Politikwissenschaftler über Hamburg-Wahl: „Grün-Schwarz kann ich mir kaum vorstellen“
Der Hamburger Wahlkampf ist eröffnet. Doch das ganz große Streitthema hat sich noch nicht herauskristallisiert, sagt der Politologe Kai-Uwe Schnapp.
taz: Droht der Hamburger Wahlkampf um die Bürgerschaft angesichts des parallelen Bundestagswahlkampfes unterzugehen?
Kai-Uwe Schnapp: Das erscheint mir nicht sonderlich wahrscheinlich. Dagegen spricht, dass die hiesigen Akteure gut aufgestellt sind, um ihre unterschiedlichen Positionen deutlich zu machen. Und die Hamburger Wähler*innen haben einen ausgeprägten regionalen und gar lokalen Wahrnehmungsfokus.
taz: Nun finden Bundestags- und Bürgerschaftswahl nicht am selben Tag statt – ist das gut oder schlecht für bestimmte Parteien?
Schnapp: Zunächst ist das eine schlechte Nachricht für die Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl. Die wird sicher niedriger sein, als hätte die Hamburg-Wahl zeitgleich mit der Bundestagswahl stattgefunden: Da werden sich manche schon in der Woche nach der Bundestagswahl fragen, ob sie denn am Sonntag unbedingt nochmal ins Wahllokal gehen müssen.
Mit Dirk Kienscherf (SPD), Cansu Özdemir (Linke), Anjes Tjarks (Grüne) und Anna von Treuenfels-Frowein (CDU). Heute, 19.30 Uhr, Haus 73, Hamburg (ausgebucht). Livestream unter www.taz.de/salon
taz: Das heißt, die Parteien müssen vor allem ihre Stammwähler*innen gut mobilisieren.
Schnapp: Genau darum geht es. Mein Eindruck bei der vergangenen Hamburg-Wahl war, dass das den beiden regierenden Parteien gut gelungen war: Die Grünen konnten ihr meist gut gebildetes, wohlhabendes Milieu mobilisieren ebenso wie die SPD ihre Stammwähler*innen.
taz: Ist schon abzusehen, ob die Hamburg-Wahl eher über die thematischen oder eher über die personellen Angebote der Parteien entschieden wird?
Schnapp: Wir haben insgesamt den Trend zu immer stärker personalisierten Wahlen, bei denen die Parteien und ihre Inhalte in den Hintergrund rücken. Aber im Vergleich spielen in Deutschland die Inhalte noch immer eine große Rolle. Die Parteien stellen auch ihr Spitzenpersonal vor allem danach auf, ob sie die Themen der Partei am glaubwürdigsten vertreten. Und das zeigt sich jetzt auch für Hamburg: Peter Tschentscher (SPD) wirkt auf viele sympathisch, ist aber nicht der klassische Landesvater mit großer öffentlicher Wirksamkeit, und Dennis Thering (CDU) ist auch nicht der große Charismatiker. Katharina Fegebank (Grüne) ist am ehesten noch charismatisch, aber ob das Einfluss auf die Wahlentscheidung hat, ist fraglich.
taz: Welches Thema ist das zentrale vor dieser Wahl?
Schnapp: Es gibt derzeit nicht das eine große Mega-Thema, das über der Stadt leuchtet. Man sieht, dass über Verkehr diskutiert wird. Die CDU versucht das vor allem über das Schlagwort der Stauhauptstadt voranzutreiben. Wie berechtigt das ist, ist zwar fraglich, zeigt aber: Die CDU möchte mehr Politik für das Auto machen, während unter Rot-Grün in den vergangenen Jahren viel für den Fahrrad- und Fußverkehr passiert ist. Dann spielt die Sicherheit noch eine Rolle, die sich vor allem über die Situation an der Drogenberatungsstelle „Drob Inn“ am Hauptbahnhof entzündet. Und während die Schulpolitik weiter kein Thema in der Stadt ist, wird es im Generellen darum gehen, wie die städtische Klimapolitik fortgesetzt wird.
taz: Vermutlich wird sich die SPD nach der Wahl den Koalitionspartner aussuchen können. Spricht etwas dafür, dass sich die SPD dann für die CDU statt für die Grünen entscheidet?
Schnapp: Aus meiner Sicht spricht derzeit nichts dafür, alle Äußerungen der Beteiligten gehen in diese Richtung. Und die CDU ist programmatisch weiter entfernt von SPD als es die Grünen von der SPD sind. Zudem: Rot-Grün hat ja in den vergangenen zehn Jahren weitgehend geräuschlos regiert – dieser Eindruck dürfte sich zuletzt nochmal verstärkt haben angesichts der zerbrochenen Ampel-Koalition in Berlin.
58, ist Professor für Politikwissenschaft an der Uni Hamburg.
taz: Mal angenommen, es wäre nach der Wahl rechnerisch machbar: Halten Sie eine Koalition von Grünen und CDU für tragbar?
Schnapp: Angesichts der Umfragen ist das ohnehin sehr unwahrscheinlich. Aber auch so kann ich mir das kaum vorstellen: Die Hamburger CDU versucht seit einiger Zeit, eine sehr konservative Partei zu sein. Wo da die Schnittmengen mit den Grünen liegen sollen, ist nicht ersichtlich. Und auch bei den Grünen ist die Lust, einen Wechsel vorzunehmen, nicht zu verspüren.
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