Podcast „Freitagnacht Jews“: Jüdisches Leben statt Holocaust
Im neuen Podcast „Freitagnacht Jews“ von Daniel Donskoy diskutieren die jüdischen und nichtjüdischen Gäste detailreich. Es geht um jüdische Themen.
Als die WDR-Sendung „Freitagnacht Jews“ vor etwa einem Jahr ins deutsche Fernsehen kam, war das fast eine kleine Sensation. Lebende Juden tauchen im deutschen TV selten auf, ohne dass über die Erinnerung an die Shoah oder Antisemitismus gesprochen wird. Aber weil Daniel Donskoy, selbst Jude, Künstler und Moderator von „Freitagnacht Jews“ auf diesen ganzen „Holocaust-Kram“ keine Lust hatte, wie er selbst einmal sagte, lud er sich in seine Late-Night-Show wöchentlich jüdische (lebende!) Gäste ein, bekochte sie, trank mit ihnen und diskutierte.
„Freitagnacht Jews“ war so erfolgreich (Deutscher Fernsehpreis, nominiert für den Civis Medienpreis 2022 und den Grimme-Preis), dass ein Jahr später eine Podcastserie entstanden ist, die an das TV-Format anknüpft: „Freitagnacht Jews“, der Podcast. In vorerst vier Folgen konfrontiert Donskoy seine Gesprächspartner:innen mit den „großen Judenthemen“ und Fragen: „Wie neurotisch ist Deutschland, wenns um Juden geht?“ oder „Wer ist Antisemit – und wer ist Jude?“
So knüpft die erste Folge an das vorangegangene Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ an, das bundesweit mit vielen Veranstaltungen, Vorträgen und Initiativen begangen wurde und setzt damit den Rahmen für die weiteren Folgen.
Moment, gab es 2021 überhaupt etwas zu feiern? Ausgelöst durch den vierten Gaza-Krieg kam es im vergangenen Mai auf deutschen Straßen zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen und Gewaltattacken am Rande von antiisraelischen Demonstrationen. Vor einer Synagoge in Gelsenkirchen brüllten Teilnehmer einer Kundgebung „Scheiß Juden“, ohne dass jemand einschritt. Auf deutschen Straßen wurde zur Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufgerufen. Der Staat schaute weitestgehend zu.
Gesellschaft spricht nur über Antisemitismus
Über die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden wurde daraufhin wieder einmal nur im Zusammenhang mit Antisemitismus gesprochen. Auch die „Querdenker“-Proteste waren 2021 präsent. Was die Szene ausmacht, ist ihr Glaube an Verschwörungserzählungen, die oft einen antisemitischen Kern haben. Oder warum sonst sieht man auf „Querdenker“-Demonstrationen so viele neue selbsternannte Juden mit gelben Sternen auf der Brust?
Folge eins rekapituliert all diese Ereignisse und lässt sie von klugen Stimmen wie der Sozialpsychologin Pia Lamberty oder dem Pädagogen Burak Yılmaz einordnen. Am Ende steht die Antwort auf die Frage, ob im Festjahr 2021 überhaupt Partystimmung aufkommen konnte: Nein, überhaupt nicht. Wie die genannten Gesprächspartner:innen erkennen lassen, sind es diesmal nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden, die bei „Freitagnacht Jews“ zu Wort kommen.
In den weiteren Folgen werden mal im Stil des Film noir oder in diesem Falle „Jew noir“ Nachforschungen zu den Antisemitismusvorwürfen gegen die Ärztin und Journalistin Nemi El Hassan angestellt oder die sogenannte Vaterjudendebatte neu aufgerollt, mal wird vor dem Hintergrund neuen Terrors in Israel ergründet, wie objektiv oder auch nicht deutsche Medien über den einzigen jüdischen Staat und die immer wieder einsetzenden Auseinandersetzung zwischen ihm und der Hamas berichten. Werden deutsche Medien der Komplexität eines asymmetrischen Krieges gerecht? Und warum wird eigentlich kein anderes Land so häufig kritisiert wie Israel?
Kein „Laberpodcast“
Die Stärke des Podcasts liegt in seiner detailreichen Darstellung, die ihn abhebt von den zahlreichen in den Trend gekommenen „Laberpodcasts“. Überzeugend ist auch die abwechslungsreiche Gästeauswahl. Selbst wenn man als Zuhörerin inhaltlich nicht mit allen Gesprächspartner:innen übereinstimmt, bringt der Podcast doch wichtige und durchaus kontroverse Stimmen aus Kultur, Wissenschaft, Medien und Politik zusammen.
Von Marina Weisband, Samuel Salzborn, Sascha Lobo, Laura Cazés, Pia Lamberty bis hin zu Sawsan Chebli. Diese Gästeauswahl und die Leichtigkeit, der Humor von Moderator Donskoy machen den Podcast „Freitagnacht Jews“ zu einem besonderen Hörerlebnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit