Politischer Streit im Südsudan eskaliert: Der Traum ist geplatzt
Nach gut zwei Jahren Freiheit zerbricht Südsudan unter der Last seiner ungelösten Probleme. Die alten Warlords positionieren sich neu.
BERLIN taz | Was jubelten sie alle, als Südsudan am 9. Juli 2011 gegründet wurde. Von Barack Obama bis Angela Merkel hieß die Weltgemeinschaft ihr neuestes Mitglied willkommen. Als die bunte Flagge des freien Südsudan über Juba in den Himmel stieg, rief Präsident Salva Kiir unter dem Jubel der Bevölkerung: „Ein Traum ist wahr geworden!“
Jetzt ist der Traum geplatzt. Kämpfe und Massaker in Juba haben seit Montag nach UN-Schätzungen rund 500 Tote gefordert. Das Ausland evakuiert seine Staatsbürger – die Weltgemeinschaft verlässt das sinkende Schiff Südsudan.
Präsident Salva Kiir spricht von einem Putschversuch des geschassten Vizepräsidenten Riek Machar, aber Beobachter sind sich einig: Hier ist ein Machtkampf im Gange, in dem sich alte Warlords neu sortieren.
Bei einem Angriff von Stammesangehörigen auf einen UN-Stützpunkt im Bundesstaat Jonglei wurden am Donnerstag drei indische UN-Blauhelmsoldaten getötet. In das Lager waren zuvor Zivilisten vor den anhaltenden Kämpfen geflüchtet. Mit harten Worten forderte US-Präsident Barack Obama ein sofortiges Ende der Gewalt. Die USA entsendeten zudem dutzende Soldaten in den afrikanischen Staat. Nach Angaben der UNO attackierten Angehörige des Stammes der Lou Nuer das Lager der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) in Akobo im Bundesstaat Jonglei. Daraufhin verloren die Vereinten Nationen den Kontakt zu ihrem Stützpunkt. Später sagte der indische Botschafter bei der UNO, Asoke Mukerji, Milizen hätten drei indische UN-Blauhelmsoldaten „gezielt“ getötet.
Jetzt rächen sich die Versäumnisse im Südsudan seit der Unabhängigkeit, die auf sechs Jahre Autonomie und davor 22 Jahre entbehrungsreichen Befreiungskampf gefolgt war. Als der Krieg zu Ende ging, zogen die Guerillaführer der SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) sich zwar Anzüge an und bauten sich Villen. Aber sie legten ihre Denkmuster aus Kriegszeiten nicht ab, und ein ordentlicher Staat mit rechenschaftspflichtigen Institutionen entstand nicht.
Je besser es dem jungen Land wirtschaftlich ging, desto problematischer wurde dies politisch. Südsudan ist ein Ölstaat: Bei voller Kapazität verdient Südsudan am Öl umgerechnet 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Davon kann eine Elite reich werden, ohne sich um politische Strukturen kümmern zu müssen.
Handlungsfähige Institutionen fehlen
2012 stoppte der Ölexport, weil man sich mit dem Sudan über die Höhe der Abgaben für den Transfer stritt. Im April 2013 ging es weiter. Seitdem hat das Land nach offiziellen Angaben rund 700 Millionen Euro am Öl verdient. Aber 50 Prozent der Staatseinnahmen fließen in Militär und Polizei, auch im neuen Haushalt 2014. Das Ergebnis: ein Immobilienboom in Juba und eine international vernetzte Geschäftswelt im Umfeld der Exguerilla – aber wenig Aufbau für die Bevölkerung.
Handlungsfähige Institutionen fehlen. Die Unzufriedenheit darüber äußert sich auf althergebrachte Weise, notfalls mit der Waffe. Ein Grundstein von Südsudans Stabilität war die historische Versöhnung zwischen alten Feinden – die SPLA-Führung aus dem Dinka-Volk und historische Rivalen aus den Volksgruppen der Nuer und Shilluk. Während des Befreiungskriegs hatte Sudans Militärregierung in Khartoum immer wieder die Ethnien Südsudans aufeinandergehetzt. Doch 2011 wurde der Nuer Riek Machar Vizepräsident unter dem Dinka Salva Kiir als Staatschef.
Die Versöhnung hielt nicht. Machar übte nach 2011 häufig Kritik an Kiir. Gegenüber dem Ausland inszenierte er sich als moderne zivile Alternative. Das machte Kiir misstrauisch. Im Juli 2013 wurde Machar gefeuert und mit ihm die Regierung. Seitdem kommt die regierende SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) nicht zur Ruhe. Im November erklärte Kiir sämtliche Gremien der SPLM für aufgelöst.
Am 6. Dezember gingen die parteiinternen Kritiker des Präsidenten an die Öffentlichkeit. „Entscheidungen werden im Wesentlichen von einer Person getroffen“, warfen sie Salva Kiir vor, „und in den meisten Fällen von regionalen und ethnischen Lobbygruppen und Geschäftsfreunden des SPLM-Vorsitzenden.“
Zwei Tage später warf eine Kiir-treue Gruppe den Kritikern vor, sie wollten „die Armee aufwiegeln und Instabilität, Chaos und Unordnung schüren“ – ein prophetischer Satz: Die Kämpfe in Juba brachen aus, nachdem ein SPLM-Führungstreffen am 14. Dezember im Eklat endete und Kiir angeblich die Anweisung erteilte, illoyale Teile der Präsidialgarde zu entwaffnen.
Gefährliche Wendung
Der politische Streit wird jetzt auf der Straße als ethnische Konfrontation ausgefochten. Augenzeugenberichten zufolge haben Kiir-treue Truppen in Juba gezielt Nuer gejagt und hingerichtet, als mutmaßliche Anhänger Riek Machars. Dessen Aufenthaltsort ist unbekannt.
Eine gefährliche Wendung nahm der Machtkampf am Mittwoch. In der Garnisonsstadt Bor, flussabwärts von Juba am Nil, sagte sich das Militär unter Führung seines Kommandanten Peter Gadet von der Regierung los. Gadet ist Nuer, wie Riek Machar. Berichten zufolge sollen Nuer-Jugendliche aus Bor nun einen „Marsch auf Juba“ vorbereiten. In Reaktion auf die Tötungen von Nuer in Juba gibt es Racheangriffe auf Dinka in Bor. Das erschüttert Südsudan zutiefst. In Bor war 1983 die SPLA entstanden, als Folge einer Armeemeuterei. In Bor hatte 1991 Riek Machar, damals mit Khartoum gegen die SPLA alliiert, eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der südsudanesischen Geschichte verübt: ein Massaker an mindestens 2.000 Dinka. Erst 2012 hat Machar sich dafür entschuldigt. Der neue Südsudan geht an seinen alten Wunden zugrunde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid