Politische Opposition in Belarus: Staatsverrat als einzige Option
Nach wie vor werden in Belarus Oppositionelle zu langen Haftstrafen verurteilt. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist Belarus im medialen Abseits.
I ch kann gut verstehen, dass der Krieg in der Ukraine im Fokus der Weltpresse steht. Und dass die Probleme von uns Belarussen in den Hintergrund getreten sind. Aber bitte hört uns an.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Am 13. Juli wurde die Journalistin Katerina Andreewa, meine Freundin, in einem nicht öffentlichen Verfahren zu acht Jahren und drei Monaten Freiheitsentzug wegen Hochverrats verurteilt. Andreewa verbüßt bereits eine Haftstrafe. Sie wurde für schuldig befunden, Staatsgeheimnisse von Belarus „an einen ausländischen Staat, eine internationale oder ausländische Organisation oder deren Vertreter weitergegeben zu haben.“ Was hatte sie getan?
Im November 2020 war Katerina Andreewa zusammen mit einer Kollegin des später als extremistisch eingestuften TV-Senders Belsat während eines Livestreams von einer Protestveranstaltung auf dem Minsker „Platz der Veränderung“ festgenommen worden. Beide wurden wegen der Organisation von Aktionen zur Störung der öffentlichen Ordnung angeklagt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt sowie in ein Präventivregister als Extremismusanfällige eingetragen.
45, lebt und arbeitet in Minsk. Ihre Beiträge erscheinen unter Pseudonym.
„Ich habe mehr bekommen als seinerzeit Solschenizyn“, scherzte Katerina traurig bei der Verkündung des neuen Urteils. Als sie die Zahl der Haftjahre hörte, lächelte sie ironisch und ertrug alles mit würdiger Gelassenheit.Tatsächlich, der Schriftsteller Alexander Solschenizyn war 1945 unter Stalin zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Katerina hat nun durch die zweite Verurteilung acht Jahre und drei Monate.
Am folgenden Tag wurde das Urteil über Dimitri Daschkewitsch und seine Frau Nastja gesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte anderthalb Jahre Haft für beide wegen Teilnahme an Protesten im Jahr 2020 gefordert. Weil das Paar drei kleine Kinder hatte und Nastja das vierte erwartete, zeigte der Richter sich „gnädig“: Nastja wurde zu drei Jahren im offenen Vollzug verurteilt. Sie kann bei den Kindern bleiben, wird aber ständig überwacht. Sollte sie irgendwelche Regeln nicht einhalten, käme sie ins Gefängnis und die Kinder ins Heim.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mit diesem Text selber „Staatsverrat“ begehe und dafür mit einer Haftstrafe zwischen sieben und fünfzehn Jahren rechnen muss. Ich habe Angst davor. Aber ich kann nicht anders.
Besonders jetzt, wo die Ukrainer alle Belarussen beschuldigen, Komplizen von Putin zu sein. „Von eurem Staatsgebiet fliegen Raketen auf unser Land!“ Aber uns hat niemand gefragt, ob wir unsere Militärübungsplätze der russischen Armee zur Verfügung stellen wollen. Das hat ein einziger Mensch so entschieden: Alexander Lukaschenko. Mit bloßen Händen konnten wir ihn nicht stoppen. Wir können nur Partisanenarbeit leisten, unser Leben riskieren – denn in Belarus gibt es bis heute die Todesstrafe.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA im September heraus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen