Popstars und politische Stellungnahme: Zwei Worte mit fatalen Folgen
Der Popmusiker Waleri Meladse soll sich proukrainisch geäußert haben. Regierungstreue Politiker laufen dagegen Sturm.
Auf einer Silvesterfeier in Dubai kam ein junger Mann auf den Sänger Waleri Meladse mit den Worten „Slawa Ukrajini!“ (Der Slogan „Ruhm der Ukraine“ – „Den Helden Ruhm“ ist seit 2018 der offizielle militärische Gruß in der ukrainischen Armee; d. Red.) zu. Der Künstler legte das Mikrofon zur Seite und antwortete vermutlich: „Herojam Slawa!“ Dann bat er den jungen Mann, sich zu beruhigen, weil „wir hier nicht in der Politik sind“, und sang weiter. Zwei Worte, nicht mal ins Mikrofon gesprochen, reichten aus, dass sich schon am 3. Januar regierungstreue Politiker und Aktivisten gegen Meladse wandten.
Der Vorsitzende der Parlamentsfraktion „Gerechtes Russland – für die Wahrheit“, Sergej Mironow, nannte die Äußerungen des Sängers „verwerflich“ und schlug vor, ihm alle Titel und Ehrungen abzuerkennen.
Die Novaya Gazeta ist Russlands älteste unabhängige Publikation. Nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde sie verboten. Das Team der Novaya Gazeta Europe hat das Land verlassen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die die Invasion niemals akzeptieren werden. In diesem Dossier veröffentlicht die taz Texte russischer Journalist:innen über das erste Kriegsjahr und seine Folgen für die Welt und für Russland, über die Veränderungen in der russischen Bevölkerung, wofür das Adjektiv „russisch“ heute und in Zukunft steht, und berichten über Menschen, die Widerstand leisten. Die Texte sind auf Initiative der taz Panter Stiftung entstanden und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Es ist bereits das zweite Dossier mit Texten der Novaya Gazeta Europe in der taz. Das erste ist im Mai 2022 erschienen. Die Texte des ersten Dossiers finden sich hier.
Eine Parteifreundin Mironows meint, dass man Meladse die Einreise ins Land verbieten müsse. Der Vorsitzende des Fonds für historische Forschung, Alexander Karabanow, schlug vor, den Künstler ab sofort als „ausländischen Agenten“ zu labeln. Und die Organisation Armee der Verteidiger des Vaterlands beantragte zu überprüfen, ob die Verleihung der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation (RF) an Meladse, der in der georgischen Stadt Batumi geboren wurde und lange in der Ukraine gelebt hatte, seinerzeit überhaupt legal gewesen sei.
Derselbe Mironow wunderte sich darüber, dass der Sänger außerhalb des Landes „Party macht“, fand aber überhaupt nichts dabei, dass ein anderer russischer Superstar, Oleg Gasmanow, auf derselben Veranstaltung auftrat.
Meladse reagierte prompt auf die Angriffe auf seine Person. Er erinnerte daran, dass die von ihm „heiß geliebten“ Nationen sich in einem Konflikt miteinander befänden, und fügte hinzu: „Ich kann und will niemanden hassen und versuche nicht, jemandem zu gefallen!“
Die Geschichte von Waleri Meladse ist ziemlich symptomatisch und zeigt die wenig beneidenswerte Lage, in der sich der russischsprachige Popmainstream seit dem Februar 2022 befindet.
Sowjetische Karriere, russischsprachige Stars
Für Meladse war die Ukraine nie ein fremdes Land. Der Sänger hatte seine musikalische Karriere in der ukrainischen Stadt Mykolajiw am Schwarzen Meer als Mitglied der Band Dialog begonnen. Und er hatte auch mit anderen ukrainischen Künstlern gearbeitet. Deshalb war es auch wenig erstaunlich, dass Meladse am 24. Februar einer der ersten russischsprachigen Musiker war, der sich eindeutig gegen den Krieg aussprach.
Dann sagte er seine Konzerte in der Russischen Föderation ab und steht als Musiker mittlerweile auf der schwarzen Liste. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, auf Unternehmensfeiern in Russland aufzutreten. Im Mai 2022 gab Meladse bekannt, dass er seine wissenschaftliche Arbeit wieder aufnehmen wolle (er hat zu Wasseraufbereitung promoviert).
Das ist eigentlich schon alles. In den vergangenen zehn Monaten war Waleri Meladse kaum noch in der Öffentlichkeit präsent und hatte sich auch nicht zum Thema Krieg geäußert. Gerade deshalb wurde sein halb geflüstertes „Den Helden Ruhm!“ so ernst genommen.
Einer der bekanntesten Popstars der letzten dreißig Jahre, bei mehreren Generationen russischer und ukrainischer Zuhörer gleichermaßen beliebt, der sich mehrmals dezidiert für Frieden ausgesprochen hatte, trat weiterhin bei privaten Veranstaltungen und außerhalb der RF auf. Eine engagierte Öffentlichkeit erwartete von ihm eine möglichst klare Erklärung – pro oder contra, aber er schwieg.
Popstars im Zwiespalt – reden oder schweigen?
Mit ähnlichen Problemen kämpfen praktisch alle russischsprachigen Popstars, die seit Jahrzehnten im Geschäft sind. Die Mehrheit von ihnen hat sich nicht klar positioniert und schweigt lieber. Oder tritt auf, als sei nichts geschehen. Diese uneindeutige Haltung irritiert diejenigen, die die russische Invasion unmissverständlich verurteilen und meinen, dass Künstler mit einem großen Publikum sich, wenn sie für den Frieden sind, auch eindeutig äußern sollten.
Das alles ist nichts Neues. Die Popszene war lange Zeit einfach apolitisch, selbst wenn einzelne Künstler sich in die eine oder andere Richtung positioniert hatten. Es wäre seltsam, wenn das jetzt plötzlich anders wäre.
Um eine Ausnahme davon zu machen, muss man mindestens eine Popdiva wie Alla Pugatschowa sein (vielleicht die erfolgreichste sowjetisch-russische Popsängerin überhaupt seit den 1970er Jahren bis heute; d. Red.).
Künstler müssen keine Erwartungen erfüllen
Die unangenehme Wahrheit ist, dass ein Künstler, wie populär er auch sein mag, niemandem etwas schuldet. Er hat das Recht, sich zu äußern – oder zu schweigen. Er kann sich von seiner russländischen Vergangenheit lossagen und die Sprache wechseln – oder eben alles beim Alten belassen. Wir setzen hohe Erwartungen in einen Musiker, nur weil er erfolgreich ist. Aber das heißt nicht, dass er sich immer klug verhält.
Außerdem drücken Popmusiker mit ihren Liedern häufig viel mehr aus als mit ein paar Instagram-Posts. Man kann von Waleri Meladse und anderen Stars der Vergangenheit keine großen Änderungen erwarten. Sie werden weiter die Helden der weiblichen Fans über vierzig sein. Die „Z-Publizisten“ werden sich weiterhin darüber aufregen, dass er noch nicht in Donezk aufgetreten ist.
Wir werden uns auch weiter darüber beschweren, dass er „für die Harmonie“ zwischen den Nationen ist, zwischen denen es schon lange keine Harmonie mehr geben kann.
Aber anstatt weiterhin etwas von Meladse zu erwarten, sollten wir lieber anfangen, uns nach neuen Helden umzusehen, die uns musikalisch wie auch zivilgesellschaftlich eher entsprechen. Vor allem, weil es genügend geeignete Kandidaten gibt.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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