Polizei bei Fußballspielen: Mit Pfefferspray und Schlagstock

Die Ordnungskräfte agieren am Rande von Fußballspielen zunehmend rabiater. Nun unterstellen Fanvertreter der Polizei ein systematisches Vorgehen.

Greift die Polizei aus strategischen Gründen immer häufiger hart durch? Bild: dpa

Die Kulisse schien harmlos. Als Mitte März eine Fangruppe des Karlsruher SC sich durch den Wald dem Stadion näherte, entpuppten sich urplötzlich die ungeschickt mit Motorsägen hantierenden Forstarbeiter als Polizisten. Und aus den in der Umgebung abgestellten Ziviltransportern stürmten ihre behelmten Kollegen herbei. "96 Personen wurden mit starken Kräften gestoppt und einzeln identifiziert", berichtet Fritz Bachholz von der Pressestelle der Karlsruher Polizei. Man habe "im Auftrag des Gesetzgebers gehandelt", wie er sagt. Schließlich galt es Straftaten vom Heimspiel davor, gegen den VfB Stuttgart, aufzuklären.

Für Volker Körenzig, den Fanprojektleiter des KSC, der die Stadiongänger begeleitete, war es eine "Hollywood-reife Inszenierung und ein völlig überzogener Einsatz". Ein Drittel der Gruppe, die man verschreckt hätte, sei nicht einmal volljährig gewesen und die Daten dieser Personen wären bereits bei diversen Spielen schon erfasst worden. Aber solch übertriebene Vorgehensweise der Polizei würde sich in der jüngsten Vergangenheit häufen, sagt Körenzig.

In der Tat lassen sich unzählige Anekdoten dieser Art zusammentragen. In Paderborn wurden vor wenigen Wochen gut 800 Union-Berlin-Fans bereits am Bahnhof eingekesselt. Es wurde geschubst und gedrängelt. Einige stürzten von den Bahngleisen. Wahllos sprühten die Polizei mit Pfefferspray. Unbeteiligte wurden auf Kopfhöhe mit Schlagstöcken traktiert. So auch ein mitgereister Berliner Polizist, der danach Anzeige erstattete. Lars Schnell, der Union-Fanbeauftragte, beklagt: "Die Beamten haben gar nicht versucht zu kommunizieren." Zudem hätte es an Fingerspitzengefühl gefehlt. Die Polizei forderte etwa von Fans, die wegen der wenigen Toiletten im Zug in Gleisnähe pinkelten, Ordnungsgelder ein.

"Nichtigkeiten werden von der Polizei aufgebauscht. Das ist ein Trend", sagt KSC-Fanprojektleiter Körenzig. Aber warum? Körenzig hat eine steile These. Entsprechend vorsichtig formuliert er: "Man könnte den Eindruck haben, dass die Polizei beweisen möchte, dass die Aufweichung der Stadionverbote durch den Deutschen Fußball-Bund ein Fehler war." Gegen eine einheitliche Strategie spricht, dass die Polizei den jeweiligen Landesregierungen unterstellt ist. Auffällig ist jedoch, dass etwa Politiker wie Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) Randale der Vergangenheit zum Anlass nahmen, die DFB-Lockerung massiv zu kritisieren. Die Maximal- und Mindeststrafen für straffällige Fans wurden im Sommer 2007 von fünf Jahre auf drei Jahre und von einem Jahr auf eine Woche herabgesetzt. Zudem führt ein eingeleitetes Strafverfahren nicht mehr automatisch zum Stadionverbot. Die Fans erhalten vom Verein ein Anhörungsrecht. Körenzig berichtet, die Klubs hätten begonnen, auch die Berichte der Ordnungshüter zu hinterfragen und entsprechend zu entscheiden. Das missfalle den Staatsbeamten sehr. Hinzu kommt der Unmut über die Entscheidung des Lüneburger Verwaltungsgerichts Ende letzten Jahres. Dieser entschied, dass die vom Bundeskriminalamt mit 10.000 Einträgen opulent geführte Datei "Gewalttäter Sport" rechtswidrig sei.

Gewaltphänomene sind komplex. Eine Erklärungsvariable hat nur eine bedingte Aussagekraft. Aber dass das zunehmend rabiatere Auftreten der Polizei mit deren Autoritätsverlust zu tun hat, hält auch Gregor Voehse, der ehemalige Fanprojektleiter vom SV Babelsberg 03, für plausibel. Zwar müsse man auch konstatieren, dass die Gewaltbereitschaft unter der jungen Fangeneration zugenommen habe und man natürlich nicht auf die Polizei verzichten könne. Es gäbe jedoch ein Problem: "Es fehlt an einem Korrektiv." Polizeiberichte würden in der Bevölkerung für bare Münze genommen, Fußballfans hingegen würden als prollig, versoffen und dumm gelten. Um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und der Verselbstständigung des Polizeiapparates entgegenzuwirken, hat Voehse vor vier Jahren die Aktion "Fußballfans beobachten die Polizei" mit begründet. Bei ausgewählten Spielen werden die Fans durch Anwälte begleitet, die die Rechtsmäßigkeit der Polizeieinsätze bewerten sollen.

Der Unmut in der Fanszene wächst. Ein Zusammenschluss von Fußballanhängern hat im Januar 2008 ein Internetportal (www.fansmedia.org) online gestellt, um über die "ganz alltäglichen Gängelungen und Erniedrigungen, welche Fans von Spieltag zu Spieltag erleiden", zu informieren. Ein weiterer Versuch, die Deutungshoheit der Polizei zu unterminieren.

Neue Strategien sind im Umgang mit Fangewalt erforderlich. Gregor Voehse sagt: "Das Hauptproblem ist, dass die Polizei nicht anerkennt, dass sie ein Teil des Gewaltproblems ist und ihre Rolle gar nicht reflektiert." Fritz Buchholz von der Karlsruher Polizei behauptet, dass man sich vor dem Einsatz im Wald sehr wohl Gedanken über dessen Wirkung bei den jungen Fans gemacht habe. Die Frage ist nur: Welche? Das Videomaterial werde ordnungsgemäß gelöscht, wenn keine Straftat vorläge, sagt Bachholz. Was allerdings in den Köpfen der Jugendlichen haften geblieben ist, könnte die Keimzelle für neuerliche Gewalt sein.

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