Präsidentschaftswahl in Guatemala: Failed State
Am 25. Juni wurde in Guatemala gewählt. Doch das Land wird von einer korrupten Elite kontrolliert. Daran sind die USA und die EU nicht unbeteiligt.
G anze 40 Jahre Haft für den Gründer und ehemaligen Direktor der kritischen Tageszeitung elPeriódico hat Guatemalas Staatsanwaltschaft am 30. Mai gefordert. Geldwäsche, Korruption und Erpressung werden dem 66-jährigen José Rubén Zamora vorgeworfen – belastbare Beweise: Fehlanzeige.
Der Fall ist der jüngste in einer langen Kette von Strafprozessen, die dazu dienen, diejenigen hinter Gitter zu bringen oder außer Landes zu drängen, die für ein anderes Guatemala stehen. José Rubén Zamora ist ohne jeden Zweifel so einer. Der hagere Mann mit dem zurückgekämmten Haar hat sich sein ganzes Leben lang für ein kritisches Mediensystem in Guatemala engagiert. Nun droht ihm, für Jahre weggesperrt zu werden – wie so vielen anderen auch.
Guatemala, das größte Land Mittelamerikas, das hierzulande vielen für guten Kaffee, die Ruinen der Maya-Hochkultur und wenigen für den überaus blutigen Bürgerkrieg (1960–1996) bekannt ist, schmiert ab. In gerade acht Jahren ist das Land, das im September 2015 noch als Hoffnung für einen „mittelamerikanischen Frühling“ galt, zu einem autoritären Regime mutiert. Die Präsidentschaftswahlen vom Sonntag, 25. Juni, sind dafür das beste Beispiel, denn erstmals wurde ganz offen manipuliert: nicht an der Urne und während der Stimmauszählung, sondern schon davor.
Indigene Kandidatin vorab ausgeschlossen
Schon vor der Wahl spielten sich zwei Gerichte, das Oberste Wahlgericht und das Verfassungsgericht, die Bälle zu: Drei Kandidat:innen, darunter die aussichtsreiche indigene Kandidatin Thelma Cabrera, waren von beiden Gerichten unter dubiosen Begründungen von den Wahlen ausgeschlossen worden. Mit Edmond Mulet wartete am Ende ein vierter Kandidat auf sein endgültiges Urteil von der höchsten juristischen Instanz des Landes. Vieles deutete darauf hin, dass auch der ehemalige UN-Diplomat seine politischen Ambitionen beerdigen muss.
Alles andere wäre eine Überraschung, denn viele der 17 Millionen Guatemaltek:innen wissen, dass Richter und Richterinnen in Schlüsselpositionen in Guatemala mittlerweile handverlesen sind. Dafür sorgt ein intransparentes Nominierungssystem, das schon vor Jahren hätte reformiert werden sollen. Nun befindet es sich in den Händen einer korrupten und überaus mächtigen Allianz: des Pakts der Korrupten.
So wird das Bündnis aus Militärs, einflussreichen Unternehmerfamilien, korrupten Politikern und der organisierten Kriminalität genannt, das sich ab 2015 langsam reorganisierte und peu à peu die Institutionen übernahm. Die Justiz war zwischen 2007 und 2015 zu einem immer unbequemeren und unkalkulierbaren Faktor geworden.
Das hatte seinen Grund, denn seit dem Dezember 2006 war die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (Cicig) im Einsatz und sorgte dafür, dass sich die Strukturen im Justizsektor spürbar änderten. Richter:innen, die die Hand aufhielten, wurden vor die Tür gesetzt, neue Gerichtshöfe eingerichtet. All das sorgte 2015 für eine demokratische Zäsur: den unfreiwilligen Rücktritt von Präsident Otto Pérez Molina.
Der ehemalige General des militärischen Geheimdiensts verlor, nachdem die Ermittlungsbehörden ordnerweise Beweise für Korruption ins Parlament gekarrt hatten, am 1. September 2015 seine Immunität. Am nächsten Tag trat er zurück, und 150.000 Menschen feierten vor dem Nationalpalast die für Guatemala vollkommen ungewohnte Sternstunde der Demokratie. Selbst Experten wie der Menschenrechtsanwalt Edgar Pérez witterten Morgenluft und sahen ein Land auf der Kippe: zwischen Demokratie und dem Rückfall in autoritäre Strukturen.
Zwei Jahre später, im Sommer 2017, sorgte Präsident Jimmy Morales für eine Zäsur: er attackierte die international hochgelobte UN-Kommission Cicig. Zentraler Grund für die Attacken aus dem Präsidentenpalast war die Tatsache, dass die Cicig nicht nur gegen einen Sohn und den Bruder des Präsidenten, sondern auch gegen Morales selbst wegen illegaler Wahlkampffinanzierung ermittelte.
An den Parallelstrukturen gescheitert
Das war zu viel für den korrupten Präsidenten, der für eine mit ehemaligen Militärs durchsetze national-konservative Partei angetreten war. Erst erklärte er den damaligen Direktor der Cicig, den kolumbianischen Richter und heutigen kolumbianischen Verteidigungsminister Iván Velásquez, zur unerwünschten Person und entzog dann der Cicig im September 2019 ihr Mandat.
Für den renommierten Richter Miguel Ángel Gálvez, der im November 2022 Guatemala verließ, war das der Wendepunkt: „Wir sind im Jahr 2023 wieder dort angekommen, wo wir 1996 die Arbeit zum Aufbau einer unabhängigen Justiz aufgenommen hatten. Fakt ist, dass wir an den Parallelstrukturen gescheitert sind, die heute wieder die Macht in Guatemala kontrollieren“, so der 64-jährige Gálvez. Er lebt in Deutschland im Exil, hat keine Chance, nach Guatemala zurückzukehren, wo der „Pakt der Korrupten“ das Land an die Kette gelegt und sämtliche Institutionen übernommen hat.
Die letzte unabhängige Bastion der Demokratie war die Ombudsstelle für Menschenrechte. Sie wurde bis zum August 2022 von Jordán Rodas geleitet. Rodas, ein für kritische Töne bekannter Jurist und Menschenrechtsaktivist, hatte immer wieder die Übernahme der Institutionen durch korrupte Funktionäre angeprangert. Nicht nur in Guatemala, sondern auch in den USA oder in Brüssel gegenüber der EU-Kommission – ohne messbaren Erfolg.
Nun lebt Rodas im Exil, auch ihn hat das Wahlgericht von der Kandidatenliste für die Präsidentschaftswahlen gestrichen. Rodas kandidierte für die Vizepräsidentschaft an der Seite von Thelma Cabrera, der einzigen indigenen Kandidatin, für die linke „Bewegung für die Befreiung der Völker“ (MLP). Die trat für strukturelle Reformen ein – in einem Land, das eine korrupte Elite in nur acht Jahren de facto übernommen hat.
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