Politikwissenschaftler über Geldkreislauf: „Diesen Unsinn müssen wir abstellen“
Vollbeschäftigung wird es künftig nicht geben. Wir müssen daher unsere Abhängigkeit vom Geld verringern, fordert der Politologe Lex Janssen.
taz: Herr Janssen, Deutschland ist immer mehr in Arm und Reich gespalten. Bringt gesetzlicher Mindestlohn die Wende?
Lex Janssen: Es ist gut, dass der Mindestlohn endlich kommt. Gerade die untere Einkommensgruppe hat bisher keine Chance, sich durch Eigentum von hohen laufenden Unterhaltskosten zu befreien. Worauf es aber vor allem ankommt, ist eine Sozialpolitik, die einkommensschwachen Haushalten dazu verhilft, ihre Lebenshaltungskosten systematisch zu senken.
Niedrige Löhne sind also nicht das zentrale Problem?
Geld vermittelt uns das Gefühl von Sicherheit und Handlungsfähigkeit – deshalb sind wir alle so fixiert auf Arbeitsplätze und Einkommen. Weniger kaufen bringen alle mit Verzicht in Verbindung. Das aber muss nicht so sein. Entscheidend ist vielmehr, ob wir über Gebrauchsvermögen verfügen. Dann können wir ohne Verlust an Lebensqualität mit weniger Einkommen sehr gut auskommen.
Was soll das sein – Gebrauchsvermögen?
Es gibt zwei Arten von Gütern. Ein Joghurt ist ein Verbrauchsgut – den esse ich und er ist weg. Dann gibt es Gebrauchsgüter wie Fahrräder, Wohnungen und Gärten, die durch die Nutzung nicht verschwinden. Die Ökonomen und Politiker sind heute völlig darauf fixiert, dass immer mehr Güter produziert und gewinnbringend verkauft werden. Es ist eine Idiotie, dass die vorhandenen Güter als völlig irrelevant für die soziale Sicherheit gelten und deshalb die gesamte Sozialpolitik auf Erwerbs- oder Transfereinkommen ausgerichtet ist. Ich glaube nicht, dass Vollbeschäftigung eine realistische Perspektive ist. Insofern wird Erwerbseinkommen für viele Haushalte knapp werden, und dann ist es gut, wenn sie produktiv nutzbare Dinge besitzen, die sie ein ganzes Stück unabhängig machen von dauerhaftem Einkommen.
Soll jetzt künftig jeder wieder seine Kartoffeln und sein Gemüse selbst anbauen?
Ich spreche weniger von den Rüben im eigenen Garten als von Wohnraum, Fotovoltaik, Solarthermie und solchen Dingen. Diese Güter muss ich zwar einmalig kaufen, aber sie helfen, meine Abhängigkeit von Einkommen und Markt systematisch zu verringern.
ist Vorstandsvorsitzender der E. F. Schumacher-Gesellschaft für Politische Ökologie e. V. mit Sitz in München. Der Politikwissenschaftler hat lange Jahre im Biolebensmittelbereich gearbeitet. Janssen war vor Kurzem Gast beim Berliner Innovationskreis.
Ernst Friedrich Schumacher (1911-1977 ) entwickelte eine Wirtschaftsphilosophie zur Überwindung der Konflikte zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Er formulierte „Small is beautiful“, „Rückkehr zum menschlichen Maß“ und „mittlere Technologie“. 1980 gründeten Anhänger die E. F. Schumacher-Gesellschaft für Politische Ökologie.
Leopold Kohr (1909-1994) beeinflusste Schumachers Denken maßgeblich. Er propagierte in „Das Ende der Großen“ die Dezentralisierung sozialer Organisationen und Gruppen auf eine überschaubare Größe, weil es sonst zwangsläufig zu Fehlentwicklungen komme.
Aber wer von Hartz IV lebt oder nur wenig verdient, hat ja nicht die geringste Chance, sich eine eigene Wohnung anzuschaffen. Das ist doch nur was für etablierte Leute.
Tatsächlich ist die Politik da bisher in keiner Weise behilflich. Die Vorschriften im Baubereich sind immens und treiben die Kosten nach oben. In Holland haben 60 Prozent Wohneigentum, in Frankreich und England 60 bis 70 Prozent. und in vielen armen Ländern ist der Prozentsatz noch höher. Das ist auch der Grund, warum die Leute dort mit sehr wenig Einkommen überhaupt überleben können. Wir haben in Deutschland neben Österreich und der Schweiz den niedrigsten Anteil an Wohneigentum. Genauso möglich wäre natürlich Genossenschafts- oder Staatseigentum. Entscheidend ist nur, dass es sich nicht um ein Marktgut handelt, das ständig hohe Summen aus Markteinkommen erfordert.
Was also müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?
Wirtschaftspolitik ist heute eine Politik der Unternehmensförderung. In der Gebrauchsökonomie stehen dagegen Menschen und Haushalte im Zentrum. Ich will, dass das als eigenständiger ökonomischer Sektor betrachtet wird. Der existiert bisher in der Wirtschaftswissenschaft gar nicht und auch im Bewusstsein der Leute spielt er so gut wie keine Rolle. Typisch ist doch die Position, der Markt solle mehr Wohnungen zur Verfügung stellen. Ja warum denn? Der Staat sollte Modelle entwickeln, wie auch Haushalte mit kleinem Budget dieses Ziel verfolgen können.
Wollen Sie die Leute erziehen?
Wir müssen uns um unsere eigenen Interessen kümmern und Kompetenz erwerben, wie wir unsere Grundbedürfnisse möglichst unabhängig vom Markt befriedigen können. Es geht mir darum, dass sich die Menschen buchstäblich in Sicherheit bringen, indem sie ihre Geldabhängigkeit verringern – und dadurch weniger erpressbar werden. Nicht immer mehr Luxusgüter, sondern gesunde Lebensmittel, Wasser, bezahlbarer Wohnraum und lokale Mobilität gilt es politisch zu sichern. Wenn ich etwas auf dem Markt kaufe, benötige ich Einkommen und muss auch die Gewinnerwartungen der Unternehmen bezahlen. Wenn ich beispielsweise eine Bürgerenergieanlage betreibe, kostet deren Anschaffung Geld, aber danach geht es nicht um Profite, sondern um Selbstversorgung.
Aber unsere Welt ist heute hochgradig vernetzt, Handys und Computer gehören auch zur Grundausstattung – und die kann man nicht in jedem Dorf herstellen.
Ich habe ja nicht die Vision, dass es den Markt nicht mehr geben wird – und da werden selbstverständlich auch weiter Profite gemacht und Einkommen erzielt. Worum es mir geht, ist eine duale Perspektive. Heute aber befinden wir uns in einer Sprachgefangenschaft der Ökonomen, für die die Befriedigung der Grundbedürfnisse keinen Wert hat und lokale Selbstversorgung nicht existiert. Doch sie sind fundamental bedeutsam, weil die Menschenwürde davon abhängt.
In Deutschland ist die Arbeitslosigkeit niedrig. Spricht das nicht dafür, dass das profitorientierte System hier ganz gut funktioniert?
Wenn die deutsche Industrie ausschließlich vom deutschen Markt leben müsste, hätten wir eine viel höhere Arbeitslosigkeit. Mit der Arbeit ginge uns auch das Einkommen aus, und damit ist unser Modell der sozialen Sicherheit sofort an dem Punkt, wo es nicht mehr funktioniert. Wir wissen schon nicht mehr, wo wir neue Autos noch hinstellen sollen – aber wir müssen unbedingt immer neue Autos produzieren und kaufen, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Diesen Unsinn müssen wir abstellen.
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