Politologe über autoritären Populismus: „Es ist die Stunde der Exekutive“
Rechte Strömungen verlieren in der Coronakrise deutlich an Zustimmung. Der Experte Michael Zürn glaubt aber nicht, dass das so bleiben wird.
taz: Herr Zürn, laut jüngsten Umfragen verliert die AfD deutlich und kommt bei der Sonntagsfrage nur noch auf zehn Prozent der möglichen Wählerstimmen. Ist die Corona-Krise in Deutschland auch eine Krise des Populismus?
Michael Zürn: Nein, die Corona-Krise hat einen Effekt, den fast alle extern verursachten Krisen haben. Es ist dann die Stunde der Exekutive und die Regierenden bekommen zunächst einmal einen Vertrauensvorschuss, was sich entsprechend in den Umfragewerten niederschlägt.
Diesen „Rally-'Round-the-Flag“-Effekt beobachten wir nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Ländern wie den USA, in denen es gute Gründe gibt, anzunehmen, dass Fehler im Krisenmanagement gemacht worden sind. Auch Trump hat kurzfristig bessere Umfragewerte, obwohl es ihm langfristig vermutlich schaden wird. Dieses Phänomen beschränkt sich aber auf solche Krisen, die plötzlich von außen hereinbrechen.
Die AfD scheint in diesen Krisenzeiten wenig Konstruktives zur Problemlösung beizutragen. Ist die Partei ein Luxusphänomen?
Die AfD macht bestimmte Themen stark und muss aufgrund ihrer Positionierung bei diesen Themen zu anderen Themen schweigen. Genau in diesem Problem befinden sie sich momentan. Die Betonung der Kritik an offenen Grenzen, an der EU und an internationalen Problemlösungen führt dazu, dass es von ihr kaum Antworten auf diese globale Krise gibt. Der Virus missachtet die Grenzen, daher kommen wir zu einem gewissen Maße nicht um transnationale Problemlösungen umhin.
Von europäischer Solidarität und Zusammenhalt ist derzeit allerdings wenig zu sehen, vielmehr findet eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat statt. Stößt das kosmopolitische Projekt an seine Grenzen?
Es ist eine globale Krise, ganz ohne Frage. Gleichzeitig tritt sie um lokale Herde herum auf, was zunächst lokale und nationale Maßnahmen erforderlich macht, zumal dort auch die politischen Ressourcen angesiedelt sind. Wenn der Nebel verflogen ist, werden Fragen über die Folgewirkungen auftauchen. Dann kommt die internationale Dimension stark ins Spiel.
Jetzt schon wird die Frage diskutiert, ob die zusätzliche Haushaltsbelastung in Italien zum Ende des Euro führen wird. Als sekundären Effekt könnten wir dann doch über den Umweg der Coronabonds eine intensivere Solidarität in Europa als bisher erreichen? Ich halte die Antwort auf diese Frage für politisch offen. Es gibt jedenfalls eine einmalige historische Chance ein solches Element der Solidarität innerhalb der Eurozone einzuführen.
Verfängt die populistische Gegenüberstellung der „einfachen Leute“ und einer „korrupten Elite“ weniger, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen von der Krise bedroht sind?
Ja, das ist bestimmt so. Kurzfristig sind wir alle gleichermaßen von der Ansteckungsgefahr betroffen. Die langfristigen Effekte werden ganz anders aussehen.
Also wenn sich die gesellschaftlichen Konfliktlinien vertiefen?
61, ist Direktor der Abteilung „Global Governance“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Der Politikwissenschaftler forscht unter anderem zu neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien und dem weltweiten Erstarken des autoritären Rechtspopulismus.
Wenn die Maßnahmen gegriffen haben, die Haushalte hoch verschuldet sind und wir nach wie vor mit schlechten oder negativen Wachstumsraten zu tun haben, ist zu erwarten, dass sich viele der sozialen Konflikte zwischen Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern verschärfen. Das könnte der Moment sein, an dem sich der kurzfristige Nachteil der rechtspopulistischen Position umkehrt und es zu einem erneuten Erstarken kommt.
Profitieren langfristig also die Rechtspopulisten?
Hier könnte neben den Verteilungseffekten der Krise auch der Vergleich verschiedener politischer Systeme interessant sein und gegenteilig wirken: Erstens technokratisch-autoritäre Systeme wie China, zweitens liberaldemokratische Systeme wie Deutschland oder Frankreich und drittens autoritär-populistische Systeme wie Brasilien, USA oder Großbritannien. Wie erfolgreich sind sie im Umgang mit der Krise?
So wie die Lage jetzt ist, besteht die Möglichkeit, dass die autoritär-populistischen Regierungen systematisch schlechter abschneiden als die demokratischen, und auch als die technokratisch-autoritären. Bolsonaro, Trump und Co geben bisher keine gute Figur ab. Wenn das so bleibt, könnte dies langfristig gegen den Rechtspopulismus wirken.
Andererseits wird in Ländern wie Ungarn mit einem Corona-Notstandsgesetz gerade der letzte Rest an Demokratie abgeschafft. Befördert die Krise mancherorts nicht auch das Autoritäre?
Selbstverständlich. Innerhalb der autoritär-populistischen Variante muss man solche unterscheiden, bei denen die demokratischen Verfahren schon so weit ausgesetzt sind, dass man sie eigentlich nicht mehr als demokratisch bezeichnen kann. Dort wird die Krise von der Regierung genutzt, um die Untergrabung der demokratischen Prozesse weiter zu betreiben und ihre Position zu festigen. Diese Systeme sind schon so weit ins Autoritäre abgedriftet, dass das ohne den nötigen Widerstand betrieben werden kann. Orbán ist da das beste Beispiel.
Hat der autoritäre Populismus zumindest als globales Phänomen nach Corona ausgedient?
Das denke ich nicht. Es gibt grundlegende Entwicklungen in den Gesellschaften, die eine Spaltung zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen, zwischen Nationalisten und Internationalisten, hervorgerufen haben. Die Corona-Krise ist wie ein Meteorit von außen auf uns eingestürzt und hat bestimmte Dinge durcheinandergewirbelt. Wenn diese Krise überwunden ist, dann werden wieder ganz ähnliche gesellschaftliche Dynamiken wie zuvor im Vordergrund stehen. Exogene Krisen verändern nicht die Bruchlinien und Spannungen, die es zuvor gab. Sie setzen sie vorübergehend aus.
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