Politische Krise in Ägypten: Gewalt greift weiter um sich
Ausgangssperre, Ausnahmezustand, zig Tote, Rücktritt des Vizepräsidenten, Angriffe auf Kirchen: Die politische Situation in Ägypten bleibt explosiv.
KAIRO/BERLIN taz/rtr/dpa | Nach den blutigen Zusammenstößen zwischen den ägyptischen Sicherheitskräften und Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi hat der ägyptische Vizepräsident und
Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei am Mittwoch seinen Rücktritt eingereicht. Dies ging aus einem Brief an den Übergangspräsidenten hervor.
Zuvor war ein einmonatiger Ausnahmezustand über das Land verhängt worden, wie das Präsidialamt am Mittwoch mitteilte. Für Kairo und zehn weitere Provinzen verhängte die Übergangsregierung eine nächtliche Ausgangssperre. Betroffen sind vor allem regionale Hochburgen der Islamisten. Damit reagiert die Regierung auf die Gewalt, die auf das ganze Land übergegriffen hat.
Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern des gestürzten Präsident Mohammed Mursi und der Polizei seien in der Provinz Fajum südlich der Hauptstadt 17 Menschen getötet worden, berichteten Staatsmedien am Mittwoch. In Suez sprach ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums von fünf Toten. Auch aus Minja, Assiut und Alexandria wurden Zwischenfälle gemeldet.
In Oberägypten haben radikale Islamisten am Mittwoch drei Kirchen angegriffen. Das berichteten christliche Aktivisten in Kairo. Laut ihren Angaben legten die Angreifer Feuer vor den Gotteshäusern in den Provinzen Minia und Sohag. Zwei koptische Kirchen brannten teilweise nieder.
„Nachdem das ägyptische Innenministerium entschieden hat, die Sit-ins der Muslimbrüder in Kairo aufzulösen, haben Unterstützer der Muslimbrüder in Oberägypten einen Rachefeldzug gegen koptische Christen begonnen“, schrieb die Organisation Maspero Jugendunion im sozialen Netzwerk Facebook.
In der Innenstadt der Touristenstadt Luxor versammelten sich rund 300 Demonstranten, um gegen die Polizeigewalt zu protestieren. Sie zerstörten einen Polizeiwagen und brachen einem Polizisten ein Bein. In der Stadt Assuan stürmten Islamisten laut Augenzeugen ein Verwaltungsgebäude, ohne dass die Polizei eingriff.
In der Stadt al-Arisch auf der Halbinsel Sinai haben am Mittwoch bewaffnete Islamisten mehrere Verwaltungsgebäude gestürmt. Nach Angaben von Augenzeugen vertrieben sie die dort arbeitenden Beamten mit Schüssen in die Luft. Die Islamisten wollten damit nach eigenen Angaben ihre Wut über die gewaltsame Räumung von zwei Protestlagern in Kairo ausdrücken, berichteten die Beamten.
Besetzt wurden unter anderem die Steuerbehörde und die Telefonzentrale. In der Provinz Nord-Sinai wurden in den vergangenen Monaten mehrere Angehörige der Polizei und der Armee von Islamisten getötet.
Der Großimam Ahmed al-Tajjeb von der Kairoer Al-Azhar-Universität hat sich von der Gewalt gegen die Mursi-Anhänger klar distanziert. Er habe „nichts über die Methoden zur Auflösung des Protests gewusst“ und erst aus den Medien darüber erfahren, sagte al-Tajjeb im Fernsehen. Diese Universität gilt Sunniten in aller Welt als oberste Instanz für religiöse und rechtliche Fragen. Al-Tajjeb hatte sich bei Mursis Entmachtung hinter die Streitkräfte gestellt.
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