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Post-Covid, Long Covid und ME/CFSEs gibt kein „nach Corona“

Zu Corona ist längst nicht alles gesagt. Post-Covid- und ME/CFS-Betroffene sind keine Einzelfälle, sondern Menschen, die dringend Hilfe brauchen.

Pro Rollstuhl ein Mensch der zu schwach ist, um persönlich zu erscheinen: Aktion der Organisation „Nichtgenesen“ im Juli 2023 Foto: dpa | Michael Kappeler

A m 12. Mai ist der „International ME/CFS Awareness Day“. Obwohl viele meinen, zu Corona sei schon alles gesagt, kennen diesen Tag nur wenige. Ich verstehe nicht, warum manche die Zeit in „vor Corona und „nach Corona“ einteilen. Es gibt doch gar kein „nach Corona“, höchstens ein „mit Corona.

Besonders schmerzhaft erleben das all jene, die weiter unter Post-Covid leiden. In den Medien hört man von ihnen wenig – Corona klickt nicht mehr.

Und es gibt ja auch echt nichts Neues zu berichten. Wir wissen, dass viele Menschen arbeitsunfähig sind und dass es sogar Kinder gibt, die ihr Leben im Bett in dunklen Zimmern verbringen. Außerdem haben wir immer noch keinen Biomarker oder zugelassene Therapien für die Erkrankung (die unter dem Namen ME/CFS die Jahrzehnte vorher auch schon ignoriert wurde). Die Forschung benötigt dringend Geld und es werden noch Jahre vergehen, bis wirksame Medikamente auf den Markt kommen. Das ist auf Dauer ein langweiliges Thema. Nur die Erkrankten und ihre Familien, die zählen fassungslos die Minuten, bis sie endlich Hilfe bekommen.

Wenn so viele Leuten meinen, sie wüssten alles über Corona, warum behaupten sie dann, es sei wie ein Schnupfen und versuchen nicht mal sich oder andere zu schützen? Warum gibt es dann immer noch Ärzte, die ME/CFS nicht kennen und nicht vor Belastung warnen?

Wie kann es sein, dass sich Therapieversuche nur leisten kann, wer genug Geld hat?

Warum wird Eltern immer noch erzählt, Long Covid bei so jungen Menschen sei ein absoluter Einzelfall, sie hätten lediglich ihre eigenen Ängste auf ihr Kind übertragen und deswegen habe es nun dauerhaft Schmerzen, Übelkeit, Konzentrationsstörungen und krasse Erschöpfung? Warum gibt es noch Schulen, in denen betroffenen Kindern unterstellt wird zu simulieren und in denen sie bloßgestellt werden, statt sie mit Ruheräumen, reduzierten Stunden oder beim Heim­unterricht zu unterstützen?

Wie kann es sein, dass die Erkrankung immer und immer wieder für psychisch gehalten wird, obwohl sie gut von einer Depression zu unterscheiden ist – wenigstens solange der Mensch nicht durch die traumatischen Erfahrungen zusätzlich seelisch krank geworden ist? Warum hat man so wenig Vertrauen in die Einschätzung von Eltern, dass Jugendämter immer wieder „Inobhutnahmen“ veranlassen, um Kinder gegen ihren Willen in Psychiatrien einzuweisen? Und wie kann es sein, dass sich Therapieversuche nur leisten kann, wer genug Geld hat?

Ich hätte wirklich erwartet, dass es fast viereinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie deutlich mehr Wissen oder wenigstens Bewusstsein über Post-Covid und ME/CFS gibt. Immerhin sind es Schätzungen zufolge mittlerweile 140.000 erkrankte Kinder und Jugendliche und es kommen immer neue hinzu.

Aber bitte, wenn das Thema Corona vielen so sehr zum Hals heraushängt, können wir uns auch mit dem anscheinenden Ausbruch einer anderen Seuche beschäftigen. Diesmal handelt es sich tatsächlich um eine sehr seltene und psychische Erkrankung, die man sonst nur aus Fernsehkrimis kennt, wo die Täterin am Ende überraschenderweise die Mutter ist: Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Mütter machen ihre Kinder dabei absichtlich schwer krank, um sich dann selber durch ihre aufopferungsvolle Pflege und medizinisches Fachwissen in den Mittelpunkt zu stellen.

Komisch, dass diese Störung anscheinend gerade unter den oben genannten Familien der 140.000 absoluten Einzelfälle grassiert. Oder könnte es vielleicht sein, dass man mit dieser abstrusen Diagnose versucht, Eltern, die für die Gesundheit ihre Kinder kämpfen, mundtot zu machen, weil man sonst eigenes Versagen eingestehen müsste?

Eines ist aber sicher: Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom ist genau so wenig ansteckend wie ME/CFS. Darum können wir alle gefahrlos am nächsten Wochenende zum Awareness Day auf eine der Liegend-Demos gehen – stellvertretend für die vielen Erkrankten. Sie selber können nicht auf die Straße, sie liegen zu Hause und verschwinden aus dem Leben.

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Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
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2 Kommentare

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  • Sehr geehrte Frau Müller,

    Da Ihr Kollege Herr Valin "drüben" in taz.de/Ueberarbeit...rbezahlt/!6007340/ den nahen Bankrott der Pflegeversicherung erwähnt, wäre hier interessant, inwieweit bisherige LongCOVID zu dem Finanzierungsproblem beitragen haben könnten.

    Gibt es da kaum einen Effekt, eben weil die Erkrankung kaum anerkannt wird? Oder gibt es trotzdem einen, weil z.B. indirekt Kosten übernommen werden?

    So oder so sollte in einem Artikel darüber nicht fehlen, welche Schutzmöglichkeiten es immer (noch) gibt: Luftfilter in Kitas & Schulen, Masken, draußen sein, etc.

    Danke & alles Gute!

  • Danke für die Kolumne! :-)

    Leben mit Corona, überleben trotz "Long/Post Covid gehört anerkannt und unterstützt. Von der Forschung, der Rentenkasse und generell von allen Politikern und Medizinern.

    "Wegpsychologisieren", die "Psycho-Schiene" allgemein ist der vollkommen falsche Weg bei/mit den fiesen Viren. Ob Short-/Long- oder Post-Covid.