Politikerinnen in Rheinland-Pfalz: Ab in die erste Reihe
Kann die Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz nach der Landtagswahl fortgesetzt werden? Das hängt an zwei Frauen: Daniela Schmitt und Anne Spiegel.
Spiegel, 39, ist als Spitzenkandidatin der Grünen nominiert. Schmitt, 48, soll auf Platz eins der FDP-Landesliste für den Landtag kandidieren. Beide müssen am 14. März liefern.
Der Wechsel des FDP-Landesvorsitzenden und Wirtschaftsministers Volker Wissing in die Bundespolitik zwingt die FDP-Kandidatin zudem zu einem Blitzstart aus der zweiten Reihe. Die wichtigste Aufgabe von Daniela Schmitt war es in der Coronakrise, als Wirtschaftsstaatssekretärin die Verbindungen zu Industrie, Handwerk und Verbänden zu pflegen. Sie musste Hilfskonzepte der Landesregierung abstimmen und optimieren. Es war keine Aufgabe, die für Schlagzeilen taugt.
Seit dem 19. August ist nun alles anders. Nach dem Willen des FDP-Landesvorstands soll Schmitt die Lücke schließen, die ihr Ressortchef hinterlässt. Von der geplanten Rochade erfuhr sie erst Stunden davor, sagt sie, sei aber „grundsätzlich zuversichtlich“. Fast täglich muss sie nun Medienanfragen beantworten. Viereinhalb Jahre wirkte sie als Behördenchefin eher im Hintergrund. Nun soll sie ihre Partei in einen erfolgreichen Wahlkampf führen. „Sportlich“ nennt sie ihre neue Aufgabe.
Wissing will sein Ministeramt vor der Landtagswahl nicht abgeben; er bleibt zudem Landtagsabgeordneter. Die Ampelkoalition regiert mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit. Bei Abstimmungen darf er nicht fehlen. Wie kann er gleichzeitig ab September als Generalsekretär für ein schärferes Profil der Bundespartei sorgen?
„Das bringt auch für uns einen guten Schub rein“, meint Schmitt. „Wer ihn und mich kennt, weiß, dass wir bereit sind, uns 24 Stunden an 7 Tagen einzusetzen“, versichert sie und rühmt die freundschaftlich gute Zusammenarbeit. In der Logik einer Betriebswirtin rechnet sie vor, dass ein Wechsel an der Spitze des Ministeriums im September für die „extrem kurze Restzeit“ der Legislaturperiode „im Verhältnis zum Nutzen“ keinen Sinn gemacht hätte.
Andere sehen das anders. Der FDP-Kreisvorsitzende im Donnersbergkreis, Christian Ritzmann, hat Wissings Rücktritt gefordert. Doch Schmitt winkt ab. „Es geht im Wahlkampf und bei Podiumsdiskussionen nicht um Titel und Visitenkarten, sondern um Themen und gute Argumente“, sagt sie. Wie unter einem Brennglas habe die Coronakrise Handlungsbedarf aufgezeigt, etwa bei der Digitalisierung der Wirtschaft und des Bildungssystems. Da habe die Landesregierung starke Akzente gesetzt und müsse nachlegen. Beim Ausbau des Breitbandnetzes, bei der Förderung von Start-ups und Hidden-Champions.
Die FDP habe den „Meisterbonus“ durchsetzen können. Wer in Rheinland-Pfalz die Meisterprüfung besteht, dem winkt eine Prämie von 1.000 Euro, wer sich anschließend selbstständig macht oder ein Unternehmen übernimmt, bekommt zusätzlich 2.500 Euro.
Nach Wechselstimmung klingt Schmitt nicht
„Das war ein Einstieg, ein Signal“, sagt die Liberale, der die gleichrangige Förderung von beruflicher und akademischer Bildung am Herzen liegt. „Das Bundesland ist sehr verantwortungsvoll und gut durch die Krisensituation gegangen“, sagt sie. Im Dialog mit Betroffenen seien Hygiene- und Schutzpläne erarbeitet worden. Man habe alle Branchen „an den Tisch geholt“.
Diesen dialogorientierten Stil attestiert sie auch der Ministerpräsidentin. Kontroversen seien „im Hintergrund“ ausgetragen worden. Alle drei Partner hätten sich gegenseitig „etwas gegönnt“. Zu dem konstruktiven Miteinander habe sicher auch die Ressortaufteilung beigetragen, die auf die Kernkompetenzen der Parteien zugeschnitten sei. Die FDP zuständig für Wirtschaft, Landwirtschaft und Justiz, die Grünen für Umwelt, Integration und Familienpolitik. Die Bilanz der FDP-Frontfrau klingt nicht nach Wechselstimmung. Doch die Frage nach Präferenzen und Koalitionsvarianten lächelt sie weg.
So hält es auch die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel. Die 39-jährige Politologin kandidiert zum vierten Mal für den Landtag. 2006 musste sie miterleben, wie die Grünen an der Fünfprozenthürde scheiterten. Vor fünf Jahren reichte es mit 5,3 Prozent gerade so.
Spiegel selbst konnte in ihrem Wahlkreis Speyer fast doppelt so viele Erststimmen einsammeln. Als integrationspolitische Sprecherin hatte sie sich zuvor profilieren können und rückte nach der Wahl ins Kabinett auf. Die Landesdelegiertenkonferenz wählte sie jetzt mit 95 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin, ein für ihre Partei ungewöhnliches Signal. Zweistellig wollen die Grünen im März werden, so die selbstbewusste Ansage.
Kurs gehalten
Ihre Themen sind: Gleichstellung, eine liberale Einwanderungspolitik, aber auch Klimaschutz und Energiewende. Als Mitglied des Bundesrats war Spiegel an der Initiative beteiligt, die am Ende den Durchbruch bei der Ehe für alle erreichte.
Zur größten Herausforderung ihrer ersten Amtszeit geriet die Flüchtlingspolitik, vor allem nachdem im pfälzischen Kandel ein junger Asylbewerber aus Afghanistan seine Exfreundin erstochen hatte. In Bussen seien die Menschen angekarrt worden, um bei Demonstrationen Stimmung zu machen. Bei einer Bürgerversammlung in Speyer habe sie neben echter Betroffenheit auch den organisierten Hass gespürt.
Diese Krise und alle Anfeindungen hat sie durchgestanden und dabei Kurs gehalten. Im Juli nahm sie sich persönlich Zeit, um vor ihrem Ministerium FFF-AktivistInnen zu empfangen, die aus Protest gegen die Zustände in griechischen Flüchtlingslagern zunächst in einen Hungerstreik getreten und anschließend nach Mainz gepilgert waren.
Die Weigerung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, mehr Kinder und Kranke aus den Lagern einreisen zu lassen, nennt sie „zynisch“. In einer Erstaufnahmeeinrichtung in Trier habe sie Flüchtlinge aus Afghanistan getroffen, für sie seien ihre Schilderungen der unhaltbaren Zustände „extrem bedrückend“. Statt wie jetzt 250 Menschen könne Deutschland ohne Weiteres 5.000 Kinder und Kranke aufnehmen. „Wir haben die Kapazitäten, wir haben die Plätze“, sagt sie.
Denkbar weit entfernt von Klöckner
Den FFF-AktivistInnen habe sie empfohlen, doch dem Bundesinnenminister in Berlin einen Besuch abzustatten, sagt Spiegel der taz. In ihrer ersten Amtszeit hat die Ministerin Akzente gegen Rassismus und gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder gesetzt. Die Mittel für die Frauenhäuser im Land wurden kräftig aufgestockt, die psychologische Betreuung von betroffenen Kindern verbessert. Bald beginnt eine zentrale Meldestelle für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle in Rheinland-Pfalz ihre Arbeit.
Als Mutter von zwei Kita- und zwei Grundschulkindern hat Spiegel auch erlebt, was Eltern in der Coronakrise haben leisten müssen. Ihr Mann, ein Sprachlehrer aus Schottland, halte ihr als Hausmann den Rücken frei, sagt sie. Trotzdem seien die Herausforderungen enorm. Mit einem Nachtragshaushalt hat die Ampelregierung immerhin zusätzliche Lehrerstellen geschaffen und wird Millionen in Laptops für SchülerInnen und LehrerInnen investieren.
Für die nächste Legislaturperiode hat die grüne Spitzenkandidatin ehrgeizige Ziele: Die Leistungen aus Windenergie sollen in Rheinland-Pfalz verdoppelt, die aus Photovoltaik verdreifacht werden. Für Neubauten sollen Solardächer verpflichtend werden, die Flächen für die ökologische Landwirtschaft und den Bio-Weinbau sollen weiter kräftig wachsen.
Vor allem bei den Themen Landwirtschaft und Energie sind ihre Positionen von denen der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner „weit entfernt“, räumt die Grüne auf Nachfrage ein. Ihre streitbare Kabinettskollegin und Parteifreundin Ulrike Höfken gehört sogar zu den profiliertesten KritikerInnen der amtierenden Bundeslandwirtschaftsministerin.
Gleichwohl schließen die Grünen in Rheinland-Pfalz keine Konstellation aus. Selbstbewusst kämpfe man für ein gutes eigenes Ergebnis, sagt Spiegel. Fragt man ihre FDP-Kollegin Schmitt, ob der CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf überhaupt eine Chance habe, Ministerpräsident zu werden, sagt sie: „Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler.“ Wer will, mag es so deuten: Reicht es nach der Wahl für eine Fortsetzung der Ampel, spricht nichts für einen Wechsel. Geht in Mainz rechnerisch nur Jamaika, Schwarz-Grün oder eine Große Koalition, wird es spannend.
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