piwik no script img

Politikberater über Seenotrettung„Wasser auf Salvinis Mühlen“

Matteo Salvini hetzt gegen Seenotretter*innen wie die auf der „Sea-Watch 3“ – und erntet keinen souveränen Protest aus flüchtlingsfreundlichen Ländern.

„Dass die meisten privaten Seenotretter aus Deutschland sind, passt in Salvinis Konzept“ Foto: Reuters/Guglielmo Mangiapane
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen

taz: Herr Knaus, Italiens Innenminister Matteo Salvini agiert sehr hart gegen Rettungsschiffe wie die „Sea Watch 3“ und seine Kapitänin Carola Rackete. Er nennt den europäischen Norden heuchlerisch. Was ist denn an deren Position zur Flüchtlingshilfe auf dem Mittelmeer so zu charakterisieren?

Gerald Knaus: Salvini argumentiert seit mehr als einem Jahr, mit brachialer Rhetorik, dass die Nordeuropäer gern Migranten retten können, wenn sie wollen, aber diese dann nicht in Italien ausladen dürfen. Per Tweet schloss er im Juni 2018 Italiens Häfen. Italiens Politik ist es seither, die Seenotrettung ganz an die libysche Küstenwache abzutreten. Beim letzten Gipfeltreffen der Mittelmeerländer der EU in Malta im Juni dieses Jahres wurde dieses Prinzip auch von Portugal, Spanien, Griechenland, Malta und Frankreich unterstützt. Salvini sieht sich hier nicht isoliert.

Und was unterscheidet diese eher mitte-links regierten Länder vom rechten Matteo Salvini?

Matteo Salvini lebt von zwei Themen: der Verteidigung Italiens gegen scheinheilige Nordeuropäer, und der Abwehr von Migranten aus Afrika. Damit hat er es geschafft, binnen kurzem zum beliebtesten und mächtigsten Politiker Italiens aufzusteigen. Dazu griff er im Juni 2018 auch Macron an, weil dieser ihn kritisiert hatte, aber gleichzeitig täglich versuchte, an der gemeinsamen Landesgrenze Migranten nach Italien zurückzuschicken. Und Salvini griff Premier Sánchez in Spanien mit dem Argument an, dass Madrid damals zwar einige hundert Menschen von der „Aquarius“ aufnahm, aber insgesamt viel weniger Asylsuchende hatte als Italien. Unter lauter Heuchlern, so seine Botschaft, ist er der einzige ehrliche Politiker.

Und Deutschland?

Salvini hat Berlin schon lange im Visier. Sein politischer Verbündeter hier ist die AfD, schon lange greift er Angela Merkel im Stil Marine Le Pens an. Überdies argumentiert Berlin zu defensiv. Deutschland leistet objektiv mehr als der Rest der EU, hat in den letzten fünf Jahren von allen Industriestaaten in der Welt den meisten Flüchtlingen Schutz geboten. Auch bei den Geretteten im Mittelmeer im letzten Jahr war Deutschland letztlich immer bereit, Menschen aufzunehmen. Doch das Zögern dabei ist immer wieder Wasser auf Salvinis Mühlen. Seht her, sagt er dann, die heuchlerischen Deutschen versuchen erneut ihr schlechtes Gewissen auf Kosten Italiens zu beruhigen: retten, dann abladen. Dass heute die meisten privaten Seenotretter aus Deutschland sind, passt da in sein Konzept.

Bild: dpa
Im Interview: Gerald Knaus

Gerald Knaus, 47, Soziologe, ist Vorsitzender der 1999 gegründeten ESI, der Europäischen Stabilitätsinitaitive, einer Denkfabrik in Berlin mit Büros in Brüssel, Istanbul und Wien. Die ESI war 2015 und 2016 maßgeblich an der Entwicklung des EU-Türkei-Abkommens zu Flüchtlingen aus Syrien beteiligt. Er versteht sich nicht als politischer Berater der Bundesregierung oder der EU – obwohl er und sein Haus so agieren.

Welches Signal aus Berlin wäre angemessen?

Die deutsche Regierung könnte klar sagen, dass es die Verantwortung für Flüchtlinge übernimmt, die von deutschen Organisationen gerettet werden. Es ist nicht länger glaubwürdig, auf eine europäische Lösung zu setzen, denn diese wird – auch dank Salvini und Orbán – nicht kommen. Darauf zu warten ist Warten auf Godot. Deutschland sollte den Spieß umdrehen, sich nicht von Salvini abhängig machen. Dabei geht es heute um einige hundert Menschen im Monat.

Ist es nicht absurd: In den letzten zehn Jahren hat Schweden viel mehr Menschen Asyl geboten als Italien?

Schweden hat zehn Millionen Einwohner, es hat in den letzten zehn Jahren 216.000 Menschen Flüchtlingsstatus und subsidiären Schutz gegeben. In Italien mit mehr als 60 Millionen Einwohnern waren es in dieser Zeit weniger als 100.000. Und in Deutschland allein in den letzten fünf Jahren fast eine Million. Salvini spielt mit einem Mythos, den erstaunlicherweise auch in Deutschland viele glauben: dass Italien seit Jahren für Europa überdurchschnittlich viele Asylsuchende aufnimmt. Migranten kommen aufgrund der Geographie zunächst in Italien an, aber nachweislich ziehen die meisten weiter. Doch was nur die Seenotrettung betrifft, helfen Schuldzuweisungen nicht, da gibt es tatsächliche Dilemmas, die eine kluge humane Politik aufgreifen muss.

Und welche wären dies?

Es gibt zwei Imperative. Der eine ist der der Seenotrettung, das elfte Gebot, wenn man so will: Du sollst niemanden ertrinken lassen, den Du retten kannst. Das ist grundlegend für unsere Zivilisation, es gilt sogar in Kriegszeiten. Der zweite Imperativ ist es, irreguläre und lebensgefährliche Migration zu reduzieren. In den letzten Jahren kamen Hunderttausende etwa aus Westafrika nach Libyen, wurden dort gefoltert und vergewaltigt, setzten sich dann in kleine Schiffe, ertranken zu Tausenden. Und taten dies, weil sie hofften: selbst wenn sie kein Asyl bekommen werden sie für immer in Europa bleiben. Hier muss kluge Politik ansetzen, damit das unvermeidliche Retten keinen tödlichen Sogeffekt erzeugt.

Um einen solchen geht es nicht – bei der „Sea-Watch 3“ mit Kapitänin Rackete handelte es sich um wenige Menschen.

Insgesamt sprechen wir seit Ende 2017 nur noch von wenigen Menschen. Bei den deutschen NGO-Booten handelt es sich heute um kleine Zahl von Schiffen, die im Monat einige hundert Menschen retten. Nachdem sich Deutschland jahrelang großzügig gezeigt hat und tausende Menschen aufgenommen hat, sollte es jetzt bei diesen Zahlen nicht zögern, wobei dies ohnehin nur ein hilfloser Bluff ist. Deutschland sollte stolz darauf sein, dass es human handeln will.

Was müsste die Botschaft sein seitens der Regierung?

Die Regierung müsste sagen: Wir unterstützen Seenotrettung, wir begrüßen zivilgesellschaftliche Anstrengungen. Gleichzeitig arbeiten wir an einer Strategie, sodass sich nie wieder, wie zwischen 2014 und 2018, etwa 40.000 Gambier auf den Weg nach Libyen machen und tausend Gambier im Mittelmeer ertrinken. Und dann von den Überlebenden kaum jemand Asyl in Europa zuerkannt bekommt. Um so etwas zu verhindern, sind schnellere Asylverfahren und Abkommen zur Rücknahme nach einem Stichtag mit Herkunftsländern nötig, im Gegenzug legale Migrationsmöglichkeiten. Ich war gerade in Gambia und weiß: Daran gibt es Interesse. Nur: Das kann nur eine Regierung verhandeln. Derzeit hat man den Eindruck, dass Berlin hilflos wirkt zwischen einer Gesellschaft, die die Seenotrettung einfordert, und einer EU, in der viele Staaten auch zur brutalsten Abschreckung bereit sind.

Hat diese Haltung mit den nahenden Landtagswahlen im Osten des Landes und dem drohenden Erfolg der AfD zu tun?

Wer die AfD wählen will, tut es wegen der Politik der vergangenen fünf Jahre, und nicht, weil jetzt 53 Menschen von der „Sea Watch“ oder demnächst ähnlich viele vom Schiff „Alan Kurdi“ in Deutschland aufgenommen werden. Das kann nicht die Kalkulation sein. Ohnehin sind die größten Verlierer der letzten Jahre jene Politiker, die sich nicht entscheiden können, ob sie nun ein Gewissen haben, und gerade dadurch scheinheilig wirken …

… wie in Italien der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi aus der linken Mitte …

… dessen Partei zunächst unglaublich stolz darauf war, dass das italienische Militär hunderttausende Menschen in Seenot rettete, um dann die Politik Berlusconis der Abkommen mit libyschen Milizen zu übernehmen. Auch dank dieser Wankelmütigkeit wurde es Salvini leicht gemacht. Wenn man jetzt bei einigen Hunderten und der Seenotrettung zögert, signalisiert man erst recht, dass die Kritiker Recht hatten, als es um Zehntausende ging. Es ist keine kluge politische Strategie für Parteien der Mitte, Grundprinzipien des humanitären Rechts zu opfern. Zumindest, zum Glück, nicht in Deutschland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "40.000 Gambier auf den Weg nach Libyen machen und tausend Gambier im Mittelmeer ertrinken."

    Was nützt das schönste Abkommen mit Gambia wenn sich die Leute dann trotzdem in die Boote setzen?

  • Können wir nicht braune Schmeißfliegen ins Mussolini-Land schicken und nehmen dafür Geflüchtete auf?



    Das wäre eine echte win win Situation!

  • Aber es sind nur deshalb wenige hundert, da der Sogeffekt durch Italiens Politik wegfiel. Sorry, aber auch wenn Salvini ein Kotzbrocken ist, er hat statistisch nachweislich durch seine Politik tausenden Menschen das Leben gerettet!

    • @LiberalerUnterZecken:

      Sorry, aber das ist kompletter Bullshit. Die Leute wollen nach wie vor nach Europa, weil der Leidensdruck durch Krieg, Terror, Missernten und Perspektivlosigkeit etc. ständig weiter steigt. Europa war und ist daran politisch nicht ganz unbeteiligt.



      Salvini hat doch keinem einzigen damit das Leben gerettet, nur weil er es nicht bis auf's Boot geschafft hat. Die Menschen, die schon auf dem Weg nach Marokko oder Libyen verrecken, die zählt hier nur niemand und die, die ohnehin zu schwach sind, um überhaupt noch aufzubrechen doch auch nicht.



      Es gibt längst einen Schubeffekt, der größer ist als jeder „Sogeffekt“. Natürlich klammern sich verzweifelte Menschen immer gern an die falsche Vorstellung eines „gelobten Landes“, „eines Paradieses“. Der Verdurstende in der Wüste sieht überall nur Wasser.

      www.welt.de/politi...ngst-begonnen.html