Arbeitslosenhilfe: Posse um Kürzungen
■ Sozialgericht rügt Gesetzgeber in Bonn
Einen „Skandal der Bonner Gesetzgeber“ für nichtig zu erklären – darum ging es Susanne Schweers gestern vor dem Bremer Sozialgericht. Sie klagte, weil das Bremer Arbeitsamt ihre Arbeitslosenhilfe gekürzt hatte. Das Gericht erklärte die Kürzung gestern tatsächlich für nichtig. Ein weiteres Urteil, das der Bundesanstalt für Arbeit bundesweit Millionenverluste bescheren dürfte.
Was war passiert? Im Juli vergangenen Jahres hatte das Bremer Arbeitsamt Susanne Schweers die Arbeitslosenhilfe um drei Prozent gekürzt. Das hätte aber erst im Mai dieses Jahres passieren dürfen. Ursache für die frühzeitige Kürzung war ein Possenspiel im Bundestag, das Susanne Schweers' Rechtsanwalt Bernd Rasehorn als „Rechtsbeugung“ bezeichnete. Ursprünglich wollte das Bundesarbeitsministerium die Kürzung der Arbeitslosenhilfe bereits zum April 1996 durchsetzen. Darum sollte auch allen Arbeitslosen, die bereits vor dem 1. April vergangenen Jahres Arbeitslosenhilfe bezogen, die Unterstützung sofort gekürzt werden. Allen anderen sollte eine Übergangsfrist von einem Jahr eingeräumt werden – so auch Susanne Schweers.
Durch Verzögerung des Bundesrates wurde diese Gesetzesänderung aber erst am 28. Juni 1996 verabschiedet. Darum fackelte die Bundesanstalt für Arbeit nicht lange und setzte als Stichtag einfach den 1. Juli fest. Zur Begründung berief sich gestern der Rechtsanwalt des Arbeitsamtes, Heinz Herbst, auf das Gesetz für Wachstum und Förderung (WFG). Denn darin war eben jener 1. Juli festgeschrieben. Damit fiel Susanne Schweers fürs Arbeitsamt unter die Personen, denen sofort gekürzt werden durfte.
Allerdings hat auch das WFG einen Haken. Es wurde erst am 27. September 1996 verabschiedet. Macht nichts, dachte man sich offenbar in Nürnberg, und hielt an dem „willkürlichen Stichtag fest“, so Rasehorn. Somit erging bereits im Juni an alle Arbeitsämter die Anweisung: Kürzen bei allen, die vor dem 1. Juli Arbeitslosenhilfe bekamen. Dazu Anwalt Rasehorn: „Das Arbeitsamt vermittelt den Eindruck, willkürlich Arbeitslose um ihr Geld bringen zu wollen.“ Diese Schelte wies Arbeitsamts-Rechtsanwalt Heinz Herbst zurück: „Das trifft höchstens auf die politische Ebene beim Ministerium zu.“ So ähnlich sah es auch Richter Horst Frehe: „Das Gesetz konnte verfassungskonform nicht angewendet werden. Man muß den Gesetzgeber daran erinnern, daß er an die Verfassung gebunden ist.“
Damit, daß Frehe den Verwaltungsakt für nichtig erklärte, existierte im Fall Schweers übrigens keine Einspruchsfrist mehr. Fazit: Nicht nur die BremerInnen, die Einspruch einlegten, sondern alle anderen Betroffenen können nun auf Gerechtigkeit hoffen. jeti
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