Politischer Journalismus: Demos? No way!

Auf Twitter steht zur Debatte, ob Journalist*innen auf Demos gehen dürfen. In den USA stellt sich die Frage gar nicht: Dort ist es ihnen verboten.

Ein Luftballon vor blauem Himmel. Auf ihm steht: "FCK AFD"

Darf ein*e Journalist*in diesen Ballon halten? In den USA: no way! Foto: Paul Zinken/dpa

WASHINGTON taz | Nachdem am vergangenen Sonntag viele Tausend Menschen in Berlin gegen die AfD auf die Straße gingen, stellte der Zeit-Journalist Martin Machowecz bei Twitter eine Frage. Verkürzt wollte er wissen: Wie politisch dürfen sich Journalist*innen zeigen? In einem Tweet kritisierte er Kolleg*innen, die gegen die rechtspopulistische Partei demonstrieren, aber auch über sie berichten.

„Es entsteht der problematische Eindruck, wir Journalisten seien alle einhellig gegen die Partei“, sagte Machowecz im taz-Interview. Zustimmung erhielt er unter anderem von der Spiegel-Reporterin Melanie Amann, die seit Jahren für das Magazin über die AfD berichtet. Widerspruch kam von diversen Journalist*innen, die Machowecz unter anderem entgegneten, es sei sogar die demokratische Pflicht von Journalist*innen gegen eine rechte Partei zu demonstrieren.

Es ist eine sehr deutsche Debatte, die alle paar Jahre wiederkehrt. In den USA, im Land der großen Freiheiten, stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Dort gilt eine strenge Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung. Wer Berichte schreibt, darf in der Regel keine Kommentare schreiben, und umgekehrt. Politisches Engagement ist verpönt – oder sogar verboten.

„Ich betreibe noch nicht einmal Fundraising für die Schule meines Sohnes“, sagt Ari Bevacqua, Sprecherin des Hauptstadtbüros der New York Times in Washington D.C. „Es gibt KollegInnen, die nicht wählen gehen, weil sie darin einen Konflikt sehen.“ Wie die meisten großen Redaktionen der USA hat die New York Times einen umfangreichen Ethikkodex, in dem es heißt: „Angestellte sollten besonders darauf achten, jede Tätigkeit zu vermeiden, die einen tatsächlichen oder augenscheinlichen Interessenskonflikt darstellen könnte.“

„Washington Post“ ist noch präziser

Der Kodex der Washington Post ist präziser: „Wir vermeiden die aktive Teilnahme an parteiischen Angelegenheiten – Politik, Kommunales, soziale Bewegungen, Demonstrationen – die unsere Fähigkeit fair zu berichten und zu redigieren beeinträchtigen könnten, oder diesen Eindruck erwecken.“

Im Jahr 2011 feuerte der öffentliche New Yorker Radiosender WNYC eine Freelancerin, weil sie an den Occupy-Protesten teilgenommen hatte. Caitlin Curran arbeitete als Producerin für eine morgendliche Talkshow, die die Nachrichten des Tages aufgreift. Curran war keine Reporterin, berichtete nicht speziell über Occupy, schon gar nicht war sie persönlich on air. Allein die Tatsache, dass ihre Sendung das Thema einmal aufgegriffen hatte, reichte WNYC, um einen Interessenkonflikt zu sehen.

Oft geht die Interpretation dieser Regeln weit über den eigentlichen Text hinaus. Zwar ist nirgendwo explizit verboten zu wählen, und doch verzichten US-ReporterInnen immer wieder auf ihr Stimmrecht, weil sie ihre Neutralität nicht aufgeben wollen. Das ist nicht die Mehrheit, aber die Diskussion darüber wird regelmäßig ernsthaft geführt.

Besonders durch die verbalen Attacken des Präsidenten und seiner Anhänger*innen gegen Zeitungen und Fernsehsender ist die heilige Kuh der Neutralität in den USA noch heiliger geworden. Im Oktober weitete die New York Times ihre Regeln für Newsroom-Angestellte auf deren private Social Media Kanäle aus: Times-Mitarbeiter*innen sollen nun keine politischen Aussagen mehr twittern und posten.

„Reporter*in = New York Times“

Das Memo an die Newsroom-Angestellten enthält ein Zitat des Chefreporters im Weißen Haus, Peter Baker: „Tweets unserer Reporter*innen und Redakteur*innen über den Präsidenten werden als Aussagen der Institution New York Times angesehen. Das Weiße Haus macht da keinen Unterschied“, und weiter: „In der aktuell aufgeladenen Atmosphäre müssen wir zusammenstehen.“

„Neutralität war immer wichtig, aber in der gegenwärtigen Situation, in der Medien und Fakten selbst zum Thema geworden sind, haben wir eine besondere Verantwortung“, sagt Ari Bevacqua. „Wir müssen ein Vorbild für unvoreingenommenen Journalismus sein.“

Dazu kommt, dass neurechte Aktivist*innen immer wieder versuchen, den etablierten Redaktionen eine politische Agenda nachzuweisen, so wie der Verein „Project Veritas“ im November bei der Washington Post. Eine Post-Mitarbeiterin sagt: „Es besteht auf jeden Fall ein Drang, Times- oder Post-Journalist*innen dabei zu erwischen, wie sie etwas gegen die Trump-Regierung sagen. Man ist deshalb vorsichtiger geworden.“

Dass die Debatte in Deutschland entlang der AfD geführt wird, ist nicht verwunderlich. Der Drang nach absoluter Unvoreingenommenheit fußt auf der Annahme, dass sie eine Insel der Sicherheit bietet inmitten eines polarisierten Diskurses. Dass die zerstrittenen Gruppen der Gesellschaft sich auf dem neutralen Terrain der Nachrichten zusammenfinden können.

Das Bedürfnis, Neutralität zu bewahren wird umso größer, wenn die Nachrichten auf einmal zum politischen Akteur erklärt werden. Und vielleicht ist es eine gute Idee, wenn schon nicht Neutralität, dann zumindest Ausgewogenheit in der Berichterstattung hochzuhalten. Nur fragt sich, ob man dafür ein künstlich entpolitisiertes Reportersubjekt braucht.

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