Präsidentschaftswahl in Afghanistan: Zwischen Wut und Angst

Der zurückliegende Abdullah Abdullah will das vorläufige Ergebnis wegen Fälschung nicht anerkennen. Seine Anhänger protestieren schon.

Abdullah Abdullah spricht vor seinen Anhängern in Kabul. Bild: Reuters

BERLIN/KABUL taz | Nach Verkündung des vorläufigen, aber höchst umstrittenen Ergebnisses der Präsidentenwahl am Montagabend nehmen die politischen Spannungen in Afghanistan zu. Der zurückliegende Ex-Außenminister Abdullah Abdullah sprach von einem „Putsch“. Seine Anhänger machten ihrer Wut über die drohende Niederlage Luft. Sie gingen in Kabul und anderen Städten noch in der Nacht zum Teil bewaffnet auf die Straße und schossen um sich.

In ihren Autokorsos waren auch Polizeifahrzeuge zu sehen. Abdullahs Anhänger kontrollieren zahlreiche Milizen und sind stark in Armee und Polizei präsent. Während dessen feierten die Anhänger seines Gegners, des Ex-Finanzministers und Ex-Weltbankmitarbeiters Aschraf Ghani, ihren vermeintlichen Sieg bei der Wahl vom 14. Juni.

Nach 23-tägigem Warten hatte die Wahlkommission in Kabul bekannt gegeben, dass nach bisherigem Stand Ghani mit 56,4 Prozent und einer Million Stimmen Vorsprung vor Abdullah liege. Der komme auf 43,6 Prozent. Damit hätte Ghani seinen Stimmenanteil seit der ersten Runde am 5. April, bei der er um 900.000 Stimmen hinter Abdullah lag, auf 4,5 Millionen verdoppelt. Abdullah führt dies auf Manipulationen „im industriellen Maßstab“ zurück. Die Wahlkommission gestand am Montag ein, dass es Fälschungen gegeben habe – auf beiden Seiten.

Unterstützung im Norden, Massenkundgebung in Kabul

Im nördlichen Masar-e Scharif erklärte Provinzgouverneur Muhammad Atta Nur auf seiner persönlichen Webseite Abdullah zum „legitimen Präsidenten“ und kündigte dem noch amtierenden Hamid Karsai die Gefolgschaft auf. Als Lieblingspartner der Bundeswehr, die in Masar ihr Hauptquartier hat, zeichnet Atta mit allen Titeln: Generalrang, seiner Führungsfunktion in Abdullahs Partei Dschamiat-e Islami und seinem staatlichen Gouverneurstitel. Er hat er ein Businessimperium aufgebaut und ist Abdullahs wichtigster Finanzier.

Immerhin schlug Abdullah gestern Morgen bei einer Massenkundgebung in Kabul moderatere Töne an. Er bat seine Anhänger um „ein paar Tage“ Geduld und erklärte, er wolle „keinen Bürgerkrieg“. Das deutet darauf hin, dass er eine Verhandlungslösung noch nicht ausschließt.

Einen Zensus und ein Wählerregister gibt es nicht

Noch Montag früh hatte es danach ausgesehen, als hätten sich Ghani und Abdullah auf eine Überprüfung etwa der Hälfte der 8,1 Millionen abgegebenen Stimmen geeinigt. Das hätte theoretisch das Ergebnis noch einmal umkehren können. Dann legte Abdullah weitere Forderungen nach, Gespräche unter UNO-Vermittlung brachen zusammen und die Wahlkommission gab gegen seinen Willen das Zwischenergebnis bekannt. Beobachter in Kabul fürchten, die UNO könnte ihre Rolle ausgeschöpft haben.

Das Grundproblem des Wahlstreits liegt allerdings tiefer. Afghanistan hat noch immer noch keinen Zensus durchgeführt. Deshalb gibt es keine verlässlichen Bevölkerungszahlen und kein Wählerregister. Die Zahl der nicht fälschungssicheren Wählerausweise übersteigt mit 21 Millionen die der offiziell angenommenen 13,9 Millionen Wähler deutlich. Die Ausweise waren schon bei der Skandalwahl 2009, die Karsai gewann, das Hauptinstrument für massenhaften Betrug. Damals unterlag Abdullah schon einmal, was seine Wut und die seiner Anhänger erklärt.

Gestern beschuldigte er das „Dreieck“ aus Präsidentenpalast, der von Karsai ernannten Wahlkommission und Ghanis Wahlteam, den Betrug organisiert zu haben. 2009 habe er den „bitteren Kelch“ geleert, sagte er, diesmal werde er „bis zuletzt“ dagegen halten, und wenn man ihn „in Stücke“ schneide.

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