Pornomesse Venus in Berlin: Stets zu Diensten
Auf der Venus treffen Fetischshows auf KI-Sexbots. Für Ana Lingus ist Sexarbeit Leidenschaft, doch sie kämpft mit Zensur und Stigmatisierung.
Zwischen den Bühnen und Ständen laufen Frauen in Dessous herum, trinken Sex on the Beach und „Bumms Schorle“. Eine Frau mit Glitzersternen auf den Nippeln spreizt ihre Beine und masturbiert – sabbernde Männerscharen filmen. Plötzlich riecht es nach Hähnchen. Wenige Meter weiter brät der Vietnam Gourmet Truck Chicken Noodles.
Die Venus findet wieder statt, die größte internationale Fachmesse der Pornoindustrie. In den Messehallen unter dem Funkturm werden an diesem Wochenende zum 28. Mal die neuesten Dienstleistungen und Produkte der Branche präsentiert. Die Veranstalter*innen rechnen mit mehr als 30.000 Besucher*innen.
Auf der Messe tummelt sich das Who-is-Who der Erwachsenenindustrie. Internationale Pornostars, Cam-Girls, Influencer und Content Creator machen Shows und geben Autogrammstunden. Im Business-to-Business-Bereich vernetzen sich Plattformen, Creator, Agenturen und Dienstleister. In Vorträgen geht es um Themen wie KI in der Erwachsenenindustrie, Creator-Monetarisierung, Anti-Piracy und Payment-Lösungen. Anbieter wie TantumPay werben mit anonymen Zahlungsmöglichkeiten, andere Start-ups stellen KI-Tools gegen Leaks, Deepfakes oder Fake-Accounts vor.
Denn die Erwachsenenindustrie hat in Deutschland mit erheblichen Hürden zu kämpfen. Sexarbeiter*innen und Pornodarsteller*innen leiden unter gesellschaftlicher und politischer Stigmatisierung und Diskriminierung: Ihre Inhalte werden auf Tech-Plattformen gesperrt und entfernt, ihre Dienstleistungen von Banken und Zahlungsdienstleistern eingeschränkt.
Videos on demand
Diese Erfahrung hat auch Ana Lingus gemacht: „Mein Instagram-Account mit über 55.000 Followern wurde wiederholt geblockt, obwohl ich nicht gegen die Richtlinien verstoßen habe“, erzählt sie. Lingus, die unter Pseudonym arbeitet, hat blonde Haare und trägt eine schwarze venezianische Maske. Sie steht vor einem Strandpanorama mit türkisem Meer und Palmen. Auf dem Boden stehen Plastikpalmen, Liegestühle und aufblasbare Plastikflamingos.
Die Quasi-Côte-d’Azur in der Messehalle ist der Stand der Porno-Plattform Fansyme, die Lingus auf der Venus repräsentiert. Die 23-Jährige ist seit fünf Jahren Creatorin, seit vier Jahren ist sie auf der Venus. Mit ihrem Partner, Mr. Lingus, macht sie vor allem Live-Cam-Streams und Inhalte für Abo-Plattformen wie OnlyFans und Fansyme, wo Fans direkt mit ihr chatten können.
Schon als Teenagerin suchte Lingus nach Möglichkeiten, sich online zu zeigen. Ihre Bilder seien jedoch regelmäßig auf Social Media Plattformen gelöscht worden, weil sie gegen die Richtlinien verstießen, erzählt sie. „Ich war frustriert, weil ich das Bedürfnis hatte, mich zu zeigen, aber nicht konnte.“ Mit 18 entdeckte sie dann Camsites und Plattformen für sich: „Ich bin froh, das gefunden zu haben“, sagt Lingus heute.
Wie viele Creator und Sexarbeiter*innen arbeitet sie gern und aus freien Stücken in der Branche – doch das tun nicht alle. Die Venus steht seit Jahren in der Kritik, geschlechtsspezifische Diskriminierung zu verharmlosen und Ausbeutung von Frauen und Missbrauch in der Branche zu ignorieren. Zu den Hauptsponsoren der Messe zählen die großen Pornoplattformen MyDirtyHobby, Stripchat und BongaCams. All diese Unternehmen stehen häufig in der Kritik wegen verschiedener ethischer, sozialer und arbeitsrechtlicher Fragen. Auf der Venus scheint das die wenigsten zu stören: Am Stand des Berufsverbands Sexarbeit heißt es: „Natürlich gibt es Fälle von Ausbeutung und Missbrauch. Aber letztlich ist das wie in jeder anderen Branche auch. Es gibt Läden, in denen man lieber und in denen man weniger gern arbeitet.“
Lingus strahlt: „Ich liebe die Arbeit. Es ist auch ein tolles Gefühl auf der Venus meine Fans kennenzulernen.“ Auf den Abo-Plattformen sieht sie meist nur die Namen ihrer Fans, auf der Venus kommen viele zu ihrem Stand und stellen sich vor. „Die freuen sich richtig einen zu sehen“, erzählt sie. So etwa ein älterer Mann mit grauen Haaren, der Stunden vor ihrem Stand verweilt. Er trägt ein Fan-Shirt von Ana Lingus.
Abomodelle funktionieren so: User zahlen, um Creator zu abonnieren. Ana und Mr. Lingus veröffentlichen drei Videos pro Woche, zudem chattet Ana persönlich mit den Fans – heute morgen vor Beginn der Venus bereits zwei Stunden. „Ich mach das gerne“, sagt sie. „Ich finde ein Abo sollte mehr bieten als nur Videos. Persönlicher Kontakt gehört dazu, das wollen ja alle.“ Oft gehe es in den Chats nicht einmal um Sex, sondern um Alltägliches wie das Wetter oder den Urlaub.
Pro Tag schreibt Lingus mit mindestens 80 Personen. Um den Andrang zu bewältigen, greifen viele Creator inzwischen auf Chatbots oder Agenturen zurück. Dort übernehmen sogenannte Chatter, die häufig in Asien oder Afrika sitzen, das Schreiben im Namen der Creator. Lingus chattet weiterhin selbst. „Ich finde es nicht fair, das über Dritte laufen zu lassen“, sagt sie. Aber: „Die Agenturen können etwas leisten, das ein einzelner Mensch nicht leisten kann.“ Wenn sie mal eine halbe Stunde nicht antwortet oder schläft, würden Fans ihr regelmäßig zig Nachrichten schicken und sogar ihr Geld zurückfordern. „Die Leute sind verwöhnt durch die Agenturen, die in Sekunden antworten“, sagt sie.
Nicht nur das Chatten wird automatisiert, die gesamte Sextech-Branche boomt. Auf der Venus werden smarte Sexspielzeuge, KI-gesteuerte Sexbots, realitätsnahe sprechenden Love Dolls und Virtual-Reality-Erfahrungen vorgestellt. Einige Puppen werden martialisch inszeniert: in Armeeweste, Helm und Strapsen mit Maschinengewehr in der Hand. Eine andere im Knast-Setting, angekettet in orangenem Overall.
„Die Sexpuppen haben in diesem Jahr zugenommen“, sagt Lingus. Sie selbst hat auch schon mit Virtual Reality und Sexpuppen gedreht. Fans können bei ihr auch sogenannte Wunschvideos beauftragen. Ein fünfminütiges Video, bei dem die Fans das Drehbuch vorgeben, kostet bei Ana und Mr. Lingus mindestens 100 Euro. Das teuerste Video kostete 3.000 Euro. Ein Fan hatte ihr ein ganzes Skript geschrieben für eine Stunde Sex im Wald mit Mr. Lingus. Sie lacht: „Mir macht das total Spaß – vor allem zu zweit.“
Ihre Freund*innen und Familie wissen jedoch nichts von ihrer Arbeit. Sie trägt stets eine Maske. Warum? „Ich habe dadurch keine Probleme im Privatleben aufgrund meines Jobs.“ Außerdem sei es schwierig, danach einen Job zu finden, wenn man ohne Maske Pornos dreht. Und es gibt noch einen Grund: „Die Menschen schicken mir auf Instagram Morddrohungen. Ich würde mich nicht wohl dabei fühlen, auf der Straße rumzulaufen, wenn ich für alle zu erkennen wäre.“
Innerhalb der Industrie bereitet ihr die Maske jedoch Probleme: „Viele sind der Meinung man sollte mit Maske keinen Porn machen.“ Produktionen würden deshalb häufig nicht mit einem drehen wollen, einem würde vorgeworfen, nicht „ganz dabei“ zu sein – auch von anderen Creatorn. Lingus frustriert das: „Wir sind ja alle schon stigmatisiert von der normalen Welt. Wir müssen uns nicht gegenseitig auch noch stigmatisieren.“
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