Polizeidrohnen am Millerntor: Braun-Weiße Hilfe kritisiert Überwachung
Beim jüngsten Heimspiel des FC St. Pauli ließ die Polizei eine Drohne über den Fans schweben. Die Braun-Weiße-Hilfe hält das für unverhältnismäßig.

Fans hatten beim jüngsten Heimspiel des FC St. Pauli (FCSP) gegen die TSG Hoffenheim von einer Polizeidrohne über dem Stadion berichtet. Die Polizei habe das Verhältnis der beiden Fanlager allerdings als neutral eingestuft, so die „Braun-Weiße Hilfe“. Ein Anlass zur Überwachung habe also nicht bestanden.
Die Polizei hat bei Veranstaltungen zuletzt immer häufiger Überwachungsdrohnen eingesetzt. Aber: Darf die Polizei einfach so Übersichtsaufnahmen machen oder ist das nur erlaubt, wenn Straftaten oder schwere Ordnungswidrigkeiten drohen?
Die Polizei geht in der Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage des Linken-Bürgerschaftsabgeordneten Deniz Celik davon aus, dass Übersichtsbilder unproblematisch sind und keine spezielle Rechtsgrundlage erfordern. Schließlich gehe es bloß um eine Lagebeurteilung, nicht um die Erhebung personenbezogener Daten. Es sei „lediglich eine Kamera-Monitor-Übertragung in die Befehlsstellen und keine Aufzeichnungen vorgesehen“, heißt es dort.
Im Zirkelschluss argumentiert
Anders sieht es aus, wenn einzelne Leute gefilmt werden. Aufzeichnung und Erhebung personenbezogener Daten ist nur dann erlaubt, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dabei Straftaten begangen werden“, heißt es in Paragraf 18 des Hamburger Gesetzes zur Datenverarbeitung der Polizei. Im selben Paragrafen ist von „Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung“ die Rede.
Auf den konkreten Fall beim jüngsten Heimspiel angesprochen, gibt die Polizei an, zunächst Übersichtsaufnahmen gemacht zu haben, weil sich St.-Pauli-Fans auf der Straße vor dem Millerntorstadion versammelt hatten, um den Mannschaftsbus in Empfang zu nehmen.
Die Drohne sei zunächst aufgestiegen, ohne Aufzeichnungen zu machen. „Erst nachdem es zu einem massiven Einsatz von Pyrotechnik gekommen war, erfolgte eine Aufzeichnung zur Beweissicherung für die sich anschließenden strafrechtlichen Ermittlungen“, teilte die Polizei der taz mit.
In den Augen der „Braun-Weißen Hilfe“ nutzt die Polizei hier das Prinzip des sogenannten Zirkelschlusses: „Man startet erst eine Drohne, um eine Übersicht zu bekommen, wofür man nach eigener Aussage praktischerweise keinerlei spezielle Rechtsgrundlage bräuchte, um dann doch nach Belieben Aufnahmen anzufertigen, sofern etwa Ordnungswidrigkeiten begangen werden“, teilt die Fanhilfe mit und nennt ein konkretes Beispiel.
„Solltest du an einem Spieltag eine Fußgängerampel bei Rot überqueren oder einen FCSP-Sticker an einen Laternenpfahl kleben, dann können Bildaufzeichnungen auch mit Personenbezug gefertigt werden, obwohl die Drohne ursprünglich für einen ganz anderen Zweck eingesetzt war.“
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages
Dass die Polizei ohne Weiteres Übersichtsaufnahmen machen darf, zieht der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in Zweifel. Der Dienst beruft sich auf das Bundesverfassungsgericht, das 2009 feststellte, dass Übersichtsaufnahmen einschüchternd wirken könnten. Sie dürften daher nicht anlasslos gemacht werden.
Des Weiteren habe das Verwaltungsgericht Berlin 2010 geurteilt, dass das Kamera-Monitor-Verfahren von der Teilnahme an Versammlungen abschrecken und zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen könne. „Das Beobachten der Teilnehmer stellt bereits einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar“, zitiert der Dienst die Entscheidung des Gerichts.
Aus Sicht des Wissenschaftlichen Dienstes bedürfen auch bloße Übersichtsaufnahmen einer Rechtfertigung. Da eine gesonderte Ermächtigung dafür im Versammlungsgesetz des Bundes fehle, seien die Voraussetzungen für den Einsatz eng auszulegen, sprich: Es müssten „von den Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgehen“.
Keine Bedenken hat dagegen der Hamburger Datenschutzbeauftragte Thomas Fuchs: Werden lediglich Übersichtsaufnahmen gemacht und Personen nicht gezielt aufgezeichnet, bestünden „keine grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken“, teilt er mit. Allerdings könne es nötig sein, vorab über die Überwachung zu informieren. Das ist bei der Hamburger Polizei geübte Praxis.
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