Porträt von Paula Modersohn-Becker: Drei gute Bilder und ein Kind

„Paula“ von Christian Schwochow erzählt eine verblüffende Romanze und die bewegte Geschichte von der Emanzipation einer Malerin.

Im roten Licht einer Bar betasten zwei Frauen eine Skulptur.

Paula Modersohn-Becker und ihre Freundin Clara Westhoff in Paris Foto: Pandora

Sie kichert, gackert, brummelt und kreischt. So hat sich wohl kaum jemand die Ikone des Feminismus und der modernen Kunst, Paula Modersohn-Becker, vorgestellt. Sie ist nicht ernsthaft, sondern übermütig, nicht radikal, sondern eigenwillig, nicht visionär, sondern neugierig.

Carla Juri spielt die expressionistische Malerin sehr expressiv (der Kalauer drängt sich auf) und wirkt so modern und authentisch. Und nicht nur dadurch ist „Paula“ weder ein Kostümfilm, obwohl natürlich alle Kostüme aus der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts tragen, noch eine konventionelle Filmbiografie, obwohl so gut wie alle handelnden Figuren historische Persönlichkeiten und KünstlerInnen sind.

Stattdessen erzählt Christian Schwochow hier eine Liebesgeschichte. Der Film beginnt damit, dass die 24 Jahre alte Bremerin Paula Becker im Jahr 1900 in die Künstlerkolonie Worpswede im Teufelsmoor kommt. Gleich in den ersten Minuten des Films versucht der Platzhirsch der dort lebenden Künstlerkolonie, Fritz Mackensen, sie zuerst mit überheblichem Spott und dann sogar handgreiflich dazu zu zwingen, so zu malen, wie es sich nach seiner Meinung gehört.

„So sehen Sie das?“

Doch sein Freund und Kollege Otto Modersohn schaut sich ihr Stillleben an und fragt erstaunt: „So sehen Sie das ?“ So beginnen große Romanzen im Kino. Mit der Bildhauerin Clara Westhoff findet Paula auch schnell ihre lebenslang beste Freundin, und in einer Szene, die seltsamerweise wie ein Zitat aus Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ wirkt, aber historisch verbürgt ist, läuten die beiden „Malweiber“ ausgelassen die Glocken auf dem Worpsweder Kirchturm.

Zu der Künstlerkolonie zählten damals Heinrich Vogeler, Fritz Oberbeck und als Beobachter, der sie zuerst mit einem Buch feierte und später von Paris aus als „Kleingartenverein“ heruntermachte, Rainer Maria Rilke. Er hat seinen ersten Auftritt im Kostüm eines russischen Bauern bei einer Abendgesellschaft, und auch sonst wirken die renommierten Künstler immer ein wenig komisch, wenn sie sich etwa mit Baskenmütze gockelhaft stilisieren wie Vogeler oder nach einem Streit zu einem Duell mit Offiziersuniform und Pickelhaube erscheinen wie Mackensen.

„Münder wie Wunden, Nasen wie Kolben, Hände wie Löffel“ beschreibt Otto einmal ihren Malstil

Diese Sequenzen setzen die komödiantischen Kontrapunkte zu der mit viel Leidenschaft inszenierten Geschichte von Otto und Paula. Nach der schwärmerischen Frühlingszeit ihrer Liebe und Hochzeit gibt es einen Zeitsprung von fünf Jahren, der stimmig mit einem Schnitt in eine winterliche Schneelandschaft vollzogen wird. Der Grund, warum es auch in ihrer Ehe so eisig geworden ist, sind die sexuellen Probleme der beiden. Und so ist eine verblüffende, aber durch vor einigen Jahren veröffentlichte Briefe belegte These des Films, dass Paula nicht nur wegen der Kunst nach Paris ging, sondern auch, weil Otto nicht mit ihr schlafen wollte oder konnte.

Erfüllung in der Betrachtung

Deshalb gibt es auch ein paar Bettszenen im Film, von denen die letzte mit einer Einstellung endet, zu der Schwochow sich durch die Bilder des „Bed-In“ von John Lennon und Yoko Ono inspirieren ließ. Doch wirkliche Erfüllung sieht man auf dem Gesicht von Albrecht Abraham Schuch als Otto Modersohn in der Szene, in der er Paula zum ersten Mal in Paris besucht und in ihrem ärmlichen Mietzimmer die Bilder sieht, die sie dort gemalt hat.

„Paula“. Regie: Christian Schwochow. Mit Carla Juri, Albrecht Abraham Schuch u. a. Deutschland/Frankreich 2016, 123 Min.

Und in diesem Sinne ist dies dann doch auch ein gelungenes Künstlerporträt. Denn der Film zeigt, wie seine Protagonistin malt, wie sie dabei manchmal mit dem Pinsel auf die Leinwand schlägt und einmal sogar ein fertiges Gemälde zerschneidet, weil sie nur mit einem kleinen Teil davon zufrieden ist. Er zeigt, unter welchen Bedingungen und warum einige ihrer berühmtesten Bilder entstanden sind und dass die meisten Zeitgenossen sie für Gekritzel hielten.„Münder wie Wunden, Nasen wie Kolben, Hände wie Löffel“ beschreibt Otto einmal im Streit ihren Malstil.

Rilke ist dagegen von dem berühmten Porträt, das sie von ihm gemalt hat, erschüttert: „Das sind Sie!“, sagt Paula, als sie es ihm entgegenhält, und es ist klar, dass es ein vernichtendes Urteil ist.

Ein 30 Jahre alter Plan

Dies ist eine von den vielen souverän inszenierten, vor allem aber pointiert geschriebenen Schlüsselszenen des Films. Die Autoren Stefan Kolditz und Stephan Suschke haben schon 1988 in der DDR begonnen, an einem Drehbuch über Paula Modersohn-Becker zu arbeiten, und nach fast 30 Jahren ist es nun gut abgehangen. Jedes Detail ist genau recherchiert, aber die beiden waren mit dem Material so vertraut, dass sie frei und erfindungsreich damit umgehen konnten.

So mögen viele Situationen und Dialogsätze ursprünglich aus Briefen und anderen Aufzeichnungen kommen, aber sie wurden dann so umgestaltet und poliert, dass sie im Film immer spontan und natürlich wirken. Dies gilt auch für Paulas Satz, sie sei zufrieden, wenn ihr in ihrem Leben „drei gute Bilder und ein Kind“ gelingen würden. Sie war dann die erste Künstlerin, für deren Werk ein ganzes Museum gebaut wurde.

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