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Polizeiopfer Lorenz A.Oberbürgermeister vergisst Mitgefühl für Erschossenen

Statt zu der Trauerkundgebung zu gehen, warb Oldenburgs OB um Verständnis für die Polizei. Die wiederum warnte Schü­le­r:in­nen davor, zur Demo zu gehen.

Demonstration gegen die Tötung von Lorenz in Oldenburg am 25. April Foto: Izabela Mittwollen/dpa

Oldenburg taz | Am Freitag sind in der Oldenburger Innenstadt 10.000 Menschen für den von einem Polizisten von hinten erschossenen Lorenz A. auf die Straße gegangen. Viele kannten ihn. Sie trauerten um den 21-jährigen Schwarzen, forderten aber auch eine lückenlose Aufklärung und protestierten gegen rassistische Polizeigewalt. Organisiert hatte die Versammlung die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ in enger Abstimmung mit Angehörigen und Familie.

„Es ist enttäuschend, dass kaum politische Ver­tre­te­r:in­nen anwesend sind,“ sagte eine Sprecherin am Freitag auf der Bühne. Besonders die ­Anwesenheit von Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) hätte sich die Initiative gewünscht. „Als Zeichen von Verantwortung und Dialog, gerade in Zeiten, in denen Vertrauen in staatliche Institutionen bröckelt, wäre ihre Anwesenheit wichtig gewesen.“

Krogmann begründete seine Abwesenheit im NDR damit, dass es auch Aufrufe zur Demo gab, die den Vorfall „ein bisschen sehr einseitig“ eingeordnet hätten. Was damit gemeint war, hatte der OB im Vorfeld der Demo in einer Pressemitteilung deutlich gemacht.

In dem Schreiben verurteilte er Stimmen, die auf Rassismus in der Polizei hinweisen und stellte sie auf dieselbe Stufe mit Online-Postings, in denen die Erschießung von Lorenz A. gelobt wurde.

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„Polarisierende Debatte“

„Gerade in den sozialen Medien erleben wir eine polarisierende Debatte zwischen den extremen politischen Rändern, die auf der einen Seite den Vorwurf, das Vorgehen der Polizei sei rassistisch motiviert gewesen, propagieren und auf der anderen Seite Lob und Verständnis für ein hartes Durchgreifen und den Schusswaffengebrauch aussprechen.“

Offenkundig lag dem OB besonders am Herzen, Verständnis und Mitgefühl fürs Vorgehen der Polizei einzufordern. Denn deren oberstes Anliegen sei „die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger“, so Krogmann. „Für diesen herausfordernden Dienst genießen die Beamtinnen und Beamten meinen großen Respekt.“ Die „aktuelle Situation“ sei auch für die Polizei sehr belastend.

Ganz vergessen hatte der OB hingegen, den Angehörigen des erschossenen Bürgers Lorenz A. sein Mitgefühl auszusprechen. Nach der Kundgebung passte die Stadt sein Statement an: „In dieser Version des Textes wurde in Abstimmung mit dem OB der Satz, in dem das Mitgefühl gegenüber den Angehörigen des 21-jährigen Oldenburgers zum Ausdruck gebracht wird, ergänzt“, erklärt sein Pressesprecher auf Nachfrage. Die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ kritisierte die Äußerungen Krogmanns.

„Der Versuch, Hinweise auf strukturellen Rassismus als ‚extremen politischen Rand‘ zu diffamieren ist beschämend und gefährlich“, erklärte ihr Sprecher Suraj Mailitafi. „Er negiert die Lebenserfahrungen vieler Menschen, die tagtäglich Rassismus erleben – auch durch staatliche Institutionen.“ Wer von einem ‚extremen Rand‘ spreche, verkenne die Realität von Rassismus in Deutschland.

Hinweise auf Rassismus als ‚extremen politischen Rand‘ zu diffamieren, ist beschämend und gefährlich

Suraj Mailitafi, Sprecher der Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“

Daher sei „absolut inakzeptabel“ Hinweise auf mögliche strukturelle Probleme abzuwerten: „Niemand von unserer Initiative hat behauptet, dass der Einsatz explizit rassistisch motiviert war.“ Es sei jedoch aufgrund von historischem und strukturellem Rassismus keine Person völlig frei davon.

„In dieser Gesellschaft, in der wir leben, ist es niemals egal, welche Hautfarbe du hast“, so Mailitafi. „Deshalb ist es notwendig und legitim, strukturelle Fragen nach Rassismus zu stellen – gerade, wenn ein junger Schwarzer Mensch durch staatliche Gewalt stirbt.“

Dass Krogmann den ermittelnden Behörden sein pauschales Vertrauen ausspricht, kritisiert die Initiative. „Gerade im Umgang mit tödlicher Polizeigewalt gegen marginalisierte Gruppen zeigt die Erfahrung: Zu oft wurde verschleppt, vertuscht oder verharmlost.“

Die Initiative fordert eine „unabhängige Ermittlung, keine rein interne behördliche Selbstüberprüfung.“ Mit den Ermittlungen gegen den Polizisten, der Lorenz A. erschoss, sind jetzt seine Kollegen der benachbarten Polizeiinspektion Delmenhorst betraut. Dort ist 2021 unter bis heute ungeklärten Umständen Qosay Khalaf in Polizeigewahrsam gestorben.

Polizei schreibt an die Schulen

Die Oldenburger Polizei zeigte im Vorfeld der Demo ein fragwürdiges Verständnis der Versammlungsfreiheit. Sie schickte ein Schreiben an alle weiterführenden Schulen der Stadt. Darin forderte sie die Lehrkräfte nachdrücklich auf, die Schü­le­r:in­nen zu ermahnen, dass der Ort der Versammlung „nicht nur aus bloßer Neugier oder in Erwartung besonderer Eindrücke aufgesucht werden sollte“.

Eine Warnung vor der Demoteilnahme? „Das Schreiben verfolgt keinesfalls einen politischen Zweck, sondern dient der Informations­weitergabe und Prävention im schulischen Kontext“, widerspricht die Polizei auf Nachfrage.

Sie räumt jedoch ein: „Zu Recht ist zu konstatieren, dass die eine oder andere Formulierung nicht optimal gewählt wurde“. Dieser Umstand werde nun nachbereitet.

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