Politische Einstellungen in Deutschland: Wenige Rechte werden rechter
Die Menschen hierzulande denken weniger rechts als vor zwei Jahren. Aber wer rechts ist, äußert sich extrem menschenfeindlich.
BERLIN taz | Menschen in Deutschland sind heute weniger rechtsextrem und menschenfeindlich als noch vor zwei Jahren. Das zeigt die Studie „Fragile Mitte. Feindliche Zustände“, die ein ForscherInnenteam der Universität Bielefeld und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung am Donnerstag in Berlin vorstellte.
Danach wiesen 2012 noch 9 Prozent der Bevölkerung stark rechtsextreme Haltungen auf. 2014 sind es 2,4 Prozent. Dieses Phänomen bezeichnete Andreas Zick, Professor am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Uni Bielefeld und einer der Autoren der sogenannten Mitte-Studie, als „schöne Nachricht des Tages“: „Alles wird besser.“
So gab vor zwei Jahren rund ein Viertel der befragten Frauen und Männer zwischen 16 und 96 Jahren an, dass sie etwas gegen AusländerInnen haben, jetzt sagen das 7,5 Prozent. Früher bekannten sich über 18 Prozent zu einem übermächtigen deutschen Nationalstaat, heute sind es 6 Prozentpunkte weniger.
Allerdings wird auch deutlich, dass der Zuspruch zu einzelnen rechtsextremen und menschenfeindlichen Facetten nach wie vor hoch ist. So äußert sich fast die Hälfte der Befragten abwertend gegenüber Langzeitarbeitslosen. Auch Obdachlose, Behinderte und Frauen wurden geringschätzend bewertet. Knapp 31 Prozent stimmen beispielsweise der Aussage zu, bettelnde Obdachlose sollten aus den Fußgängerzonen entfernt werden.
Die Erfolgszahl des gesunkenen Extremismus-Kennwerts von 2,4 Prozent bezieht sich also ausschließlich auf Personen, die sich bei allen abgefragten Werten zustimmend äußern.
Die Ränder radikalisieren sich
Als Fazit der Studie – der fünfte Band der alle zwei Jahre erscheinenden sogenannten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung – ließe sich zugespitzt formulieren: Weniger Menschen halten Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Sozialdarwinismus für richtig. Aber diejenigen, die solche Haltungen bejahen, tun das in überaus starker Form. Dadurch polarisiere sich die Gesellschaft stärker denn je, wie Zick meint. Wobei sich „die Ränder radikalisieren“ und rechtsextreme „Splitter“ in die Mitte der Gesellschaft dringen.
Das zeigt sich beispielsweise im Bestreben bestimmter Gruppen, die sich als politische Mitte definieren, eigene als Vorrechte verstandene Privilegien beibehalten zu wollen. Sie lehnen unter anderen Menschen ab, die anders sind als sie oder neu hinzukommen – wie etwa Asylsuchende, Homosexuelle, Sinti und Roma. So äußern sich rund 44 Prozent abwertend gegenüber Asylsuchenden.
Auffällig ist auch ein stark empfundenes Ohnmachtsgefühl gegenüber der EU. Das provoziert eine „nationalistische Rückbesinnung“, wie Mitautorin Beate Küpper, Professorin an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, sagte. So finden rund 45 Prozent der Menschen, Deutschland müsse mehr Stärke gegenüber Brüssel zeigen.
Die AfD fängt Ängste auf
Diejenigen, die sich politisch machtlos fühlen und um ihr Erspartes bangen, neigen nach Aussage der ExpertInnen eher zu rechtsextremen Haltungen als andere. Auch empfinden sie Rechtsextremismus in all seinen Varianten bis hin zu Antisemitismus und Islamfeindlichkeit als weniger bedrohlich.
Ebenso meinen sie, dass jeder selbst seines Glückes Schmied sei und eine Gesellschaft sich keine Menschen leisten könne, die „wenig nützlich sind“. Andreas Hövermann vom IKG der Uni Bielefeld nennt ein solch streng marktkonformes Denken die „Ökonomisierung des Sozialen“. Ein Drittel der befragten Frauen und Männer fühlt sich durch die Finanzkrise extrem bedroht.
Diese Ängste fängt seit Kurzem eine Partei auf: die Alternative für Deutschland (AfD). An dieser Stelle lässt sich ein deutlicher Zusammenhang herstellen zwischen rechten Einstellungen, Populismus und einer reaktionären Grundstimmung. Beate Küppers sagte: „Je weiter rechts jemand ist, desto kritischer ist seine Haltung gegenüber Europa. Und desto nationalistischer und menschenfeindlicher ist er.“
Ebenso sind in diesem Spektrum „mit einer größeren Wahrscheinlichkeit“ Menschen zu finden, die sich antiislamisch, antisemitisch und antiziganistisch äußern. „Stabilität ist eine Vision“, sagte Zick. Und forderte: „Wir brauchen Mittel, die die Gleichwertigkeit und Stabilität von Gruppen herstellt.“
Berichtigung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, knapp 73 Prozent der Befragten fänden, eine Frau solle ihrem Mann für dessen Karriere den Rücken freihalten. Dies ist nicht so. Wir entschuldigen uns für den Fehler.
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