Polizeieinsatz im Hambacher Forst: Ein Eimer voll Kacke fiel vom Baum
Im Hambacher Forst verfehlt ein Eimer voll Kot knapp einen RWE-Mitarbeiter. Beim folgenden Polizeieinsatz kommt es fast zur Eskalation.
Tags zuvor hat Polizei und RWE am Waldboden geräumt, vereinzelt auch Plattformen aus den Bäumen geholt und Bäume gefällt. Einen Tag sollte der Einsatz dauern. Doch im Krähennest soll es dann passiert sein: Ein Eimer soll aus einem Baumhaus gefallen oder geworfen worden sein, je nachdem, mit wem man spricht. Der Eimer verfehlte RWE-Mitarbeiter unter dem Baum.
Laut Polizei war er mit Fäkalien gefüllt, aber die Füllung selbst spiele keine Rolle, so die Staatsanwaltschaft Aachen: Sie stellt einen Durchsuchungsbeschluss aus, weil bei der beträchtlichen Fallhöhe aus dem Baumhaus der Eimer selbst ein gefährlicher Gegenstand, eine Waffe sei. Also: Verdacht auf versuchte gefährliche Körperverletzung. Der Tatverdächtige soll in Gewahrsam genommen werden.
Die Polizei richtet also einen Sicherheitsbereich ein. Dutzende Beamt*innen observieren die ganze Nacht die Baumhäuser. Am Dienstagmorgen dann der Sandweg, die Hubsteiger. Die Durchsage der Polizei: Der Tatverdächtige solle freiwillig herunterkommen, andernfalls werde die Polizei Bäume fällen, um Platz für den Hubsteiger zu machen, und sich in die Baumhäuser begeben. Einen anschließenden Abriss könne man nicht ausschließen, so ein Sprecher.
Man kennt sich
Dass die Zukunft des Hambacher Forstes nach wie vor ungewiss ist, trotz Kohlekommission, sorgt für Anspannung. Das betrifft nicht nur die Polizei: Im Wald rechne man jeden Tag mit weiteren Räumungen, so ein Aktivist. Dass am Montag während der Bodenräumung Bäume gefällt werden, außerhalb der Rodungssaison und während der Vogelschutzzeit, führt dazu, dass die Aktivist*innen den “Tag X“ ausrufen. Fridays-for-Future-Schüler*innen kommen in den Wald, bilden eine Blockade vor dem Krähennest. Bis Dienstagmittag sind hunderte Polizist*innen sind im Einsatz und Dutzende Waldbesucher*innen versammelt.
Während niemand weiß, wie weit der Einsatz heute gehen wird, steht man sich am Absperrband wieder gegenüber – und ist inzwischen bekannt miteinander. Eine Aktivistin bekommt die polizeiliche Rückmeldung, wie lang denn ihre Haare bitte geworden seien. Als ein Polizist ein Megafon beschlagnahmt, hält er es über den Kopf und drückt selbst auf den Sirenenknopf.
Man schreit sich auch an und diskutiert. Viel. Immerhin steht Räumung im Raum. Vereinzelt drängt die Polizei Menschen zurück. Aus den Baumhäusern singt es: “Es ist nicht deine Schuld, dass du Polizist geworden bist, es wär nur deine Schuld, wenn du es bleibst.“
Räumen wolle man die Baumhäuser wirklich nicht, versichert ein Sprecher der Polizei. “Aber wir haben diesen Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft und wir müssen alles uns Mögliche tun, um den Tatverdächtigen zu stellen.“ Die Polizei wartet ab. Macht Durchsagen.
Eskalation Frage der Zeit
“Wir hoffen, dass der Aktivist von selbst herunterkommt“, sagt der Sprecher. Die Aktivist*innen oben auf den Bäumen ihrerseits teilen mit, sie würden nicht wollen, dass man für ihren Widerstand Bäume fälle: Für den Fall, dass Polizei und RWE damit anfingen, hätte man einen Plan – und würde dann sehen, wie die Polizei reagiert.
Als der erste Baum fällt, machen die Aktivist*innen ihren Plan wahr: Der Tatverdächtige seilt sich ab. Er übergibt sich der Polizei. Die führt ihn der anwesenden Presse vor, dann fährt sie ihn in die Gefangenensammelstelle Aachen. “Wir wussten nicht, ob die Polizei den Einsatz wirklich beendet, wenn das passiert“, sagt ein Aktivist. “Wir sind davon ausgegangen, dass der Eimer nur Vorwand für eine Räumung war.“ Es scheint, was an den Tagebau-Randgebieten fehlt, ist vor allem eins: Gewissheit. Und solange es keine gibt, ist Eskalation vielleicht nur eine Frage der Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen