Präsidentschaftswahl in Frankreich: Ganz nach oben gepokert
Unter Erfolgsdruck: Der jüngste Präsident, den Frankreich jemals hatte, ist auf seinem steilen Weg an die Spitze viele Risiken eingegangen.
Im Ausland ist er ein kaum beschriebenes Blatt. Für seine Mitbürger war er bis vor drei Jahren noch ein Unbekannter. Und niemand hätte damals auf die Frage, wer Frankreichs nächster Staatschef sein werde, auf den jungen Mann mit guten Manieren gewettet.
Das Wirtschaftsmagazin Challenges vergleicht ihn mit einem Pokerspieler, der seine Gegner mit scheinbar unsinnigen Risiken so sehr blufft, dass sie nur noch verdutzt zuschauen können, wie er seine Gewinne einstreicht. In jeder Etappe auf seinem im Eiltempo zurückgelegten Weg an die Macht hat er im richtigen Moment auf die richtige Karte gesetzt.
Als die französischen Sozialisten 2011 felsenfest überzeugt waren, der IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn werde gegen Nicolas Sarkozy gewinnen, zog Macron die Rolle eines Beraters beim Außenseiter François Hollande vor. Er wurde nach dessen Wahlsieg 2012 als Vizegeneralsekretär im Élyséepalast einer der engsten Mitarbeiter des Präsidenten und verblüffte in Diskussionen im Kabinett des Präsidenten mit seinen vorlauten, aber oft brillanten Einwänden und seinen detaillierten Sachkenntnissen.
Massenzulauf, heiße Luft
Zwei Monate später trug Hollande ihm im August 2014 einen Schlüsselposten in der Regierung an. Weil er sich jedoch als Wirtschaftsminister mit seinen Reformideen nicht durchsetzen konnte, trat er zwei Jahre später zurück, um einen Anlauf auf die Präsidentschaft zu nehmen.
Es hätte schieflaufen können, doch den spöttischen Prognosen zum Trotz fand die von ihm im April 2016 gegründete Bewegung „En marche!“ (Los geht’s!) einen Massenzulauf. Die Experten der Politik irrten wieder, als sie sagten, das sei nur heiße Luft. Mit einem unglaublichen taktischen Kalkül und dem richtigen Timing setzte sich Macron gegen alle anderen durch.
Doch er hatte auch Glück: Bei den Konservativen wurde nicht der Gemäßigte Alain Juppé nominiert, sondern der Hardliner François Fillon. Bei den Sozialisten wurde es nicht Manuel Valls vom sozialliberalen Flügel, sondern der Linkssozialist Benoît Hamon. Der Rest war nur noch ein praktisch fehlerfreier Parcours bis in die Stichwahl gegen eine Gegnerin, die für eine Mehrheit als Präsidentin schlicht nicht infrage kam. Mit seinem Eintritt in den zweiten Wahlgang hatte Macron das Finale so gut wie gewonnen.
„Ich bin so stolz. Aber das war ich schon vorher. Emmanuel hat so viel Mut.“ Das sind Worte des Vaters des Wahlsiegers. Der Neurologie Jean-Michel Macron ist Arzt wie auch Mutter Françoise. Auch die Schwester und der Bruder haben Medizin studiert. Der am 21. Dezember 1977 in Amiens in der Picardie geborene Emmanuel schlägt also eher aus der Familie. Denn unter dem wohlwollenden Einfluss seiner Großmutter interessierte er sich schon als Kind mehr für die französische Literatur als für Mathematik und Naturwissenschaften.
Die Lehrer im privaten Jesuiten-Collège „La Providence“ erinnern sich noch heute an den hochbegabten und etwas frühreifen Macron, der immer mehr wissen wollte, als im Lehrplan stand, und nach dem Unterricht noch weiter diskutieren wollte. Besonders angetan aber war die Französischlehrerin Brigitte Trogneux.
Coaching von der Ehefrau
Er war erst 15 Jahre alt, als der Musterschüler und die Lehrerin zusammen ein Bühnenstück schrieben. Die Anziehung war gegenseitig und von Dauer. Auf Betreiben der Familie Macron zog der junge Emmanuel nach Paris, um seine Mittelschulzeit am Elitegymnasium Henri IV zu beenden. Die Beziehung zur 24 Jahre älteren und verheirateten Brigitte brach dennoch nicht ab.
Vor zehn Jahren haben die beiden schließlich geheiratet. In der Kampagne des Kandidaten Macron war die künftige First Lady sein Coach und seine engste Beraterin, die bei keinem Auftritt und bei keiner Debatte fehlte. In den Hochglanzmagazinen wurden die beiden auf Fotos wie ein frisch verliebtes Paar am Strand gezeigt. Es war die glamouröse Seite dieser Wahlkampagne.
Macrons erste Liebe galt weder der Politik noch der Wirtschaft. Zunächst studierte er Philosophie an der Universität Nanterre, wo sein Lehrer, der bekannte Phänomenologe Paul Ricoeur, einen wesentlichen Einfluss auf ihn hatte. Danach ging es weiter mit Abschlüssen in Politischen Wissenschaften an der Kaderschmiede ENA (Frankreichs Verwaltungshochschule), die ihm alle Türen für eine Spitzenkarriere öffneten.
Das Angebot eines Führungspostens durch Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot lehnte er ab, nicht aber die Möglichkeit, bei der Bank Rothschild während mehr als drei Jahren als Partner Übernahmegeschäfte zu tätigen. Für seine Kritiker von ganz links und rechts ist er damit ein für alle Mal ein Mann der „Finanz“.
Macron hat hoch gepokert und alles gewonnen. Jetzt aber ändert sich sein Status und damit auch die Art der Risiken. Es gilt nicht mehr die Macht zu erlangen, sondern sie zu bewahren und damit umzugehen. Diese Schwierigkeit war schon mehr als einem seiner Vorgänger zum Verhängnis geworden.
Im Unterschied zu seinen Konkurrenten stand Macron nie zur Wahl und übte nie ein Mandat als Volksvertreter aus. Seine Erfahrung in der Staatsführung beschränkt sich auf seine Zeit als Präsidentenberater und Minister. Ein Manko, das er mit den Vorschusslorbeeren und Glückwünschen am Wahlabend nicht kompensieren kann.
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