Populäre Forschung in Hildesheim: Das Orchideenfach ruft

Wenn Rihanna den Professor interessiert: Pop-Forscher aus diversen Disziplinen treffen sich in Hildesheim.

Gegenstand wissenschaftlicher Forschung: populäre Formen wie der langjährige ZDF-Samstagabend-Hit „Wetten, dass..?“ Foto: Felix Kästle/dpa

HILDESHEIM taz |„Die Popkulturforschung nimmt sich selbst noch nicht als Disziplin wahr“, sagt Stefan Krankenhagen – „vielleicht auch zu Recht.“ Entsprechend vielfältig sind die Zugriffe der rund 20 Gäste, die nun beim 8. „Popkongress“ auf den Podien des Hildesheimer Instituts für Medien und populäre Kultur sitzen, an dem auch Krankenhagen als Professor für populäre Kultur wirkt. Das Thema dieser – korrekter – Jahrestagung der AG Populärkultur und Medien in der Gesellschaft für Medienwissenschaft: „Der Preis der Institutionalisierung“.

Prozess der Kanonisierung

Populäre Kultur oder auch Popmusik können heute vielerorts studiert werden. Dennoch stellt sich die Frage, wie sich Phänomene wie Trash-TV, Rap-Musik oder YouTube-Stars sich zur Wissenschaft, aber auch zu den etablierten Künsten verhalten: „Natürlich blicken wir bei dem Kongress auf 30 Jahre Popkulturforschung zurück“, sagt Barbara Hornberger, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Krankenhagen sowie dem Musikethnologen Johannes Ismaiel-Wendt das Kongressprogramm verantwortet. „Wichtiger ist uns aber, den aktuellen Prozess der Kanonisierung aufmerksam zu begleiten.“ Hatte sich der Kongress im vergangenen Jahr in Wien mit Normativität und Subversion beschäftigt, rückt nun die Frage nach der Vereinnahmung des Pop durch die Institutionen in den Mittelpunkt.

Noch immer ist die Popkulturforschung ein Orchideenfach im besten Sinne. Diesen Status könnte sie aber bald ablegen, glaubt Krankenhagen: „Man muss sich nur lange genug als marginalisierte Antidisziplin verstehen, dann wird man früher oder später auch als Wissenschaft ernst genommen.“ Diese „Verwandlungen und Verschiebungen“ will Hornberger auf dem Kongress in den Blick nehmen. Aber inwiefern kann das Populäre, dem die Gegenwärtigkeit genuin eigen ist, erfasst und verstetigt werden? Welche Auswirkungen hat der Eingriff der Akademie auf Sub- und Jugendkulturen – und welche Effekte hat wiederum so ein Forschungsgegenstand auf die akademische Kultur? „Natürlich sind wir Teil der Institutionalisierung“, gibt Hornberger zu, „und können nicht so tun, als würden wir sie nicht gutheißen.“

„Erfahrung auf Vorrat“

Ist es für Eltern sinnvoller, ihre Kinder beim Serien- oder Filmeschauen aktiv zu begleiten, anstatt Fernsehen einfach zu verbieten? Gerade fiktionale Formate können ein Handlungsrepertoire und Vokabular vermitteln, das Jugendlichen und Erwachsenen bei realen Konflikten von Nutzen sein kann. Auf dieser Annahme Hans-Otto Hügels, dass wir beim Schauen von Filmen „Erfahrungen auf Vorrat“ sammeln, ohne von der Couch aufstehen zu müssen, basiert die Keynote-Rede der Sozialanthropologin Brigitte Frizzoni aus Zürich – Titel: „Populärkultur als Lebenshilfe“.

Hügel war 1983 der erste Professor für populäre Kultur im deutschsprachigen Raum – nicht in Berlin oder Frankfurt, sondern an der erst 1978 selbstständig gewordenen Hochschule Hildesheim, der heutigen Stiftung Universität. Schon damals ging es dabei nicht um populäre, also volkstümliche Kultur, sondern um die Analyse der Jetztzeit und Begriffe wie Trend oder Mainstream. „Nicht nur wegen seiner langen Tradition spielt Hildesheim in der Popkulturforschung eine zentrale Rolle“, sagt Hügels Nachfolger Krankenhagen, „sondern auch dank der Einbindung des Populären in die anderen Künste.“ Dadurch lässt es sich in den jeweiligen Sparten wahrnehmen: den Groschenroman, das Boulevardtheater, das TV-„Dschungelcamp“ oder einen Pop-Star wie Rihanna.

Obwohl der Alleinstellungswille der immer zahlreicher werdenden Pop-Institute den universitären Diskurs quantitativ zu sprengen droht, sucht Hornberger thematische Diversität sichtbar zu machen: „Beim Popkongress wollen wir der Pluralisierung, die das Populäre mit sich bringt, gerecht werden. Das betrifft auch Themen, die bislang weniger im Fokus der Forschung stehen, so gibt es einen Workshop zu frankokanadischer Countrymusik und ihren Männerbildern.“

Kein Wasserglas

Auch formal spiegelt der Kongress Vielfalt wider: Neben Keynotes und Podiumsdiskussionen bietet er experimentellere Formate wie die „Lecture Performance“ „Scheiß‚auf deutsche Texte“ von dem Literaturwissenschaftler Guido Graf. Auch die „Release-Lesung“ des von Ismaiel-Wendt herausgegebenen Bandes „A Talking Book. Essays zu Inszenierungen Stevie Wonders“ verspricht mehr zu werden als eine bloße Wasserglaslesung. Und allein für den Vortrag des Kulturwissenschaftlers Philipp Felsch, Verfasser von „Der lange Sommer der Theorie“, lohnt sich der Besuch.

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