige EKR-Fraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament hat mit der 2016 auf Englisch erschienenen Schrift „Der Dämon der Demokratie“ eine Liberalismus- und Demokratieschelte vorgelegt, die den von Carl Schmitt postulierten Gegensatz zwischen „liberalem Einzelmensch-Bewusstsein“ und angestrebter „Homogenität“ neu auflegt. Legutko wendet sich gegen einen angeblichen liberalen Totalitarismus, der Menschenrechte und Gleichheit postuliere und dabei einen „liberalen Blitzkrieg“ gegen das „christliche Erbe“ betreibe. Liberalismus und Demokratie hält Legutko, wie er 2018 in der Zeitschrift American Affairs ausführt, für „alliierte“ Konzepte. Man dürfe davor nicht kapitulieren, sondern müsse alte Traditionen wiederbeleben.
Dieser neue Nationalkonservatismus findet seine Entsprechung im Antipluralismus der PiS und der Fidesz. Unterschiede zur Agenda von AfD und Neuer Rechter sind kaum identifizierbar. Es geht um die Identität zwischen Regierung und imaginierter Volksgemeinschaft, um die Agitation gegen individuelle Menschen- und Gruppenrechte, um die Perpetuierung einer kulturalistisch verstandenen Herkunftsgemeinschaft, um die metapolitische Veränderung des Sprach- und Diskursraums sowie um die Macht. Man trifft sich, wie zuletzt im Februar in Rom, auf der internationalen „National Conservatism Conference“. Dort spricht die polnische Botschafterin ein Grußwort und findet nichts dabei, dass der Hauptorganisator den „Nationalismus“ verteidigt und auch die italienische Neofaschistin Giorgia Meloni geladen ist.
Kurzum: Der Überwindung der liberal-gewaltenteiligen Demokratie innerhalb der EU wird mit diplomatischen Bedenknoten allein nicht beizukommen sein.
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