Pop-Kultur Festival: Unterkomplexe Debatten
Bei der Pop-Kultur widmeten sich zwei Talks Antisemitismus und Sexismus im HipHop. Die Diskussionen gingen nicht über Offensichtliches hinaus.
Deutschrap trieft nur so vor antisemitischen Zeilen und sexistischen Posen. Da sind Kollegah und Farid Bang, die mit einer hirnlosen Analogie Holocaustüberlebende beleidigen. Da ist der Gangstarapper Gzuz, der jenseits seiner obligatorischen Penetrationsandrohungen auf einem Festival eine Frau sexuell belästigt haben soll. All das gilt es zu bekämpfen. Bloß wie?
Gut, dass sich beim vergangenen Freitag zu Ende gegangenen Festival Pop-Kultur in der Kulturbrauerei gleich zwei Talks dieser Fragen angenommen haben. Einer davon, mit dem originellen Titel „I’ve got 99 problems but being a feminist listening to rap ain’t one“ ließ die Journalistinnen Lena Grehl und Miriam Davoudvandi mit der Wiener Rapperin Ebow über Sexismus im HipHop debattieren.
Für wen dieser Zusammenhang bisher eher abstrakt, wenn auch unhinterfragt blieb, der bekam hier einige konkrete Fakten zu hören. Davoudvandi, ehemalige Chefredakteurin des Magazins splash!, analysierte nüchtern, welche politökonomischen Dimensionen das Problem hat: Spotify-Playlists wie Modus Mio, in der keine einzige Künstlerin vorkommt, Festivals wie Splash, deren Line-ups fast leer sind, wenn man die männlichen Namen mit einem Bildbearbeitungsprogramm ausblendet. Rapperin Ebow ergänzte die Analysen mit Anekdoten über Klischees: Labels, die sich bei Künstlerinnen vor einem komplizierten Umgang fürchten, weil sie eben Frauen sind, und lieber einen unerfahrenen Kerl unter Vertrag nehmen. Ebow trocken: „Wollen die jetzt, dass ich rappe oder nicht?“
Spätestens seit einer WDR-Doku über die Affäre beim Musikpreis „Echo“ ist der Komplex Antisemitismus im HipHop Aufregerthema über die Szene hinaus. Die Journalistin Jasmin Kröger hat deshalb beim zweiten Tallk „Rap, Antisemitismus, Identitätspolitik: über Verantwortung im Pop“ den Berliner Rapper Ben Salomo und den Journalisten Jens Balzer befragt. Auffällig auch hier: Mehr als einige Sätze bekam Kröger nicht los, die beiden Männer sprachen pausenlos.
Die enttäuschte Hoffnung
Salomo, geboren in Israel, aufgewachsen in Berlin, berichtete über eigene Erfahrungen und nannte zahllose anschauliche Beispiele für offenen oder strukturellen Antisemitismus in der Rapszene. Und er klagte darüber, dass Antisemitismus in migrantischen Milieus toleriert werde: „Bei Nazis sagen wir ja auch nicht: Die sind halt so aufgewachsen.“ So weit, so gut. Balzer stellte Analogien zwischen rechten und migrantischen Identitätspolitiken her, auch mit Verweis auf die antisemitische Boykottkampagne von BDS. Ohnehin einigten sich er und Ben Salomo immer wieder darauf, dass die Gefahr des Antisemitismus von Rechts- und Linksextremisten gleichermaßen ausgehe.
Niemand stellt in Abrede, dass es linken Antisemitismus gibt: Nur geriet der Exkurs von Salomo und Balzer in ihrem allzu banalen Extremismustheoriegedöns, einer ständigen Gleichsetzung sowie die Behauptung einer vermeintlich gesunden Mitte, zur Enttäuschung für alle jene, die sich tatsächliche gesellschaftskritische Einblicke in die deutsche Rapszene erhofft hatten. Eine Hoffnung, die sich darin begründet, dass die Kritik von identitären Herrschaftsverhältnissen und ewiggestrigen Welterklärungsideologien mittlerweile – zum Glück! – im Mainstream angekommen ist. Es wäre jedoch höchste Zeit, mit komplexeren Analysen die Wurzeln dieser Ideologien zu identifizieren.
Bei beiden Debatten war zu merken, dass der Anspruch des Festivals, gleichermaßen musikalisch und gesellschaftlich als Avantgarde zu wirken, noch nicht ganz griff. Denn die Reflexionsversuche verharrten auf dem Level des Mainstream, das heißt auf einem feststellenden und bedauernden, immerzu deskriptiven Modus.
Dabei gäbe es so viele spannende Fragen, die nicht nur den HipHop, sondern die Gesellschaft als Ganzes weiterbringen könnten: In welchen Milieus entsteht diese Musik? Wie funktionieren diese Milieus sozial, ökonomisch, psychologisch? Warum funktionieren antisemitische und sexistische Ideologien in diesen Milieus?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“