Politologe über Konflikte im Kaukasus: „Moskau verliert an Einfluss“
Der Politologe Paata Zakareischwili forscht zu Konfliktlösungen im Südkaukasus. Er sieht die Macht Russlands in der Region schwinden – und hofft auf Frieden.
taz: Herr Zakareischwili, der Konflikt in Bergkarabach zeigt, wie unerwartet der Ausgang eines langen Konflikts sein kann. Wie könnte sich die Lage in Abchasien und Südossetien entwickeln?
Paata Zakareischwili: Wenn wir nach Bergkarabach oder in die Ukraine blicken, macht das nicht gerade Mut. Karabach ist eines der traurigsten und die Ukraine ein schreckliches Beispiel. Für mich sind solche Szenarien absolut inakzeptabel. Wir müssen unseren abchasischen und ossetischen Mitbürgern fortwährend Signale senden, dass Georgien jeden Gedanken an eine gewaltsame Lösung dieses Konflikts ausschließt.
taz: Welche Rolle spielt Russland?
Zakareischwili: Russland ist ein Feind, der heute mit Gewalt über das Schicksal der Ukraine entscheidet und 2008 gewaltsam in die international anerkannten Gebiete Georgiens einmarschiert ist. Leider wurde durch diesen Krieg zwischen Georgien und Russland ein Zustand geschaffen, in dem heute nach internationalem Recht und der Gesetzgebung Georgiens ein Teil des georgischen Territoriums besetzt ist.
66, ist Spezialist für Konflikte im postsowjetischen Raum. Von 2012 bis 2016 war er Minister für Versöhnung und Gleichstellung. Er lebt in der georgischen Hauptstadt Tbilisi.
taz: Die Regierungspartei Georgischer Traum hat vor den Wahlen am 26. Oktober vorgeschlagen, sich bei Abchasien und Ossetien zu entschuldigen. Was halten Sie davon?
Zakareischwili: Das war eine reine PR-Kampagne von Bidsina Iwanischwili (Oligarch und Gründer des Georgischen Traums; Anm. d. Red.). Er wollte sich nicht bei den Osseten entschuldigen, sondern die Vereinigte Nationalbewegung (Partei von Ex-Präsident Micheil Saakaschwili; Anm. d. Red.) demütigen, um seinem Konkurrenten Stimmen wegzunehmen und ihn zu diskreditieren. Diese Entschuldigung hat nichts mit einem Phänomen wie Vergebung zu tun, die auf einem Schuldgefühl beruht. Ich schließe eine hypothetische Entschuldigung nicht aus, aber dies sollte ein vorbereiteter Prozess sein.
taz: In Georgien hegen dennoch viele die Hoffnung, dass Russland Abchasien und Ossetien zurückgeben werde. Wie realistisch ist das?
Zakareischwili: Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat sofort erklärt, dass Moskau keine Schritte zur Änderung des Status quo von Abchasien und Ossetien erwäge. Warum ist klar: Russland will seine Verbündeten nicht verlieren. Die Armenier lamentieren übrigens immer noch darüber, dass sie auf Unterstützung von Russland gesetzt hätten, Moskau das Land jedoch im Stich gelassen habe. Auf Moskau kann man nicht zählen. Ich möchte nicht, dass unsere Mitbürger, die Abchasen und Osseten, von der Gnade Russlands abhängig sind.
taz: Der Friedensvertrag zwischen Armenien und Aserbaidschan wurde noch nicht unterzeichnet. Warum?
Zakareischwili: Aserbaidschan argumentiert, dass die Präambel der Verfassung Armeniens eine Passage enthalte, in der es eindeutig heißt, dass Bergkarabach Teil Armeniens sei. Baku behauptet, es könne nicht sicher sei, dass Armenien nicht doch Ansprüche an Aserbaidschan habe. Armenien hat seine eigene Antwort: Man habe sich bereits darauf geeinigt, das Abkommen zu unterzeichnen und dieses werde über der Verfassung stehen. Es ist schwierig, beide Seiten zu kritisieren. Wir alle warten auf Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien, der Frieden im Südkaukasus insgesamt hängt davon ab.
taz: Inwieweit wirkt sich der Ukrainekrieg auf den Südkaukasus und die dortigen Konflikte aus?
Zakareischwili: Wir beobachten den Krieg in der Ukraine genau, weil Russland als Aggressor auch eigene Ansprüche auf den Kaukasus geltend macht. Je nachdem, ob Russland seine Ziele in der Ukraine erreicht, kann es diese auch im Südkaukasus verwirklichen. Umgekehrt gilt: Wenn Russland seine Ziele in der Ukraine nicht erreichen kann, wird es entlang seiner gesamten Staatsgrenze, auch gegenüber dem Südkaukasus, schwächer. Kurzum: Nicht nur die Ukraine an sich ist wichtig, sondern auch wie Russland aus diesem Krieg herausgeht.
taz: Wie hat sich Russlands Einfluss in der Region im Laufe der Jahre verändert?
Zakareischwili:Moskau ist dabei, deutlich an Einfluss in der Region zu verlieren. Dementsprechend haben wir neue Akteure, wie die Türkei.
taz: Und was ist mit China?
Zakareischwili: Der Südkaukasus gleicht ein wenig einem Kohl: drei Staaten, drei Blätter und obendrüber drei externe Akteure mit Interessen im Südkaukasus – Iran, die Türkei und Russland. Etwas weiter oben gibt es noch ein Blütenblatt, die Nato und die EU. Innerhalb dieses Kohls schwelen immer noch ungelöste Konflikte, zumindest in Abchasien und Südossetien. Vor diesem Hintergrund hat, grob gesagt, China in diesem Kohl keinen Platz. Iran, die Türkei und Russland hingegen haben ihre eigenen zivilisatorischen Bindungen zum Südkaukasus, sei es durch Religion oder Sprache. In China gibt es nichts Vergleichbares. Das Einzige ist die Wirtschaft und das reicht nicht, um eine Expansion durchzuführen. Daher habe ich keine große Angst vor China. Sorgen hingegen bereiten mir strategische Allianzen mit China, die der Georgische Traum anstrebt. Das widerspricht eindeutig der georgischen Verfassung.
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