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Politologe über autoritären Populismus„Es ist die Stunde der Exekutive“

Rechte Strömungen verlieren in der Coronakrise deutlich an Zustimmung. Der Experte Michael Zürn glaubt aber nicht, dass das so bleiben wird.

Schlechte Zeiten für Populisten? Die AfDler Jörd Urban und Sebastian Wimpel mit Schutzmaske Foto: Robert Michael/dpa
Interview von Georg Sturm

taz: Herr Zürn, laut jüngsten Umfragen verliert die AfD deutlich und kommt bei der Sonntagsfrage nur noch auf zehn Prozent der möglichen Wählerstimmen. Ist die Corona-Krise in Deutschland auch eine Krise des Populismus?

Michael Zürn: Nein, die Corona-Krise hat einen Effekt, den fast alle extern verursachten Krisen haben. Es ist dann die Stunde der Exekutive und die Regierenden bekommen zunächst einmal einen Vertrauensvorschuss, was sich entsprechend in den Umfragewerten niederschlägt.

Diesen „Rally-'Round-the-Flag“-Effekt beobachten wir nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Ländern wie den USA, in denen es gute Gründe gibt, anzunehmen, dass Fehler im Krisenmanagement gemacht worden sind. Auch Trump hat kurzfristig bessere Umfragewerte, obwohl es ihm langfristig vermutlich schaden wird. Dieses Phänomen beschränkt sich aber auf solche Krisen, die plötzlich von außen hereinbrechen.

Die AfD scheint in diesen Krisenzeiten wenig Konstruktives zur Problemlösung beizutragen. Ist die Partei ein Luxusphänomen?

Die AfD macht bestimmte Themen stark und muss aufgrund ihrer Positionierung bei diesen Themen zu anderen Themen schweigen. Genau in diesem Problem befinden sie sich momentan. Die Betonung der Kritik an offenen Grenzen, an der EU und an internationalen Problemlösungen führt dazu, dass es von ihr kaum Antworten auf diese globale Krise gibt. Der Virus missachtet die Grenzen, daher kommen wir zu einem gewissen Maße nicht um transnationale Problemlösungen umhin.

Von europäischer Solidarität und Zusammenhalt ist derzeit allerdings wenig zu sehen, vielmehr findet eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat statt. Stößt das kosmopolitische Projekt an seine Grenzen?

Es ist eine globale Krise, ganz ohne Frage. Gleichzeitig tritt sie um lokale Herde herum auf, was zunächst lokale und nationale Maßnahmen erforderlich macht, zumal dort auch die politischen Ressourcen angesiedelt sind. Wenn der Nebel verflogen ist, werden Fragen über die Folgewirkungen auftauchen. Dann kommt die internationale Dimension stark ins Spiel.

Jetzt schon wird die Frage diskutiert, ob die zusätzliche Haushaltsbelastung in Italien zum Ende des Euro führen wird. Als sekundären Effekt könnten wir dann doch über den Umweg der Coronabonds eine intensivere Solidarität in Europa als bisher erreichen? Ich halte die Antwort auf diese Frage für politisch offen. Es gibt jedenfalls eine einmalige historische Chance ein solches Element der Solidarität innerhalb der Eurozone einzuführen.

Verfängt die populistische Gegenüberstellung der „einfachen Leute“ und einer „korrupten Elite“ weniger, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen von der Krise bedroht sind?

Ja, das ist bestimmt so. Kurzfristig sind wir alle gleichermaßen von der Ansteckungsgefahr betroffen. Die langfristigen Effekte werden ganz anders aussehen.

Also wenn sich die gesellschaftlichen Konfliktlinien vertiefen?

Im Interview: Michael Zürn

61, ist Direktor der Abteilung „Global Governance“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Der Politikwissenschaftler forscht unter anderem zu neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien und dem weltweiten Erstarken des autoritären Rechtspopulismus.

Wenn die Maßnahmen gegriffen haben, die Haushalte hoch verschuldet sind und wir nach wie vor mit schlechten oder negativen Wachstumsraten zu tun haben, ist zu erwarten, dass sich viele der sozialen Konflikte zwischen Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern verschärfen. Das könnte der Moment sein, an dem sich der kurzfristige Nachteil der rechtspopulistischen Position umkehrt und es zu einem erneuten Erstarken kommt.

Profitieren langfristig also die Rechtspopulisten?

Hier könnte neben den Verteilungseffekten der Krise auch der Vergleich verschiedener politischer Systeme interessant sein und gegenteilig wirken: Erstens technokratisch-autoritäre Systeme wie China, zweitens liberaldemokratische Systeme wie Deutschland oder Frankreich und drittens autoritär-populistische Systeme wie Brasilien, USA oder Großbritannien. Wie erfolgreich sind sie im Umgang mit der Krise?

So wie die Lage jetzt ist, besteht die Möglichkeit, dass die autoritär-populistischen Regierungen systematisch schlechter abschneiden als die demokratischen, und auch als die technokratisch-autoritären. Bolsonaro, Trump und Co geben bisher keine gute Figur ab. Wenn das so bleibt, könnte dies langfristig gegen den Rechtspopulismus wirken.

Andererseits wird in Ländern wie Ungarn mit einem Corona-Notstandsgesetz gerade der letzte Rest an Demokratie abgeschafft. Befördert die Krise mancherorts nicht auch das Autoritäre?

Selbstverständlich. Innerhalb der autoritär-populistischen Variante muss man solche unterscheiden, bei denen die demokratischen Verfahren schon so weit ausgesetzt sind, dass man sie eigentlich nicht mehr als demokratisch bezeichnen kann. Dort wird die Krise von der Regierung genutzt, um die Untergrabung der demokratischen Prozesse weiter zu betreiben und ihre Position zu festigen. Diese Systeme sind schon so weit ins Autoritäre abgedriftet, dass das ohne den nötigen Widerstand betrieben werden kann. Orbán ist da das beste Beispiel.

Hat der autoritäre Populismus zumindest als globales Phänomen nach Corona ausgedient?

Das denke ich nicht. Es gibt grundlegende Entwicklungen in den Gesellschaften, die eine Spaltung zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen, zwischen Nationalisten und Internationalisten, hervorgerufen haben. Die Corona-Krise ist wie ein Meteorit von außen auf uns eingestürzt und hat bestimmte Dinge durcheinandergewirbelt. Wenn diese Krise überwunden ist, dann werden wieder ganz ähnliche gesellschaftliche Dynamiken wie zuvor im Vordergrund stehen. Exogene Krisen verändern nicht die Bruchlinien und Spannungen, die es zuvor gab. Sie setzen sie vorübergehend aus.

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11 Kommentare

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  • "Kurzfristig sind wir alle gleichermaßen von der Ansteckungsgefahr betroffen."

    Sicher nicht.



    Am stärksten der Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind Menschen in den "systemrelevanten Berufen", deren Aufgabe es ist, direkten Kontakt zu anderen zu haben, und deren Arbeit sich deshalb auch nicht ins Home-office verlegen lässt: Kassiererinnen, Beschäftigte im Einzelhandel, Krankenschwestern und -pfleger, Erzieher*innen, Logistik-Arbeiter*innen, Lieferant*innen usw. Das sind die, die gerade den Laden am laufen halten. Gleichzeitig sind es die Menschen, die mit die geringsten Löhne haben und deshalb oft in Stadtvierteln und Wohnungen wohnen, in denen es besonders eng ist, wo sie also nochmals einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind als etwa Menschen, die sich ins Home-Office in ihrem Haus am Stadtrand zurückziehen.



    Nicht umsonst stellen sich Presse und Politik taub, wenn die Frage aufkommt, die Infizierten bitte auch nach sozialer Schicht aufzuschlüsseln.

  • "autoritär-populistische Systeme wie Brasilien, USA oder Großbritannien. "

    Großbritannien mag ja wohl mit Johnson populistisch sein, aber autoritär? Was reitet Herr Zürn für diese Einordnung?

  • 6G
    65572 (Profil gelöscht)

    "Die AfD scheint in diesen Krisenzeiten wenig Konstruktives zur Problemlösung beizutragen."

    Habe ich etwas übersehen? Welche konstruktiven Ideen kam schon von dieser Partei?

  • Kommentar entfernt. 

    • @clembus:

      Ja, weil viele jetzt statt "grün" wieder Merkels CDU wählen. Insgesamt verschieben sich bei der wahrscheinlichsten Koalition nur die Gewichte.

      Das passt aber nicht ins Weltbild der AFD.

      Die einzige Partei in Deutschland, die nicht mal im Ansatz eine Chance auf eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene hat, das ist die AFD.



      Wer ist jetzt als der große Verlierer?

      • @Bulbiker:

        Weder der rechte Rand noch der linke Rand sollte Teil der Regierung sein.

        Ich finde nur seltsam, dass man sagt Groko sei schlecht für Land und dann wählt man die nächste ^^

    • @clembus:

      Die legen wieder zu, sobald sich der Ausnahmezustand gelegt hat. Und ja: AFD ist für Dummies.

    • @clembus:

      Der arme AfDler. Bißchen weinen, bißchen greinen? Ach Gottchen.

    • 6G
      65572 (Profil gelöscht)
      @clembus:

      Womit sehen Sie im obigen Artikel die AfD gebasht?

      • @65572 (Profil gelöscht):

        laut INSA / YouGov

        hatte die Grünen am 16.03.2020 23 % un d laut aktuelle Umfrage auf 16 % auf fast dieselbe Werte kommt die forsa auch!

        Während die AFD 1-3 % verloren hat.! Warum die AFD der grosse Verlierer der Krise sein sollte erschließt mir einfach nicht

        • 6G
          65572 (Profil gelöscht)
          @clembus:

          Aber es ging doch um autoritären Populismus.

          Man kann ja den Grünen viel vorwerfen, aber...