Politikwissenschaftler über Black Vote: „Unterschätzen, was Trump tun wird“
Der Politikwissenschaftler Alvin Tillery will Schwarze Männer davon überzeugen, für Kamala Harris zu stimmen. Das sei nicht selbstverständlich.
taz: Herr Tillery, seit Kamala Harris die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist, wollen mehr Schwarze Menschen in den USA für die Partei stimmen als unter Joe Biden. Laut der jüngsten Umfrage des Pew Research Instituts bevorzugen jedoch immer noch zehn Prozent weibliche Schwarze und 16 Prozent männliche Schwarze Wähler Donald Trump. Bei den Männern also doppelt so viele wie bei der Wahl 2020. Warum?
Professor Alvin Bernard Tillery ist Politikwissenschaftler an der Northwestern University, Illinois, und der Gründungsdirektor des Center for the Study of Diversity and Democracy. Seine Forschung konzentriert sich auf den Einfluss von Race und Ethnie auf US-amerikanische Politik. Sein Buch „Between Homeland and Motherland: Africa, U.S. Foreign Policy and Black Leadership in America“ wurde von der National Conference of Black Political Scientists mit dem W.E.B. Du Bois Distinguished Book Award ausgezeichnet.
Alvin Tillery: Ich denke, wir müssen zunächst einmal verstehen, dass die Schwarze Community in den USA kein Monolith ist. Sie ist seit den späten 1980er Jahren immer vielfältiger geworden, insbesondere durch die Einwanderung aus der Karibik und aus Afrika. Zwar sind auch heute 90 Prozent der Schwarzen Bevölkerung in den USA Nachkommen von Menschen, die in Amerika versklavt wurden und auch die Bürgerrechtsbewegung miterlebt haben. Aber bereits die 10 Prozent mit einem anderen Hintergrund schaffen vor allem in Städten wie Atlanta und Miami einen Wandel. Es entstehen Gruppen von Menschen, die zwar Schwarz sind und ihre eigene Schwarze Identität besitzen, aber ihre Politik und ihre Werte sind nicht dieselben.
taz: Welche sind das?
Tillery: Sie sind nicht durchdrungen von der Erinnerung an die Geschichte der Sklaverei und der Rassentrennung in den USA. Ein anderes Problem ist das Alter: 50 Prozent der Schwarzen Bevölkerung sind heute unter 30 Jahre alt. Meine Eltern und Großeltern haben die Jim-Crow-Ära miterlebt. Ich selbst bin ein Überlebender rassistischer Gewalt. Ich habe also eine sehr, sehr klare Vorstellung der Gefahren des Systems, das Donald Trump durch die Abschaffung von Bürgerrechtsgesetzen einführen will. Aber bei einem 27-jährigen Schwarzen, der im Südwesten von Atlanta lebt, kommt das vielleicht nicht so klar an.
taz: Sie sprechen von dem „Project 2025“, dem Manifest einer republikanernahen Denkfabrik, das etwa zentrale Gesetze zum Schutz von Schwarzen Menschen vor Polizeigewalt und der Bekämpfung von Diskriminierung aufheben will.
Tillery: Ja. Mein Beispiel, der 27-Jährige aus Atlanta, kennt vielleicht keine Weißen, arbeitet nicht in der Nähe von Weißen, für ihn ist diese Bedrohung also abstrakt, oder er unterschätzt sie. Für ihn ist das größte Problem vor allem anderen seine wirtschaftliche Not. Und so ist die Loyalität für die Demokratische Partei unter diesen Leuten, die ich die neuen Schwarzen Swing-Voters nenne, viel geringer.
taz: Nimmt die Demokratische Partei Schwarze Stimmen für selbstverständlich?
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Tillery: Ja, das zeigt sich in den Umfragen. Etwa zwölf Prozent aller Schwarzen Stimmen sind Donald Trump zugetan, aber weitere fünf bis zehn Prozent sind unentschieden. Noch wählt der größte Teil der Schwarzen Bevölkerung die Demokraten. Aber nicht aus Überzeugung, sondern nur aus Angst vor den Republikanern. Sie sind zu Recht auch den Demokraten gegenüber misstrauisch, denn die Demokraten haben 40 Jahre lang Versprechen an die Schwarze Community gebrochen.
taz: Das müssen Sie erklären.
Tillery: Sehen wir uns die erste Biden-Harris-Amtszeit an. Da versprachen sie eine Wahlrechtsreform: Der Voting Rights Act sollte die rassistische Benachteiligung von Schwarzen verhindern. Er kam aber nie zustande, weil Biden und Harris den demokratischen Senatoren Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona erlaubten, die Gesetzesvorlage zu verschleppen. Dann versprachen sie mit dem George Floyd Policing Act eine Reform der Polizei, die insbesondere Schwarze Männer vor Gewalt schützen sollte. Doch obwohl die Demokraten den Senat kontrollierten, erlaubten sie den Republikanern, auch dieses Gesetz zu verschleppen. Drittens haben sie versprochen, das Waffenrecht strenger zu regulieren, aber da auch die Demokraten finanziell von der Waffenlobby abhängig sind, konnten sie nicht einmal 51 Stimmen aus ihrer eigenen Partei dafür gewinnen.
taz: Sie haben die Non-Profit-Initiative Black Alliance for Equality gegründet, um Schwarze sogenannte Independent Voters zu erreichen. Wie wollen Sie Vertrauen wiederherstellen?
Tillery: Mein Hauptanliegen ist es gar nicht so sehr, die Unentschiedenen davon zu überzeugen, dass Harris die beste Option für sie ist, sondern davon, dass Donald Trump die schlechteste Option für sie ist. Insbesondere für Schwarze Männer.
taz: Ist das Schwarzen Männern nicht bewusst?
Tillery: Viele dieser Trump-begeisterten Schwarzen Männer unterschätzen, was er ihnen antun wird. Wenn man ihnen sagt, dass Trump mehr bewaffnete Polizisten in ihre Nachbarschaft schicken wird, um sie zu filzen, sagen sie: „Oh nein, das wird nicht passieren.“ Das Gleiche haben wir 2016 bei der lateinamerikanischen Bevölkerung in den USA gesehen. Es gab mehrere Fälle von Latinos, die für Trump gestimmt hatten, und deren Angehörigen ohne amerikanischen Pass dann abgeschoben wurden, weil sie seine Drohungen nicht ernst genommen haben. In unserer Kampagne wollen wir also primär Social-Media-Arbeit leisten, die über die Gefahren für Schwarze Männer aufklären soll: Wenn Donald Trump wieder Präsident wird, wird es noch mehr rassistische Polizeigewalt geben, es droht die Legalisierung von Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe am Arbeitsplatz. Harris müsste das ganz klar ansprechen und auch betonen, dass die Republikaner konkret das Unterrichten Schwarzer Geschichte an Schulen verbieten wollen.
taz: Stattdessen betont Kamala Harris in ihrem Wahlkampf vor allem Abtreibungsrechte. Warum lässt sie die Rechte Schwarzer Menschen bislang aus?
Tillery: Das liegt daran, dass sich Harris’ Kampagne an weiße Swing-Voter in den Vorstädten richtet. Die Spielregeln für diese Strategie stammen noch von Bill Clinton. Als er 1992 gewann, ignorierte er das Thema Race und sprach allein über die Wirtschaft. Die Demokraten, die jetzt an der Macht sind, haben oftmals noch für Bill Clinton gearbeitet. Sie glauben immer noch, dass die meisten weißen Wähler in Amerika rassistisch sind und gegen die Demokraten stimmen werden, wenn man über Race spricht. Seit Barack Obamas Wahlsieg wissen wir aber, dass das nicht stimmt. Etwa 40 Prozent der weißen Wählerschaft engagieren sich wirklich aufrichtig für eine fortschrittliche Politik in Sachen Race. Aber Harris’ Analysten sagen ihr, dass sie nicht über die Themen sprechen soll, die Schwarze Männer interessieren, weil das die weißen Swing-Wähler vergraulen würde.
taz: In US-amerikanischen Medien wird derzeit debattiert, ob manche Schwarze Männer Harris auch deshalb nicht unterstützen, weil sie keine Frau als Präsidentin haben wollen.
Tillery: Wir können nicht leugnen, dass ein kleiner Teil der Schwarzen Männer auch deshalb nicht für Harris stimmen will, weil sie eine Frau ist. Aber diesen Sexismus gibt es auch bei weißen Männern. Für Hillary Clinton haben weniger Männer gestimmt als für Trump. Viele weiße Männer stimmen generell eher für einen Mann, sie sagen es nur vielleicht nicht so offen in einer Umfrage. Wir sollten uns generell nicht auf die Umfragen unter den weißen Swing-Wählern verlassen. Bei Barack Obama waren deren Stimmen am Wahltag ganze zehn Prozent unter dem, was die Umfragen vorhergesagt hatten. Deshalb konzentrieren wir uns in unserer Arbeit auf die Schwarzen Wähler. Wenn Harris bei ihnen nicht über 90 Prozent kommt, sehe ich ehrlich gesagt keine Chance, dass sie gewinnt.
taz: Harris hat als Staatsanwältin besonders viele nicht-weiße Männer ins Gefängnis gebracht. Ist das auch ein Faktor, der bei Schwarzen Männern Misstrauen auslöst?
Tillery: Das ist in der Tat ein Dilemma, das nur schwer zu lösen ist. Denn ihre Vergangenheit als Staatsanwältin ist genau das, was sie für so viele weiße Swing-Wähler attraktiv macht. Das heißt, egal welche Botschaft sie diesbezüglich sendet, sie verliert entweder weiße oder Schwarze Wähler. Auch da muss die Antwort sein, zu betonen, wie viel schlimmer unser Justizsystem unter Donald Trump aussehen würde, einem Mann, der selbst verurteilter Verbrecher ist.
taz: Harris ist, wie Trump, Teil des Establishments und sehr wohlhabend. Ist ihr mangelnder Appeal für Ihren Beispiel-Wähler, den 27-Jährigen aus Atlanta, vielleicht auch eine Frage der Entfremdung verschiedener Klassen?
Tillery: Nein, das glaube ich nicht, denn es gibt kaum amerikanische Menschen in der Politik, die eine echte, authentische Arbeiterklasse-Identität haben. Präsident Biden ist aber der erste demokratische Präsident seit Carter, der ein echtes Programm für die Arbeiterklasse hat. Ich würde sogar sagen, er ist der beste Arbeiterpräsident, den wir je auf der Seite der Demokraten hatten. Er hat sich glaubhaft für die Gewerkschaften starkgemacht. Und ich denke, Harris ist bereit, diese Politik fortzusetzen. Aber am Ende neigen in Amerika die Wähler eben nicht dazu, ihre wirtschaftlichen Interessen zu wählen. Sie neigen dazu, über kulturelle und andere gesellschaftliche Themen abzustimmen. Und deshalb sind das genau die Themen, die Harris in den Swing States ansprechen muss.
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