Popstar Roísín Murphy im Gespräch: „Man muss Risiken eingehen“
Auf Anweisung von Managern Songs verändern? Würde Roísín Murphy nie tun. Ein Gespräch mit dem Popstar über das, was sie als Künstlerin braucht.
taz: Roísín Murphy, zuletzt habe ich Sie mit Ihrer Band im Herbst 2023 gesehen. Was mich bei Ihren Liveshows generell beeindruckt, ist dieses Gefühl der Freiheit, das Sie auf der Bühne anschaulich machen, obwohl die Show ja quasi durchchoreografiert ist.
Roísín Murphy: Ich bin definitiv nicht durchchoreografiert. Sogar die Bühnenoutfits entwickeln sich erst mit der Zeit. Ich werde oft gefragt, wie ich meine Kostüme zusammenstelle – das ist etwas, das in allerletzter Minute zu Beginn jeder Tournee entsteht.
An den ersten Tagen probiere ich noch aus, bei welchem Song ich was anziehe und wann ich es wechsle. Normalerweise ist das Set ziemlich abgesteckt, dieser Song kommt zuerst, jener Song folgt als nächstes. Aber die Bewegungen dazu sind nie vorher choreografiert.
Ich meinte nicht, dass alles generalstabsmäßig durchgeplant ist.
Róisín Murphy, geboren 1973 im irischen Arklow, veröffentlichte 1995 mit Mark Brydon das Moloko-Debüt „Do You Like My Tight Sweater?“ Über acht Jahre und vier Alben (inklusive der Hits „Sing It Back“ und „The Time Is Now“) mischten sie in Bonnie-und-Clyde-Manier die internationalen Clubs auf. Seit 2003 veröffentlicht Róisín Murphy mit unterschiedlichen Produzenten passend zum Rhythmus ihres Familienlebens (sie lebt mit Partner und zwei Kindern auf Ibiza) Soloalben, zuletzt mit DJ Koze das psychedelische Pop-Dance-Spektakel „Hit Parade“ (Ninja Tune).
Konzerte: 9. März Frankfurt a.M. „Zoom“, 10. März Köln „Palladium“, 16. März Berlin „Verti Music Hall“
Es ist ohnehin ein Wunder, dass wir diese Musik live umgesetzt bekommen. Ich bin sehr dankbar, dass ich gute Musiker:innen um mich habe, insbesondere meinen musikalischen Leiter Eddie Stevens. Es gibt nicht viele Künstler:innen, die hysterische elektronische Studiomusik in etwas umsetzen können, das auf der Bühne funktioniert.
Heute wird von Künstler:innen stets erwartet, dass sie sich so verhalten, wie das Publikum denkt, dass sie es tun sollten. Sind Sie an Erwartungshaltungen interessiert?
Die haben mich noch nie interessiert! Mit meiner ersten Band Moloko hatten wir ein eigenes Studio in Sheffield und haben unsere Alben von A bis Z produziert. Ich wurde dabei eher zufällig Sängerin. Nach wie vor warte ich darauf, dass die richtigen Eingebungen in meinem Leben passieren. Das geschieht nicht an einem Konferenztisch beim Majorlabel, wo ich mit Influencern überlege, was Róisín Murphy als Nächstes machen soll, verstehen Sie? Never ever. Im Fall meines aktuellen Albums „Hit Parade“ lief es so: Stefan (Anm.: der Hamburger Produzent Stefan Kozalla alias DJ Koze) tauchte wie von Zauberhand in meinem Leben auf; genau genommen hat die Art und Weise, wie ich lebe, Stefan zu mir gebracht.
War das ein Zufall?
Niemand würde DJ Koze dazu bringen, ein Album auf Anweisung eines Managers für mich aufzunehmen, ganz einfach weil man ihn nicht auf Zuruf engagieren kann. Was jüngere Kolleg:innen oft nicht verstehen: Man kann nicht alles vorausplanen, man sollte es geschehen lassen. Oft ergeben sich die besten Sachen aus spontanen Einfällen, die man auch zulassen muss.
Sie denken, das gibt es heute nicht mehr?
Viele jüngere Musiker:innen fühlen sich nicht frei genug, Risiken einzugehen. Weil man ihnen sagt, sie sollen dies und das tun.
War das nicht immer so?
Zu meinen Anfangstagen gab es auch nicht viele, die den Weg gegangen sind, den ich eingeschlagen habe. Ich bin generell niemand, der das Schlimmste von den Menschen erwartet – und ich erwarte auch nicht das Schlimmste von Strippenziehern in der Musikindustrie. Vielleicht habe ich deswegen immer volle künstlerische Kontrolle gehabt. Ich habe immer wichtige Entscheidungen allein getroffen. Das ging los, als ich mit 15 von zu Hause ausgezogen bin und allein in Manchester gelebt habe. Ich hatte eine Menge Mut, bevor ich überhaupt im Musikgeschäft gelandet bin.
Sie haben aber auch nie erwartet, dass Sie etwas bekommen, nur weil Ihnen jemand etwas vorgegaukelt hat, oder?
Ich glaube nicht, dass jemand von außen kommen und eine Karriere planen kann, wie ich sie hatte. Das ist unmöglich. Ich vertraue nur meinem Bauchgefühl – und ich hatte nie Probleme damit. Ich habe immer Grenzen überschritten, wenn es sie gab. Zum Beispiel, als ich mit 19 das erste Mal das Büro einer Plattenfirma betrat: Die Grenzen waren spürbar, sie hatten Angst vor mir.
Ganz im Ernst. Wir waren in dieser Hinsicht sehr stark, Mark Brydon (Anm.: ihr künstlerischer Partner bei Moloko) und ich steckten voller Ideen, wir hatten Charisma. Mark arbeitete damals schon mit Leuten in der Musikbranche zusammen. Alle in Sheffield kamen aus einem DiY-Zusammenhang: Gestalte dir ein Homestudio! Veranstalte deine eigene Party! Gründe eine Plattenfirma! Das Label Warp wurde nicht zufällig in Sheffield gegründet.
Hatten Sie nie Zweifel?
Es gab keinen Moment, in dem ich gedacht hätte, dass es einen anderen Weg für mich geben könnte. Das war bei meinem Soloalbumdebüt ähnlich. Ich ging mit Matthew Herbert ins Studio, ohne vorherige Absprache mit dem Label. Es dauerte nicht lange, und wir hatten die Musik komponiert. Als ich dann zum Label ging und sagte: Lasst uns das rausbringen!, antworteten sie, es sei die falsche Musik! Ich war schockiert, das hätten sie nie gewagt, als ich noch Teil von Moloko war.
Woran lag das?
Vielleicht lag es daran, dass ich nicht mehr diesen ziemlich unheimlichen Künstler neben mir hatte, vielleicht dachten sie in dem Moment, dass sie mich als Frau verarschen können. Meine Antwort: Sorry, es gibt kein anderes Album, basta, die Musik wird genauso veröffentlicht! Das taten sie dann auch, aber danach ließen sie mich fallen.
Wie lief das bei Ihrem aktuellen Werk „Hit Parade“? Es gibt ja den Glauben, dass Magie nur unter bestimmten Bedingungen und im Zusammenspiel von besonderen Charakteren entsteht. Aber Stefan Kozalla und Sie haben in unterschiedlichen Städten, Ibiza und Hamburg, getrennten Studios und mit unterschiedlichen Zeitplänen gearbeitet. Wie liefen die Fäden zusammen?
Mir hat diese Arbeitsweise großen Spaß bereitet. Es ist losgegangen mit der Zusammenarbeit für Kozes Album „Knock Knock“, Stefan gab mir damals all diese erstaunliche Musik (Anm.: Murphy sang auf Kozes Songs „Illumination“ und „Scratch it“), die sonst niemand produziert. Ich bin für die Gesangsarbeit mit einem Tontechniker in ein kleines Studio gegangen. Da waren aber noch all die anderen Tracks. Also sagte ich danach zu Stefan, ob daraus vielleicht ein Roísín-Album werden könne. Und er bejahte!
Aber es wird so lange dauern, wie es nötig ist, denn wir werden es in unserer eigenen Zeit machen. Und auf unsere eigene Weise. Er bat mich, genau dieselbe Musiksoftware zu verwenden, damit wir leichter Dateien austauschen können.
Zeit ist ein relativer Begriff.
Ich dachte mir: Okay, es ist DJ Koze, was immer er sagt, ist mir recht, solange wir damit weitermachen. Am Ende dauerte es fünf Jahre. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich den richtigen Produzenten habe, behandle ich ihn anständig, bleibe geduldig und lasse mich auf den künstlerischen Prozess ein.
Sind Sie in der Zusammenarbeit unkompliziert? Können Ihnen die anderen Beteiligten vertrauen?
Ich bin nur zu Produzenten nett, zu allen anderen bin ich eine Zicke (lacht).
Wie muss ich mir die Finalisierung vorstellen? Gab es harte Verhandlungen über Songauswahl und Reihenfolge?
Es gab zähe Verhandlungen, ja. Und es gab viele Momente, in denen Koze davon überzeugt war, dass ein Stück nicht mehr zu retten ist. Und dann habe ich gesagt: Halt! – und habe die Tracks wieder aus dem Mülleimer gefischt und weiterverhandelt.
Sind Sie eine gute Motivatorin?
Wenn mir etwas am Herzen liegt, bin ich wie ein Hund mit einem Knochen, ich kaue weiter und sage: Können wir noch mal über den Song reden?
Mich interessiert, wie Sie Songs komponieren. Sie arbeiten eher spontan, wenn die Ideen kommen. Haben Sie einen Masterplan?
Doch, genau so gehe ich vor: Heute werde ich einen Song schreiben. Dabei helfen mir oft Dinge, die ich in meinem Alltag notiere. (Anm.: Murphy liest aus ihren Notizen vor): Kontroll-Heuschrecken, nebulöser Körper, fünfte Kolonne, antike Kultur, radikale Erschütterung, schlechte Optik …
Ist das nicht Fitzelarbeit?
Früher, als ich noch nicht alles im Internet gelesen habe, notierte ich Ideen auf Papier. Ich habe große Skizzenbücher mit Fundstücken, Ausrissen und Notizen angelegt, die ich aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnitten habe. Diese Collagen aus Bildern, Wörtern, Sätzen und anderen Dingen habe ich überall im Studio verteilt.
Wenn ich nicht weiterkomme, habe ich mich umgeschaut und beispielsweise „Oxytoxin“ gesehen – was war das nochmal? Dann wurde daraus ein Song, er heißt „Overpowered“. Ich habe ein Radar, weil ich auf meine gesammelten Ideen zurückgreifen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung