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PorträtDie gut geölte Gagmaschine

Nur einer von zehn gelernten Drehbuchautoren lebt tatsächlich von seiner Arbeit. Christian Eisert ist einer von ihnen. Er beliefert Harald Schmidt, Oliver Pocher und Kaya Yanar mit komischen Einzeilern.

Auch diese beiden Scherzkekse greifen hin und wieder auf einen von Eiserts Witzen zurück. Bild: AP

An einem der schönsten Tage in seinem Leben hat Christian Eisert zufällig zwei Jugendlichen zugehört, wie sie sich über eine Comedy-Sendung vom Vorabend unterhielten. Es ging um "Was guckst Du?" mit dem Stereotyp-Türken Kaya Yanar. Einer erzählte dem anderen einen Witz, den Yanar gemacht hatte. Eisert stand daneben und war einfach nur glücklich. Sie wussten es nicht, aber die beiden lachten über seinen Gag. "Was ist dagegen Sex?", dachte er.

Christian Eisert ist Drehbuchschreiber und Comedy-Autor. Er verfasst Oneliner, Einzeiler, Fernsehfließbandware. Kaya Yanar hat seine Gags vorgetragen, Harald Schmidt liest gelegentlich einen von der Pappe ab und neuerdings auch Oliver Pocher. Eisert ist ein Einmannzuliefererbetrieb für die Unterhaltungsindustrie. Jeden Donnerstagmittag kommt die Mail mit den Themen für die aktuelle Sendung in seinem Laptop an. Zwei, drei Stunden hat er anschließend Zeit zu überlegen. Dann schickt er seine DIN-A-4-Seite mit Einzeilern los: "Westdeutsche verbrauchen viel mehr Wasser als Ostdeutsche. Manche Ostdeutsche duschen morgens gar nicht. Die stauben sich nur ab." Dieser Gag lief im Sommer bei Harald Schmidt.

Etwas mehr als 100 Euro bekommt Eisert für jeden gesendeten Gag. Er schafft es nicht in jede Sendung. Deshalb freut er sich so sehr, wenn er mitbekommt, dass eine seiner Zeilen überlebt hat, auf der Straße erzählt wird, und dann auch noch von der werberelevanten Zielgruppe, dass der Witz nicht wie eine Eintagsfliege in den heißen Studioscheinwerfern verschmort ist.

Das entschädigt für die vielen stillen Stunden in seiner Wohnung, die ganze Zeit, die er in Zeilen investiert, die nie jemandem vortragen werden. Es entschädigt mehr als die oft überschaubare Bezahlung im Scherzgeschäft. Streiken, wie es zurzeit die amerikanischen Serienautoren tun, würde er wahrscheinlich trotzdem nie. Er ist nicht mal Mitglied in seinem Berufsverband.

Eisert, ein langer Typ mit eckiger Brille, kariertem Hemd und brauner Jeans, wohnt und arbeitet im siebten Stock eines Neubaus auf der Fischerinsel. Abends sieht er von hier oben, wie sich die Lichter der Häuser als orange Flecken in der Spree spiegeln. Vor seinem Schreibtisch schlängeln sich die Schienen einer Lego-Eisenbahn über eine große Sperrholzplatte. Er besitzt vier davon, im Augenblick ist die Western-Variante aufgebaut, mit Indianerzelt und Cowboys. In den beiden Regalen stehen einige Nachschlagewerke, Lexika, Zitatsammlungen, Rhetoriktrainer. Auf einem: ein Oscar-Imitat.

Seine Arbeit, sagt Eisert, hat wenig mit Talent zu tun: "Das ist ganz viel Handwerk, Baukasten, Mechanik." Oneliner haben immer dieselbe Grundstruktur. Er fabriziert sie mit einer bestimmten Denkmethode. Wenn er arbeite, würden sich Muster in sein Hirn prägen, sagt er. Es ist wie mit einer dieser Nagelwände. Wenn man mit der Hand hineindrückt, bleibt ihr Abdruck zurück. Eisert verbringt sehr viel Zeit damit, die Abdrücke wieder aus seinem Hirn zu kriegen, damit sein Blick frisch bleibt. "So lange wie man arbeitet, so lange muss man sich auch erholen", sagt er. Wenn er acht Stunden im Büro verbringt, muss er vier davon mit Lego spielen, Wäsche aufhängen oder mit dem Hund spazieren gehen.

Weil es zu schwierig wäre, alleine von den Gags zu leben, schreibt er auch Drehbücher und gibt Seminare. Er hat, nachdem er Theaterwissenschaft, Germanistik, Film und Fernsehen in Bochum studiert hatte, eine Drehbuchschule besucht. Zurzeit arbeitet er an mehreren Projekten, konstruiert Filmplots und liefert Material für einen Berliner Kabarettisten. "Alles geheim, geheim", sagt er. Eine verschwiegene Branche. Allgegenwärtig die Angst, jemand könnte eine Idee klauen.

Es läuft für Eisert mittlerweile ganz gut, seine Agentin kümmert sich um die Aufträge und die Verhandlungen. Die Zahlungsmethoden unterscheiden sich deutlich. Mal gibt es das Geld sofort, mal bei Drehbeginn, manchmal folgen Teile auch erst bei der Ausstrahlung. "Bei manchen Produzenten reicht der Handschlag, bei anderen nicht einmal ein Vertrag", sagt Eisert.

Die Anfangszeit war hart. Er gab nebenbei Nachhilfe, und es hat trotzdem kaum zum Leben gereicht. Das ist keine zwei Jahre her. Von zehn Leuten aus einem Drehbuchschulen-Jahrgang schaffen es etwa ein oder zwei, irgendwann damit Geld zu verdienen. Er ist einer von ihnen. Im Augenblick zumindest. "Ich bin mir sehr bewusst, dass es jederzeit wieder vorbei sein kann", sagt er.

Ein Autor arbeitet meist mit einem Redakteur zusammen. Wenn die Quoten nicht stimmen, fliegen diese Redakteure schnell raus. "Meist fliegen sie anschließend auch wieder irgendwo rein", sagt Eisert. Aber nicht immer ziehen sie ihre Autoren mit.

Er war selbst schon Chefautor einer Sendung, die jedoch floppte. Ein Comedy-Format auf Kabel1 mit Mike Krüger und einem Lockvogel. In dieser Zeit hat er die Ruhe seiner Wohnung mit den zusammengesammelten Möbeln, den Regalmetern von Donald-Duck-Heften, verlassen und im Büro gearbeitet. Als er die anderen Autoren kennenlernte, war er zunächst etwas geschockt. Unglaublich aufgekratzt waren alle. "Die Gagmaschine lief", erinnert er sich. Wortspiele, Tabubrüche. Irgendeiner wollte eben noch Karaoke an der Playstation singen. "Schaltet ab, ihr habt ne Meise", dachte Eisert erst. Später hat er einfach mitgemacht. "Die Leute von der Buchhaltung haben sich dann immer beschwert, dass wir so laut lachen."

Wahrscheinlich ist es auch seine Entschlossenheit, die ihn relativ weit gebracht hat. Mit dem Schreiben hat er zu DDR-Schulzeiten in einem Pionier-Kurs angefangen. In einem Text machte er Autos zu handelnden Figuren. Sie hießen nicht nur "Opa Otto Opel", sondern auch "Trabi trostlos" und "Trabi trotzig". Die Geschichte sollte für einen Wettbewerb eingereicht werden, aber ein Funktionär fand, dass damit das Volksgefährt der DDR verunglimpft werde. Also schnitt die Leiterin des Schreibkurses den Briefkopf mit der Pionieradresse ab. Christian Eisert gewann als Einzelperson.

Später hat er Satire-Bücher geschrieben und eigene Programme entwickelt. Er las in Stadtbibliotheken und Kurhäusern, eine völlig andere Welt als das Fernsehuniversum, dem er die Stoffe liefert. Heute ist er seltener mit seinen Büchern in der Provinz unterwegs. Er arbeitet an der Autorenkarriere, knüpft Netze, die ihn vielleicht auffangen, wenn es einmal weniger zu tun gibt. Eisert studiert den Markt, er kennt sämtliche Comedians, viele Serien. Er analysiert ihre Maschen.

Manchmal sind die sehr simpel. Bei Kaya Yanar hat sich alles an wenigen Schlagwörtern entlang entwickelt: Goldkettchen, 3er-BMW, tiefer gelegt, Döner. Die Perspektive war: "Ich bin Türke und ihr Deutschen seid seltsam." Die Gags, die herauskamen, hießen dann etwa: "Es wird jetzt das erste türkische Altersheim eröffnet. Die Betten sind natürlich tiefer gelegt."

Wenn Sie nicht von einem Comedian marktschreierisch hinausposaunt werden, sondern wenn Eisert sie einfach nur dahinerzählt, können sie hohl klingen wie ein leerer Öltank. Er merkt das manchmal auf Partys, wenn jemand ruft: Kommt mal alle her, hier ist ein Drehbuchautor. Dann erzählt Eisert einen Oneliner und anschließend schauen die Leute etwas betroffen. Es sind Scherze für ein ganz bestimmtes Medium. Und Geschmackssache sind sie sowieso.

Zur Vorbereitung studiert Eisert Menschen, Lebenswelten, stellt sich in eine Einkaufspassage und beobachtet nur die Blonden, die Schwarzhaarigen, die Leute mit hellen Jacken. Er kauft CDs von Frauen, die er schön findet, um sich Musik zu erschließen, die er sonst nie hören würde. So hatte er ein Album von Norah Jones, lange bevor sie berühmt wurde. Er liest jedes noch so kleine Schild. Sein liebstes steht irgendwo in Berlin: "Universalloch." Daneben eine Grube. Er speichert permanent Material, das er irgendwann vielleicht noch einmal gebrauchen könnte. Eisert ist dafür bereit, sich auf Dinge einzulassen.

Neulich, am Hamburger Hauptbahnhof, hat ihn ein Mann angesprochen und gefragt, ob er fünf Euro verdienen will. Er müsse nur seine Freundin von einer Bank abholen und sie zu ihm führen. Eine Überraschung. Eisert überlegte einen Augenblick, dann sagte er ja. Er solle "Hallo mein Prachtstück" zu ihr sagen und sie dann herbringen, sagte der Mann. Eisert stellte sich vor die Frau, die mit geschlossenen Augen auf einer Bank saß. Er räusperte sich: "Guten Tag." Keine Reaktion. "Äh, hallo, mein Prachtstück." Sie ließ die Augen zu und stand auf. Er führte sie zu dem Mann. Die beiden umarmten sich. "Die Pointe?", fragt Eisert. "Es gibt keine. In dem Moment kam mein Zug." Es könnte aber noch eine daraus werden. Irgendwann.

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