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Polizeigewalt vor GerichtEklatantes Fehlverhalten

Hanno Fleckenstein
Kommentar von Hanno Fleckenstein

Im Amtsgericht Tiergarten wurde ein Fall von Polizeigewalt verhandelt. Die Lehre aus dem Prozess: Es braucht eine unabhängige Polizei-Ermittlungsstelle.

Da soll einen geholfen werden: Polizeiwache am Alexanderplatz Foto: Sebastian Gabsch/imago

W enn Polizisten auf Hilfesuchende einprügeln, dann darf das nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern muss Konsequenzen haben. Ist also alles tadellos aufgeklärt worden im jüngsten Gerichtsprozess zu Polizeigewalt in Berlin? An dessen Ende verurteilte das Amtsgericht Tiergarten einen ehemaligen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt zu einer Bewährungsstrafe und sprach seine drei Kollegen vom Vorwurf der Vertuschung frei.

Von wegen. Das Verfahren gegen den gewalttätigen Ex-Beamten und seine vermeintlichen Gehilfen hat ein weiteres Mal Einblicke in Untiefen der Polizeikultur gewährt und das Versagen der Behörden bei der Aufklärung vor Augen geführt – wohl ohne, dass das weitere Folgen haben wird.

Der Vorfall, um den es geht, liegt schon eine Weile zurück: In einer warmen Julinacht im Jahr 2021 klingelt der damals 21-jährige afghanische Geflüchtete Abdul M. an der sogenannten Alex-Wache, einem Polizeihäuschen auf dem Alexanderplatz im Berliner Stadtzentrum. Er will den Verlust von Bargeld melden.

Der Polizist Abdullah I. öffnet ihm die Tür, es kommt zum Streit mit dem offenbar betrunkenen M. Da schlägt I. unvermittelt zu. Der junge Mann geht zu Boden – und wirft etwas nach I. Weitere Polizisten kommen hinzu, fixieren M. Doch ihr Kollege schiebt sie beiseite und schlägt dem am Boden Liegenden mehrmals mit der Faust gegen den Kopf. M. wird kurz bewusstlos.

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Trotzdem geht die Schikane erst mal weiter. Die Polizisten fesseln ihn und zeigen ihn wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte an. Erst in den frühen Morgenstunden erstattet jemand dann Anzeige gegen Abdullah I.

Die Falschen angeklagt

Dann passiert erst mal lange gar nichts. Erst ein Jahr später sichten Ermittler das Videomaterial aus jener Nacht. Es dauert noch einmal eineinhalb Jahre zur Anklageerhebung und weitere 18 Monate bis zum Prozess.

An dessen Ende muss die Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe gegen die drei Mitangeklagten fallen lassen. Aber warum? Weil hier nichts vertuscht wurde? Nein. Wahrscheinlich hat die Behörde einfach die Falschen angeklagt.

Denn der Beamte, der die Tat womöglich tatsächlich verschleiern wollte, tritt vor Gericht nur als Zeuge auf: Christian S., damals Leiter der Alex-Wache, war der Mann, der die erste Anzeige gegen Abdullah I. erstattete. Nur: Besonders viel Mühe gab er sich wohl nicht. Drei knappe Zeilen umfasste sie. S. berichtet darin von nur einem Schlag und benennt die Beamt*innen, die ihm den Vorfall meldeten, nicht als Zeug*innen.

Doch damit nicht genug: Eine Sprachnachricht des Täters an einen Kollegen lässt S. in noch schlechterem Licht dastehen. Darin erzählt Abdullah I., er habe mit „Crille“ – also seinem Vorgesetzten Christian S. – über den Vorfall gesprochen. Der habe ihm mitgeteilt, dass er von Amts wegen Anzeige erstatten müsse, damit nicht der Verdacht aufkomme, dass jemand etwas unter den Teppich kehre. „Crille“ habe ihm aber versichert: „Da kommt eh nichts bei raus.“

Christian S. hat also mutmaßlich versucht, seinen Kollegen zu decken – auf Kosten der anderen in jener Nacht Anwesenden, die zu einer anderen Dienstgruppe in der Polizei gehörten. Mit dem Freispruch für die drei nicht gewalttätigen Polizisten hat das Gericht demnach wohl nichts falsch gemacht. Der eigentliche Skandal hat sich woanders ereignet. Und so bleibt die Nachricht stehen, dass drei Polizisten zu Unrecht verfolgt wurden. Dabei sollte die Lehre aus dem Prozess eine andere sein: Es braucht endlich eine unabhängige Polizei-Ermittlungsstelle. Denn wenn die Polizei gegen sich selbst ermittelt, bleibt eklatantes Fehlverhalten oft folgenlos.

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Hanno Fleckenstein
Redakteur taz.berlin
Redakteur für Innenpolitik im Berlinteil. Seit 2021 bei der taz, zuerst als freier Mitarbeiter und Text-Chef in den Ressorts Inland, Wirtschaft+Umwelt, Meinung und taz.eins. Hat Politikwissenschaft und Publizistik in Berlin und Maskat (Oman) studiert.
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