Politischer Gefangener stirbt in Belarus: Das Straflager als Todesfalle
Offiziell erlag Wadim Chrasko einer Lungenentzündung. Eine Menschenrechtsorganisation prangert unterlassene ärztliche Hilfe an.
In den 90er Jahren hatte Chrasko begonnen, in Minsk als IT-Spezialist zu arbeiten. Seit den Nullerjahren war er für das Privatunternehmen „Awest“ tätig. Die Firma entwickelt Software für die Verschlüsselung von Informationen und zum Schutz von Unternehmen vor Cyberangriffen. Zur Kundschaft gehörten staatliche Institutionen wie die belarussische Nationalbank, mehrere Ministerien sowie die belarussische Eisenbahn.
Im vergangenen April war Chrasko festgenommen worden. Angeblich soll er über Spenden die Tätigkeit extremistischer Organisationen mitfinanziert haben. Um welche Organisationen es sich dabei handelt, ist nicht bekannt.
Vier Monate später wurde Chrasko, der bereits zum damaligen Zeitpunkt an verschiedenen chronischen Erkrankungen litt, zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Eine Berufung Chraskos war erfolglos. Im Herbst bestätigte das Oberste Gericht das erstinstanzliche Urteil. Anfang November setzte das Innenministerium Chrasko auf eine Liste sogenannter Extremist*innen. Laut Vjasna verschlechterte sich Chraskos Gesundheitszustand während seiner Haft zusehends.
Lukaschenkos Richter für Oppositionelle
Mit interessanten Informationen wartete das belarussische oppositionelle Medium Nascha Niwa zu Sergei Chripatsch auf – dem Richter, der das erste Urteil gegen Chrasko verhängt hatte. So sei Chripatsch seit den Nullerjahren bekannt dafür, gegen Kritiker*innen des autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko beziehungsweise Menschen, die das Regime zu solchen erklärt, besonders harte Schuldsprüche zu verhängen.
So hatte der Richter in mehreren Fällen Personen, die im Zuge der gefälschten Präsidentenwahl 2020 und sich daran anschließenden Massenprotesten inhaftiert und nachweislich gefoltert worden waren, zu teils hohen Haftstrafen verurteilt. Mittlerweile steht Chripatsch auf Sanktionslisten der EU und Großbritanniens.
Chrasko ist bereits der vierte politische Gefangene seit 2020, der in Haft sein Leben gelassen hat. Zuletzt war im Juli vergangenen Jahres der Künstler und Aktivist Ales Puschkin in einem Krankenhaus in Grodno verstorben. Der 57-Jährige war wegen Anstiftung zu Hass und der Verunglimpfung staatlicher Symbole zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.
Laut eines Berichts von Ewroradio sitzen in Belarus derzeit sieben politische Gefangene ein, die an Krebs erkrankt sind. Deren Gesamtzahl beziffert Vjasna auf derzeit 1.409 (Stand: 16. Januar 2024).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist