Porträt Fabio Reinhardt (Piraten): Der gute Lobbyist
Er war flüchtlingspolitischer Sprecher der Piraten – nach der Wahl will Fabio Reinhardt Chefs davon überzeugen, Flüchtlinge einzustellen. Das Porträt eines Überzeugten.
Es begann mit einer kleinen Demo am Oranienplatz 2013. Etwa 25 Flüchtlinge aus der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule protestierten dort an einem Montagmorgen im April gegen „Pauschalkriminalisierung“ und gegen einen Einsatz, bei dem Polizisten die Schule auf der Suche nach Straftätern gestürmt hatten und dabei brachial vorgegangen waren.
Eigentlich sollte die Demo an der Stresemannstraße – wo die Bannmeile um das Berliner Abgeordnetenhaus anfängt – enden. Doch Fabio Reinhardt erklärte die Teilnehmer kurzerhand zu seinen Gästen und lud sie zur Diskussion in das Parlament ein. Bis in die Sitzung des Innenausschusses, um dort Innensenator Frank Henkel (CDU) zur Rede zu stellen, gelangten die Flüchtlinge zwar nicht.
Doch immerhin stand die Aktion am nächsten Tag in allen Zeitungen. „Flüchtlinge von öffentlicher Sitzung ausgesperrt“, titelten Zeitungen – dank Reinhardts spontaner Einladung. Zu seinem Thema ist der flüchtlingspolitische Sprecher der Berliner Piratenfraktion schon im Studium gekommen. An der TU Braunschweig war er als Mitglied im Studierendenparlament im Finanzausschuss, der kleinere Darlehen an Studenten vergeben konnte. „Es waren sehr viele Studierende dabei mit unsicherem Aufenthaltsstatus, viele aus Afrika, die sich das Studium ohne die Unterstützung nicht leisten konnten. Da habe ich angefangen, mich mit Aufenthaltsrecht, Status und Migration zu beschäftigen.“
Dass er damit bei den Piraten landete, hat sich eher nebenbei ergeben. Zu der Partei ist er über sein Interesse an Informationsfreiheit und Datenschutz gekommen. Das Thema Flucht und Migration hat er dann in die Piratenpartei hereingetragen. „Damals hat sich ja kaum jemand mit Asylpolitik beschäftigt, und wenn, dann war das sehr links besetzt“, sagt er.
geboren 1980 in Warendorf, lebt seit 2009 in Berlin. Er hat Neuere Geschichte und Politikwissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig studiert und trat 2007 in die ein Jahr zuvor gegründete Piratenpartei ein.
Seit 2011 Sprecher für Integrations- und Flüchtlingspolitik der Piraten-Fraktion sowie Mitglied im Hauptausschuss. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 kandidiert er als Direktkandidat für die Piraten in Friedrichshain-Kreuzberg.
„Zugang, Partizipation, gleiche Rechte“
Reinhardt wollte das Thema aus der ganz linken Ecke herausholen. Die Piraten boten ihm seiner Ansicht nach dafür eine gute Basis. „Letztendlich ging es um Zugang, Partizipation und darum, dass alle Menschen gleiche Rechte haben. Und im Asylbereich klaffen der menschenrechtliche Anspruch und das gelebte Recht in der Praxis ja am krassesten auseinander“, sagt Reinhardt. Aus der Partei hat er dafür viel Zuspruch bekommen.
Flucht und Migration – das sind für Reinhardt derzeit zentrale gesellschaftliche Konfliktlinien. „Gerade bei den Geflüchteten am Oranienplatz konnte man das gut sehen: Wenn Menschen mehr Rechte und mehr Beteiligung wollen, müssen sie sich das selbst erkämpfen. Das war bei der Arbeiterbewegung so, bei der Frauenbewegung – und ist jetzt bei den Refugee-Protests auch so.“
Fabio Reinhardt
Die O-Platz-Proteste seien wichtig gewesen, um die Probleme sichtbar zu machen. Reinhardt glaubt, dass es wieder zu Protesten kommen wird: „Bei den neu angekommenen Geflüchteten fehlt noch der Funke. Das wird aber noch kommen, da werden sich Gruppen finden und Emanzipationsbewegungen entstehen.“ Die meisten seien noch sehr mit sich selbst beschäftigt, warteten darauf, einen sicheren Status zu bekommen, wobei ihnen Gesetzesverschärfungen zu schaffen machten: „Viele haben derzeit wohl eher das Gefühl, viel verlieren und wenig gewinnen zu können. Das war bei der O-Platz-Bewegung anders.“
Protest ist seiner Ansicht nach aber notwendig. „Ich befürchte, dass wir wenig positive Entwicklungen im Bereich Flucht und Asylrecht haben, wenn die Geflüchteten ihr Schicksal nicht wieder selbst in die Hand nehmen und sich dabei auch als emanzipatorische Bewegung verstehen.“
Als Unternehmer etwas verändern
In seinem Büro in der Kreuzberger Naunynstraße war und ist der Abgeordnete Reinhardt ansprechbar für alle, die mit einem Anliegen kommen. Etwa für einen jungen Mann, der bald 18 Jahre alt wird – und dessen Mutter dann abgeschoben werden soll. Reinhardt macht Notizen, kopiert sich einzelne Seiten der mitgebrachten Akten, sagt, dass er weitere anfordern wird und die Mutter bei einem Härtefallantrag unterstützen kann.
In der Landespolitik hat Reinhardt sich viel mit den Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften beschäftigt, Anfragen gestellt, Standards hinterfragt und auf Missstände hingewiesen. Die Unterbringung ist im Gegensatz zum Aufenthaltsrecht oder der Residenzpflicht Landesaufgabe – da konnten sie mehr erreichen: etwa, dass Standards diskutiert und Betreiber wieder kontrolliert wurden.
Nach der Wahl möchte Reinhardt weiter im Flüchtlingsbereich arbeiten. Als Abgeordneter wird er das wohl nicht mehr tun können, da die Piraten voraussichtlich nicht wieder ins Abgeordnetenhaus gewählt werden – er will das Thema künftig außerparlamentarisch vorantreiben.
Mit zwei Partnern hat er eine Firma gegründet, die Unternehmen in Integrationsfragen beraten soll. „Wir wollen Unternehmen überzeugen, dass sie sehr davon profitieren, wenn sie Geflüchtete einstellen, dass es ihre Marke stärken kann.“ Dass die Botschaft, Flüchtlinge könnten der Wirtschaft nützen, eine andere ist, als die Forderung, alle ohne Bedingungen willkommen zu heißen, ist ihm klar. „Wir sind aber nicht Pro Asyl, sondern richten uns an Geschäftsführer“, sagt er: „Wenn wir die überzeugen können, können wir darüber auch das gesellschaftliche Klima verändern.“
Er will Pirat bleiben
Hakan Taş, flüchtlingspolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus, schätzt die Zusammenarbeit mit Reinhardt. „Er war eine große Bereicherung, wir haben gemeinsam vieles initiiert. Ich hoffe, dass die Lücke, die er lässt, anders geschlossen werden kann“, sagt Taş.
Seine Grünen-Kollegin Canan Bayram äußert sich vorsichtiger: „Wir waren nicht immer einer Meinung, haben aber gemeinsame Anträge gestellt. Ich habe in der Zusammenarbeit mit ihm Vorsicht walten lassen und hatte das Gefühl, mich nicht so sehr auf ihn verlassen zu können wie auf Hakan Taş“, sagt sie. Und dass sie erstaunt sei, dass er nun in die Unternehmensberatung ginge.
Erst mal wird es für Reinhardt wohl auf eine Politikpause hinauslaufen. Er schließt aber nicht aus, irgendwann für eine andere Partei tätig zu sein. Den Piraten fühlt er sich im Gegensatz zu anderen Fraktionsmitgliedern, die aus der Partei ausgetreten sind, weiter zugehörig.
„Nach ein paar Jahren die Partei und die Fraktion zu wechseln, obwohl ich nach wie vor mit den Zielen der Piraten komplett einverstanden bin, nur um mir das Mandat zu sichern, das will ich nicht. Alle sagen, dass sie das aufgrund inhaltlicher Differenzen machen. Und die meisten lügen dabei. Ich finde das schäbig.“
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