Porträt einer St.Pauli-Legende: „Musik ist wie Drogen, nur besser“
Ulli Koch ist Putzkraft im Pudel Club auf St. Pauli. Er saß im Knast mit Konrad Kujau, trank Wodka mit Campino – und hat viel zu erzählen.
Noch friedlich schlummernd liegt der Golden Pudel Club neben dem Park Fiction, im Zwielicht eines verregneten St.-Pauli-Samstagvormittags. Mülleimer, Kehrblech und Handfeger empfangen uns an der Außentreppe, im Pudel-Inneren riecht es nach dem kalten Rauch wummernder Nächte und Wischwasser. Ulli Koch ist schwer in Aktion. Ob wir irgendwie helfen können? „Das ist nett, aber nee, dann dauert das doppelt so lange.“
Er stellt den Wischmopp beiseite. Dass dieser Ort sein zweites Wohnzimmer ist, hätte der 65-Jährige gar nicht sagen müssen. Man fühlt es sofort. Koch ist ein aufmerksamer Gastgeber, serviert über die Theke vorzüglichen Espresso und macht sich selbst einen Tee mit einigen Löffeln Zucker. Zuvor wischt er noch die Theke ab. Er trägt einen verwaschenen roten Hoodie und eine marineblaue Wollmütze mit der Aufschrift „Fish or die“.
Der unauffällige Eindruck täuscht und rührt vielleicht noch von gewissen Zeiten her, die Ulli Koch den Spitznamen „Graue Eminenz“ bescherten. Öffentlichkeitsscheu ist Uli Koch allerdings nicht. So trat er etwa 2013 in einem Musikvideo von Tocotronic auf, natürlich im Pudel gedreht: „Ich will nüchtern für dich bleiben“. Ein Motto, das Ulli Koch, im Jahr 2012 zu seinem eigenen machte. Bis dahin war es ein langer Weg, ausführlich nachzulesen in seiner Autobiografie mit dem klingenden Titel „Ulli, illegal“ (2020), verfasst zusammen mit Daniela Reis (Ex-Schnipo Schranke).
Abgeschoben ins Heim
Geboren in Marne bei Dithmarschen, verbrachte Ulrich Koch die ersten Jahre bei den Großeltern. Einfamilienhaus, Hühner, Pferde, großer Garten – „behütet halt“. Die Mutter fuhr als Servicekraft zur See. Zurück kam sie eines Tages mit neuem Mann im Schlepptau. Sie zogen nach Westfalen und schleppten Ulli mit. Ein Stiefbruder wurde geboren und Ulli, inzwischen 6 Jahre alt, abgeschoben ins Heim nach Rendsburg-Schleife.
Schon da hat er die größten Verbrecher kennengelernt, wie er sagt, später traf man sich wieder. Mit 13 Jugendarrest, 110 Autos geknackt, einmal erwischt worden. Na ja, passiert. Es folgten weitere Gefängnisaufenthalte, und auch, wenn er natürlich lieber frei gewesen wäre: Gelernt hat Ulli Koch im Knast so einiges.
Das Zeichnen zum Beispiel, wenn auch zunächst aus pragmatischen Gründen. Im Popart-Stil porträtierte er Mitinsassen mit ihren jeweiligen Tatwaffen und verkaufte seine Werke dann für 20 Mark pro Stück, oder tauschte gegen Tabak und Obst. Wenn Ulli, einmalig verschmitzt, von diesen Zeiten erzählt, fügen sich die cremefarbenen Gitter, die aus jenen Zeiten stammen, als der Pudel noch ein Schmugglergefängnis war, sehr passend in den Hintergrund.
Nach Hamburg ging es quasi direkt aus dem Knast. Sein Onkel, Norbert Karl (verstorben 2004), Betreiber legendärer Szenelocations wie dem Tempelhof und dem Sorgenbrecher, glaubte immer an ihn und holte ihn her. Am Theater Kampnagel entdeckte Ulli seine Begeisterung für die Kunst weiter, leider aber auch das Kokain. Das Heroin kam wenig später.
Ende der 1980er saß er wieder ein, in der berüchtigten JVA Fuhlsbüttel, im Volksmund „Santa Fu“ genannt, gleichzeitig mit dem späteren Reemtsma-Entführer Thomas Drach sowie Konrad Kujau, dem Fälscher der „Hitler-Tagebücher“. Interessiert spähte Ulli dem prominenten Mithäftling beim Zeichnen über die Schulter. „Ich habe dann auch versucht, einen Hundertmarkschein zu kopieren“, erzählt Ulli, sehr nüchtern, wie er heute ist. „Aber dafür muss man wirklich ein Meister sein, und das war ich nicht.“
Junge für alles
Nach der Entlassung gab Onkel Norbert ihm eine weitere letzte Chance und nahm den zwar süchtigen, aber eben auch grundpatenten Neffen mit an Bord des „Raumschiffs Pudel“, kurz nachdem Norbert Karl 1989 zusammen mit Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun das bis dato leerstehende, über dem St.-Pauli-Fischmarkt hockende Hexenhäuschen gepachtet hatte. Zu dieser Zeit noch mitten in der Entgiftung, heuerte Ulli im Pudel (der vorher im Schanzenviertel ansässig und noch nicht golden war) als Junge für alles an, schlug überflüssige Wände mit dem Vorschlaghammer ein, schippte Schutt- und Sandberge weg.
In den frühen 1990ern war hier noch vieles anders, noch nicht so viel Elektronik-Dancefloor zum Beispiel, dafür Thementage zu verschiedenen Musikgenres, wie HipHop. Einer, der in dieser Zeit häufig im Pudel abhing, war der Rapper Jan Delay, damals so um die süße 16. „Der hat hier sozusagen in der Sandkiste gespielt. Und auch gleich seine Beginner mitangeschleppt.“ Ulli Koch erinnert sich gern und zeigt auch die Ecke im Pudel, in der er einst mit Nina Hagen plauderte. Eine besondere Nacht war auch die mit Campino im Außengehege durchzechte, der Wodka floss in Strömen, weshalb sich niemand an Details erinnert.
Während wir so dasitzen, fast im Dunkeln, huschen die Glitzerschatten vergangener Nächte an den Wänden entlang. In Ullis Laterna magica sind so viele Geschichten, dass ein einziges Buch über ihn eigentlich gar nicht reicht. Heute lebt er nicht mehr ganz so wild. Lieber baut er Lego und Lebkuchenhäuser mit Enno, dem 6-jährigen Sohn seiner Freundin – das Bäckerhandwerk erlernte Ulli in der JVA Neumünster.
Dann ist da auch noch die Musik, und davon gibt’s im Pudel ja genug. Elektronisches ist zwar eher nicht so sein Ding, lieber handgemachtes wie Bob Dylan. Chris Imler zum Beispiel fand er aber schon cool, auch DJ Koze hat ihn beeindruckt, nicht nur, weil die Leute da bis zum Hein-Köllisch-Platz Schlange stehen, um in den Pudel reinzukommen. „Ich habe auch versucht,„Musik ist wie Drogen, nur besser, ganz einfach“, findet Ulli, der selbst ein bisschen Gitarre und Bass spielt, hat er in der Therapie gelernt.
Skulpturen aus urbanem Treibgut
Auch die bildende Kunst begleitete ihn weiter. Neben dem Zeichnen brachte er sich das Tätowieren bei, baute Skulpturen aus urbanem Treibgut, stellte seine Arbeiten 2017 im Pudel aus und rezitierte dazu aus seinem Manuskript. „Hier Dinge zu erledigen, hat für ihn den gleichen Stellenwert, wie sein Buch zu schreiben oder seine Bilder zu malen“, so Pudel-Mitbetreiberin Charlotte Knothe. „Alles, was er tut, lädt Ulli Koch mit seiner Authentizität auf. So wird alles zu seiner Kunst. Deshalb ist Ulli für mich einer der größten Künstler.“
Ob er sich selbst als Künstler versteht? „Lebenskünstler, ja.“
Auch Überlebenskünstler? „Nee“, sagt er. „Das machen eher andere für mich. Ärzte.“
Sucht ist eben kein Gegner, den man mit nur einem Faustschlag ausknockt. Ulli Koch aber auch nicht. Schon dreimal sprang er dem Tod von der Schippe, erstmals 1991 – das Jahr, in dem er rock bottom erreichte. Überdosis, multiples Organversagen, die Lunge kollabiert. Es steht schlecht um ihn. Die Pudel-Familie reist an, um ihn vom frühzeitigen Abtreten abzuhalten, Rocko schaltet sich per Telefon dazu. „Ulli, was machst du denn für Sachen? Du kannst uns doch jetzt nicht allein lassen.“
„Okay“, beschließt Ulli daraufhin: „Eine Runde geht noch.“
Gesagt, getan. Ulli kommt zurück, schwört schließlich den Drogen ab. Dem Pudel steht er weiterhin in jeder Lebenslage zur Seite, wie etwa nach der Brandstiftung in jener Nacht zum 14. Februar 2016. Nacht für Nacht schob Ulli damals Wache, half mit aller Kraft beim Wiederaufbau. „Es ist nicht alles tot, was tot aussieht“, weiß er, und auch, was den Pudel angeht, sollte er zum Glück recht behalten.
Die Sucht ist allerdings ein Gegner, der oft, auch wenn er besiegt scheint, seinen Zoll schon lange kassiert hat. Verunreinigte Substanzen haben Ullis Lunge und Beinvenen schwer geschädigt. Mehr als die zweiwöchentlichen Kurzschichten im Pudel sind an Arbeit nicht mehr drin. Das eine Jahr bis zur Rente, das will er auf jeden Fall noch durchziehen. Unabhängig davon: Ulli Koch war, ist und bleibt Teil der Pudel-Familie und ein gern gesehener Partygast. Ob er sich beim just bestätigten Konzert der russischen Künstlerin Diana Burkot (Pussy Riot) am 29. März blicken lassen wird? – „Logo.“
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