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Politische Krise in SüdkoreaSüdkoreas Errungenschaften stehen auf der Kippe

Nach Präsident Yoon Suk Yeol wurde nun auch sein Vertreter Han Duck Soo vom Amt suspendiert. Das Machtvakkuum in Seoul verschärft sich damit weiter.

Der abgesetzte Interimspräsident Han Duck-Soo verlässt am Freitag das Regierungsgebäude Foto: Hong Hae-in/Yonhap/AP/dpa

Seoul taz | Am Freitag ist in Südkorea ein Ausnahmefall eingetreten, der den Gründern der Verfassung derart abwegig schien, dass sie dafür keine eindeutige Lösung vorgeschrieben hatten: Erstmals in der Geschichte des Landes wurde nämlich zusätzlich zum Präsidenten auch dessen Interimspräsident des Amtes enthoben.

Und nur wenige Minuten vor der Abstimmung im südkoreanischen Parlament stritten die verfeindeten politischen Lager noch hitzig über den modus operandi: Reicht eine einfache Mehrheit für die Suspendierung von Han Duck Soo? Oder benötigt das Amtsenthebung eine Zweidrittelmehrheit der insgesamt 300 Abgeordneten, wie es bereits bei Yoon Suk Yeol der Fall war?

Am Ende entschied sich der Sprecher der Nationalversammlung für die erstere Variante. Und damit gab er den Oppositionspolitikern freie Hand, da sie insgesamt 192 Sitze kontrollieren. Aller von ihnen stimmten am Ende für eine Amtsenthebung von Han. Dieser akzeptierte die Entscheidung – immerhin.

Dennoch gilt die politische Zukunft des Landes mehr ungewisser denn je. Die Nummer drei der Regierung, Vize-Premier und Finanzminister Choi Sang Mok, muss nun übergangsweise die Staatsgeschäfte übernehmen. Dieser versprach auch in einer ersten Stellungnahme an sein Volk, dass er die Sicherheit Südkoreas gewährleisten werde. „Ich glaube, wir können die Krise überwinden“, sagte Choi zudem.

Staatskrise verschärft sich

Es fühlte sich jedoch so an, als grüße erneut das sprichwörtliche Murmeltier: Denn vor nicht einmal zwei Wochen hielt sein Vorgänger Han Duck Soo eine ganz ähnliche Rede. Doch seither hat sich Südkoreas Staatskrise nur weiter verschärft.

In einer ersten Amtshandlung hat Choi Sang Mok bereits mit dem Generalstab telefoniert, um die Alarmbereitschaft der südkoreanischen Truppen sicherzustellen. Das schlimmstmögliche Szenario wäre nämlich, dass Nordkorea das Machtvakuum in Seoul für eine Militäroperation ausnutzen könnte. Wahrscheinlich ist dies nach wie vor nicht, doch mit jedem weiteren Tag ohne handlungsfähige Regierung erhöhen sich die Anreize für Machthaber Kim Jong Un.

Wirtschaftlich hat die Staatskrise bereits sehr reale Folgen. Der Währungskurs des südkoreanischen Won ist auf den niedrigsten Stand seit 2009 gesunken. Das Geschäftsklima ist so schlecht wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Ausländische Unternehmer sind geschockt: Südkorea, die einstige Vorbilddemokratie, geht zumindest vorerst im politischen Chaos unter. Errungenschaften, für die Generationen an Koreanern gekämpft haben, stehen nun auf dem Spiel.

„Korea steht an einem Scheideweg. Das Volk und die politische Führung müssen sich nun entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen: den Weg der Rechenschaftspflicht, der Reformen und der Einheit – oder den Weg der Spaltung, des Misstrauens und der Unruhen“, argumentiert Chun In Bum, südkoreanischer General im Ruhestand, in einem Essay in der „Korea Times“: „Die Welt schaut zu“. Doch was die internationale Staatengemeinschaft zu sehen bekommt, dürfte an der Reputation Südkoreas empfindlich kratzen.

Rücktritt wegen technischen Details

Ein Rückblick: Der Grund für die Amtsenthebung Han Duck Soos hängt vor allem mit einem technischen Detail zusammen. Derzeit prüft das Verfassungsgericht in einem finalen Prozess, ob der suspendierte Präsident Yoon Suk Yeol endgültig seine Macht verliert – oder gar wieder zurück ins Amt darf.

Für eine Amtsenthebung benötigt es in der derzeitigen Konstellation sämtliche sechs Richterstimmen. Die Opposition pochte daher darauf, dass Han die derzeit drei vakanten Richterstellen rasch nachbesetzt, um die Chancen einer Amtsenthebung zu erhöhen. Han weigerte sich jedoch mit dem Argument, die Nominierung würde seine Kompetenzen als Interimspräsident überschreiten.

Viele Koreaner sind der ideologischen Grabenkämpfe leid. Doch um die Krise zu überwinden, braucht es wohl mehr als Neuwahlen und einen Machtwechsel. Denn ein ums andere Mal dürfte sich der Teufelskreis aus Regierungsblockade, Amtsenthebung und Strafverfolgung wiederholen.

Unlängst argumentieren nicht wenige Politikwissenschaftler, dass man das politische System Südkoreas ganz grundsätzlich reformieren müsse. Einige ziehen dabei auch das deutsche Modell mit der Teilung von Bundestag und Bundesrat als Inspiration in Betracht – angesichts der derzeitigen Regierungskrise in Berlin mutet dies durchaus ironisch an.

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1 Kommentar

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  • Wenn Koreas Errungenschaften auf dem Spiel stehen, dann wegen der Weigerung Yuns und seiner Stooges (dazu gehören auch gewisse Generäle und Ex-Generäle, Herr Krätschmer), nach deren gescheitertem Putsch, den Weg zu Neuwahlen freizumachen.