Politologe über Kommunalpolitik: „Im Moment eine Abwärtsspirale“
Im Kommunalen gibt es keine Brandmauer zwischen CDU und AfD, sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Muno. Dadurch vertieft sich die Krise des Systems.
taz: Professor Muno, muss man Angst haben vor den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern?
Wolfgang Muno: Ehrlich gesagt: Ja. Die AfD lag in den Umfragen zuletzt bei 35 Prozent, das dürfte sich über den Jahreswechsel nicht wesentlich geändert haben. Durch den Anstieg werden dann auch wieder die Diskussionen um die Brandmauer geführt werden, gerade weil es die auf lokaler Ebene ja schon lange nicht mehr gibt.
Stralsund ist ein Beispiel, wo sie 2023 eindrucksvoll gerissen wurde …
Jahrgang 1968, hat als Professor für Politikwissenschaft an der Uni Rostock den Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre inne. Er ist ständiges Mitglied der Arbeitsgruppe Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern.
Sie meinen im März, durch die Zustimmung von CDU- und FDP-Fraktion zum AfD-Antrag gegen das Gendern. Da ist die Union der AfD auf den Leim gegangen. Sie betreibt da als Verbotspartei im Verbund mit ihr den Kulturkampf gegen das Gendern.
Dabei hieß es immer, Kommunalparlamente seien kein Ort der Parteipolitik. Gilt das nicht mehr?
Ja und Nein. Sie sind auf der einen Seite ein Ort, in dem man einander persönlich kennt. Man ist oft schon lange dabei, wir haben AfD-Abgeordnete, die vielleicht in der freiwilligen Feuerwehr engagiert sind oder im Sportverein. Genau das macht es ja so gefährlich.
Warum?
Durch dieses entpolitisierte Moment der Kommunalpolitik ist die Hemmschwelle zusammenzuarbeiten geringer. Zudem kommt immer das Argument, es gehe ja nur um vermeintlich unpolitische Sachfragen, Schule oder Straßen etwa. Dabei findet gleichzeitig die typische Polarisierung durch die AfD auf der lokalen Ebene sehr wohl statt.
Ähnelt das der Kulturkampf-Strategie der rechtsradikalen Vox-Partei in Spanien?
Eher nutzt die AfD Frankreich als Vorbild: Sie scheint sich daran zu orientieren, wie sich Marine Le Pens Rassemblement National einen staatstragenden Anstrich verleiht. Und dafür spielt eine entscheidende Rolle, wie auf lokaler Ebene Verantwortung übernommen wird, in Bürgermeisterämtern und durch eine feste Verankerung in Stadt- oder Gemeinderäten. Das ist die Strategie, um dann als regierungsfähig zu gelten.
Welche Folgen hat das für die Makro-Ebene?
Es hatte ja schon unter Nicolas Sarkozy vor allem eine weitgehende Übernahme der extremen Anti-Migrations-Positionen gegeben. Das hat dazu geführt, dass die Menschen dann doch das Original wählen und nicht die Kopie, die sich ihm inhaltlich angenähert hat. Dasselbe sehen wir auch, wenn die CDU Positionen der AfD übernimmt: Die Zustimmungswerte der AfD steigen. Das wird sich dieses Jahr bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen beobachten lassen – und eben auch hier in Mecklenburg-Vorpommern bei den Kommunalwahlen. Man wählt das Original.
Offenbar ist nicht nur die CDU dafür empfänglich: Stefan Kerth, immerhin Landrat von Vorpommern-Rügen, ist im Herbst öffentlichkeitswirksam aus der SPD ausgetreten, weil die ihm zu migrationsfreundlich schien. Dabei ist der Mann Verwaltungs-Chef in einem Landkreis, dessen Ausländeranteil bei 4,5 Prozent liegt. Gibt es diesen Trend gerade bei allen politischen Kräften?
Hier in Mecklenburg-Vorpommern sehen wir bei allen, außer bei Bündnis 90/Die Grünen, eine deutliche Bewegung in diese Richtung: Weder Klima noch Umwelt spielen eine Rolle in der Bevölkerung, kaum einmal soziale Fragen, außer vielleicht Energiesicherheit, Löhne und Renten. Stattdessen wird Migration bei Umfragen als wichtigstes Thema im Land präsentiert und mit Bürgerbegehren gegen die Unterbringung von Geflüchteten am Köcheln gehalten. Das macht auch vor der SPD nicht halt. Einige glauben deshalb, damit punkten zu können.
Durch Parteiaustritt?
Die SPD steht bei Umfragen momentan sehr schlecht da. Ich glaube, dem Herrn Kerth ging es mit seiner Absetzbewegung darum, die eigene Position als Landrat zu festigen und auch bei geänderten Mehrheitsverhältnissen im Kreistag die Zügel in der Hand zu behalten. Es geht ja auch bei Kommunalwahlen um Macht.
Systemisch relevant war ja in seiner Austrittserklärung der Vorwurf an die eigene Partei, im Bund eine „abgehobene und wirklichkeitsfremde Politik“ zu betreiben. Hat sich dieser Eindruck, von der übergeordneten Ebene im Stich gelassen zu werden, in der Kommunalpolitik verstärkt?
Der hat sich deutlich verstärkt. Das passt in diese populistische Anti-Establishment-Rhetorik, die auch auf kommunaler Ebene übernommen wird: Die in Berlin sind ganz weit weg, die leben in ihrer Bubble, das ist die Erzählung.
Da ist nichts dran?
Empirisch kann man sehen, dass diese Eliten-Kritik zunimmt, ohne dass es eine Veränderung im Verhalten der Abgeordneten gegeben hätte. Es ist nicht so, dass die nur noch in Berlin leben und nie nach Hause fahren würden. Die haben ihre Wahlkreisbüros und ihre Auftritte. Eher müsste sich die Basis fragen, warum sie keinen Kontakt zu den Abgeordneten aufnimmt.
Das scheint zugleich Ausdruck und Motor einer Erosion des Vertrauens, die sogar kommunale Gremien erfasst hat. Das lag selbst bei Bürgermeistern, Stadt- und Gemeinderäten und der Verwaltung laut Forsa 2023 überall unter 50 Prozent…
Das generelle Misstrauen in politische Institutionen auf allen Ebenen ist erschreckend. Nach Erhebungen der Landeszentrale für politische Bildung in Mecklenburg-Vorpommern sagen bis zu 80 Prozent der Befragten: Unsere Position zählt sowieso nicht. Der Glaube an die Selbstwirksamkeit, der fehlt.
Wie entmutigend.
Das ist sehr schlecht. Auch angesichts der Tatsache, dass die Personaldecke hier so dünn ist. Die Parteien werden Schwierigkeiten haben, genügend Menschen zu motivieren, um alle politischen Ämter auszufüllen. Bei den Bürgermeisterwahlen vor fünf Jahren hatten wir hier eine ganze Reihe von Gemeinden, in denen niemand kandidieren wollte. Es scheint nicht attraktiv zu sein, sich dafür zu bewerben. Der Personalmangel wird meiner Meinung nach durch die um sich greifende Polarisierung infolge des Vormarschs der AfD noch dramatischer werden.
Warum?
Diese Polarisierung geht einher mit aggressiven Vorwürfen und auch physischen Angriffen auf Lokalpolitiker. Das ist natürlich demotivierend: Als Europa- oder Bundestagsabgeordneter bekommen sie ja wenigstens ein erhebliches Gehalt. Aber das hier sind ehrenamtlich engagierte Menschen, die in ihrer Freizeit etwas für das Gemeinwohl tun. Da bekommen Sie nur ein kleines Sitzungsgeld und werden dann noch auf irgendwelchen Social-Media-Plattformen gehatet. Da fragt man sich schon, warum soll ich mir das antun? Das ist im Moment eine Abwärtsspirale, in der wir uns befinden. Die ist sehr bedenklich.
Lässt sich das System der kommunalen Selbstverwaltung noch retten?
Es ist marode. Wir alle – Parteien, Gesellschaft, Medien, Wissenschaft – müssen überlegen, wie können wir etwas dagegen tun? Wie können wir dafür sorgen, dass Parteien attraktiver werden – denn ohne Parteien geht es einfach nicht – und wie können wir für mehr Bürgerbeteiligung sorgen?
Aber sind Bürgerbegehren nicht Instrumente der Polarisierung?
Ja, die sind damit auch nicht gemeint: In denen werden Fragen eng geführt auf ein schlichtes Ja oder Nein, etwa zum Containerdorf, um Geflüchtete unterbringen zu können – wie in Greifswald. Es geht aber darum, Menschen längerfristig in Diskussionen einzubinden, um sie wieder an die Demokratie heranzuführen. Das Modell sind also eher Bürgerräte.
Als die „Letzte Generation“ diese im vergangenen Frühjahr gefordert hatte, ist die Idee in deutschen Polit-Talkshows als undemokratisch niedergeschrien und gebrandmarkt worden …
Diejenigen, die das brandmarken, haben keine Ahnung, wie das funktioniert. Das muss ich als Politikwissenschaftler einfach mal so hart ausdrücken. Bürgerräte gibt es in Baden-Württemberg fast flächendeckend, auf kommunaler und auf Landesebene, und es gibt viele andere europäische Länder, in denen die ausgezeichnet funktionieren. Das Wissen, was deren Sinn ist, fehlt einfach – und dann argumentieren einige Politiker dagegen, weil sie Angst haben, dass ihre Kompetenzen geschmälert werden. Ich halte aktuell die Lage für so ernst, dass wir schlicht alles versuchen müssen, was Besserung verspricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit